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21. Januar 2004

Streichkonzert statt Kulturstadt?

Hartmut Haenchen schrieb angesichts der sich ständig verschärfenden Situation auf dem Kultursektor bereits vor der Veröffentlichung der neuen Zahlen für die Kulturkürzungen in Dresden eine Kolumne in der Sächsischen Zeitung und gab ein dpa-Interview

Sächsische Zeitung
Mittwoch, 21. Januar 2004

Streichkonzert statt Kulturstadt?
Von Hartmut Haenchen

Durch massive Kürzungen sind immer mehr Kultureinrichtungen in ihrer Substanz gefährdet. Allein in Dresden sehen neue Pläne Einsparungen von acht Millionen Euro bis 2007 vor. So soll beispielsweise das Theater Junge Generation auf 2,5 Millionen Euro verzichten, die Staatsoperette auf 1,5, die Philharmonie auf eine Million und die Musikfestspiele auf 750 000 Euro. Der Etat der städtischen Bibliotheken soll um 650 000 Euro sinken.





K unst kommt von Können, das gilt nicht nur im Abendland. Und Können kann kosten, das gilt für Künstler wie für Konsumenten. Letztere zahlen den Eintritt, zumeist ein eher symbolisches Zubrot für die tatsächlichen Kosten von Konzerten und anderen Künsten. Erstere, die Schöpfer und Ausführenden, verdienen übrigens erst dann an ihrer Kunst, nachdem sie viel investiert haben – von der ersten Musikschul- oder Malstunde an über Begabtenförderung, Studium und ständige Weiterbildung, von Schweiß und Entbehrung gar nicht zu reden.

Die Differenz bringt der Staat auf, eine der besten europäischen Traditionen und die wohl schönste Verwendung öffentlichen Geldes. Denn was wird damit bewirkt, wenn die Ausbildung von Künstlern gefördert, der Unterhalt von Theatern, Ensembles, Museen und von Kunst im öffentlichen Raum garantiert bleiben? Es sind doch nicht nur die schönen Stunden im Konzert oder in einer Galerie, sondern nicht weniger als – Lebenselixier!

Weit mehr als diese unverzichtbaren Momente im Leben, wie sie uns wohl nur die Liebe und die Kunst bereiten können, zählt der bleibende Wert guter Musik und Literatur oder eines schönen Bildes. Worüber definiert sich der zivilisierte Mensch, wenn nicht über Kultur, also auch Lebenskultur? Was sensibilisiert uns für den achtungsvollen Umgang miteinander, wenn nicht die uns übermittelten Erfahrungen von Romanhelden und Bühnenfiguren? Wie wird unsere Emotionalität geweckt und gefördert, wenn nicht durch die Klangwelten der menschlichen Stimme, eines Instruments, eines Orchesters – und aus dem Farbrausch eines Bildes?

Kunst kommt von Können und nicht von Wollen. Das Bonmot ist bekannt, aber Kunst wie künstlerisches Können müssen auch gewollt sein, sonst finden sie irgendwann erst außerhalb der Öffentlichkeit und dann gar nicht mehr statt. Das ist kein Kassandra-Geschrei, sondern die bittere Sorge um aktuelle Debatten (nicht nur in Dresden).

Gerade hier in Sachsen und namentlich in der an künstlerischer Tradition so reichen Landeshauptstadt sind wir zu Recht stolz auf die von hohem Können geprägten kulturellen Leistungen – warum wohl sonst zieht es jährlich Hunderttausende Menschen aus aller Welt in unsere Stadt, warum wohl sonst finden sich Firmen wie VW, Infineon und AMD hier als Investor ein, warum wohl sonst gibt es ein internationales Interesse an (selbst dieser Kunst-Name ist Verpflichtung) Elbflorenz?

Allein die Dresdner Musikfestspiele 2003, der erste von mir geleitete Jahrgang, endete mit der Rekordzahl von 150 000 Gästen, die aus aller Welt in unsere Veranstaltungen kamen. Wer will dies und all die anderen Erfolge der Orchester, Bühnen und Museen unserer Stadt aufs Spiel setzen? Wer will, indem er von Prozenten spricht, Potenzen lahm legen?! Kein Bürgermeister, kein Parlamentarier und kein Minister kann das verantworten.

Ja, es geht um Verantwortung – und hier zu Lande ist Kultur eine Pflichtaufgabe, darauf sind wir zu Recht stolz, und das sollte unangetastet bleiben! –, und es geht um Verteilung. Wenn angesichts der aktuellen Haushaltslage allen Ernstes behauptet wird, die Bundesrepublik Deutschland benötige 180 Eurofighter, dann klingt das in meinen Ohren nicht nur verantwortungslos, sondern geradezu verrückt. Der Preis eines einzigen Eurofighters beträgt bekanntlich 100 Millionen Euro! Ich wiederhole: Verantwortungslos und verrückt.

Auch die Verwaltung der Künste ist ein Kunststück, sie will gelernt und gewollt sein. In Zeiten knapper Kassen gilt diese Tatsache mehr denn je, und ich widerstehe der irren Hoffnung, diese Zeiten seien nur von kurzer Dauer. Das wäre Augenwischerei. Wenn das Abendland seine Kompetenz verspielt, geht es unter.

Prof. Hartmut Haenchen ist Intendant der Dresdner Musikfestspiele und Mitglied des Sächsischen Kultursenats


Deutschland verspielt seine Kulturtradition


Dresden (dpa/sn) - Mit regelmäßigen Kürzungen der Kulturhaushalte verspielt Deutschland nach Ansicht des Intendanten der Dresdner Musikfestspiele, Hartmut Haenchen, seine reichen Traditionen in Musik, Kunst, Theater und Literatur. «Der Staat nimmt sich selbst die Zukunft, wenn er an der Kultur kürzt», mahnte der Dirigent. Politiker würden leider nur kurzfristig in Wahlperioden denken. «Der Verfall des Bewusstseins für die Kultur in Deutschland setzt sich mit jeder neuen Generation fort.»

So habe sich die Kriegsgeneration aus dem Bedürfnis nach Musik und Kulturbeschäftigung heraus noch sehr dafür eingesetzt. «Mit jeder nachwachsenden Generation, wo in der Schule Musik, Kunst oder Literatur deutlich zu Gunsten der Naturwissenschaften vernachlässigt wurden, ist diese Distanz gewachsen.» Über die Debatte um PISA, Bildung, Elite-Universitäten und Erziehung werde vergessen, dass Kultur und Kunst ein harter Faktor in dieser Entwicklung sei. «Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Musik einen ganz deutlich positiven Einfluss auf die Sozialisierung hat, das emotionale und das Denkvermögen erhöht.»

Was da versäumt werde durch Kürzungen in der Kultur müsse zusätzlich für Polizei und andere Betreuungsdienste ausgegeben werden. «Selbst die meisten Großviehhalter spielen Mozart in ihren Kuhställen, das erhöht die Milchleistung», sagte Haenchen. «Wenn man immer wieder und regelmäßig ein Prozent kürzt, werden daraus zehn und irgendwann ist nichts mehr da.» Die Politiker vergessen die ohnehin steigenden Kosten durch eine jährliche Inflationsrate von zwei bis drei Prozent sowie die immer höheren Personalkosten.

«Wenn die Kultureinrichtungen in Deutschland heute das Gleiche wie vor zehn Jahren bekommen, dann haben sie real 40 Prozent weniger, nicht gerechnet die Honorarentwicklung im Kunstbereich», sagte Haenchen. Doch die Dresdner Musikfestspiele haben schon lange nicht mehr das Geld wie vor zehn Jahren, sondern seien mehrfach gekürzt worden. «Was damals 18 Mitarbeiter machten, müssen heute acht schaffen - bei der doppelten Veranstaltungszahl!»

Bei Kürzungen bestehe grundsätzlich ein politischer Denkfehler, in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern. «Man hat auf dem Papier gespart, zahlt aber unterm Strich viel mehr», äusserte Haenchen, der auch Mitglied im Sächsischen Kultursenat sowie in der Sächsischen Akademie der Künste ist. Wenn etwa in einem Orchester Stellen gestrichen würden, könnten weniger Konzerte gegeben und damit auch weniger Einnahmen erzielt werden. «Die Rentabilität eines einzelnen Musikers ist dann viel schlechter», rechnete Haenchen vor. Auch das Engagement von Aushilfen sei teuerer. «Dann zahlt eine andere, auch öffentlich finanzierte Institution das, was an anderer Stelle weggenommen wird», sagte er. Zudem bleibe bei den Politikern noch immer ungehört, dass die Kultur auch Geld zurückbringe. «Studien haben ergeben, dass bei einem Anteil von 30 bis 40 Prozent auswärtiger Besucher eine Subvention von einem Euro sogar 1,16 Euro einbringt.» Mit jeder Kürzung werde dieser Rückfluss geringer. Die Dresdner Musikfestspiele jedoch haben ihr Einnahmesoll trotzdem übererfüllt. Bei weiteren Kürzungen müsste das Programm aber anpasst werden. «Weniger Vorstellungen machen es immer teurer, da die Einnahmen dann nicht mehr stimmen.» Haenchen sieht daher die Gefahr, dass es von Seiten der
Politiker irgendwann für verzichtbar gehalten werde, wenn aus dem internationalen
ein regionales Musikfest geworden sei, für das dann auch keine Sponsoren mehr zu finden wären, die es aber dringend brauche.


Die Zukunft der Dresdner Musikfestspiele ist nach den Worten von Haenchen
finanziell nicht sicher. «Es wird sie 2005 und 2006 geben, da sind die
Verträge fast fertig, aber ich weiß noch nicht einmal den Zuschuss für
dieses Jahr.» Er rechne jedoch mit dem Budget von 2003 und habe
entsprechend Verträge abgeschlossen. Zudem habe der Bund angekündigt, von
2005 an seine Zuschüsse zurückzuziehen. «Daran sind wiederum die Zuschüsse des
Freistaats gekoppelt.»

«Jede Spirale ist irgendwann zu Ende. Das ist ein langsames Sterben und
mit der Rasenmähermethode trifft es ziemlich alles, was wir haben»,
bedauerte er. «Ein Leuchtturm muss auf Grund stehen, wenn der systematisch
weg gegraben wird, fällt auch der Turm irgendwann um», kritisierte er. So könnte
man sich eines Tages wundern, wenn etwa die Sächsische Staatskapelle nicht
mehr den Nachwuchs finde, den sie brauche. «In Deutschland wurden in den
letzten zehn Jahren zwölf Orchester aufgelöst und diese Tendenz setzt sich
vehement fort.»

Bei der Gewinnung von Künstlern könne Dresden noch mit seiner
Attraktivität wuchern, nicht aber mit Spitzengagen. Und die Konkurrenz
sei groß. «Die Zeit ist vorbei, dass hier noch jemand zum Freundschaftspreis
gespielt hat. Und was einmal weg ist, ist weg.» Für mehr Ausstrahlung brauche Dresden dringend eine Konzerthalle. Leider habe man die Chance für einen entsprechenden Umbau des Kulturpalastes mit dem Bau des Kongresszentrums, in den auch alle
Unterhaltungsshows wechseln sollten, vertan. «Das macht mich wütend. Da hat
die Politik mehr als versagt.»

Dabei sei noch genügend Geld da. «Es wird nur falsch verteilt», sagte
Haenchen mit Verweis auf den aufgeblasenen Verwaltungsapparat in der
Bundesrepublik. «Es wird Zeit und Geld verschwendet für die Bürokratie.»
Darin liege ein riesiges Einsparpotential.

Nach dem Hochwasser 2002 habe man gesehen, was geschlossene Theater und
Museen für eine Wirkung hätten: «Nach der Flut war tödliche Ruhe in der
Stadt, keine Touristen da.» Kunst und Kultur sei nun einmal in aller Welt
Synonym für Dresden. «Wenn die Politik das nicht begreift, wird Dresden eine
tote Provinzstadt.»


dpa sb yysn




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