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24. March 2006 · Dresdner Neueste Nachrichten

Wie man miteinander umgeht...

Die Dresdner Musikfestspiele 2006 und die Perspektiven

Dresdner Neueste Nachrichten, 24. März 2006

Interview von Kerstin Leiße mit Hartmut Haenchen

 

Am 25. Mai beginnen die 29. Dresdner Musikfestspiele. Bis zum 11. Juni ranken sich fast hundert Veranstaltungen in und um Dresden um das Thema "Glauben". DNN sprachen mit dem Intendanten Hartmut Haenchen, der dieser Tage von der niederländischen Königin für seine langjährigen Verdienste um das kulturelle Leben unseres Nachbarlandes und die Verständigung zwischen Deutschland und den Niederlanden die niederländische Nationalität ehrenhalber verliehen bekommen hat.

 

Frage: Zwei Monate sind es noch bis zum Beginn der Festspiele. Wie läuft der Vorverkauf?

 

Hartmut Haenchen: Hervorragend. Das Konzert mit Sir Simon Rattle ist natürlich ausverkauft, ebenso das Neumeier-Ballett "Mozart-Requiem". Mit großem Interesse rechne ich bei Nikolaus Harnoncourts Mozart-Ehrung. Sehr gut verkaufen sich auch zeitgenössische Projekte wie das "Meißner Te Deum" und die Uraufführung von Hans Schanderls "Passion - Stufen der Hingabe" nach Texten von Brecht, Bonhoeffer und Fragmenten aus den Evangelien.

 

Wieso geht gerade das gut?

 

Das ist mit einer gewissen Neugierde erklärbar. Und die Leute fahren auch nach Pirna, wenn dort z.B. das Hillard-Ensemble auftritt. Überraschend gut geht das Japan Philharmonic Orchestra im Kulturpalast. Angesichts des vergleichsweise geringen Interesses für das BBC Philharmonic Orchestra im vorletzten Jahr kann ich mich nur freuen, dass die Nachfrage jetzt wieder groß ist. Und unsere Aktionen mit den Schulen haben sich gelohnt, denn es kommen viele junge Leute. Natürlich gibt es auch ein paar - eher unerwartete - Verkaufs-Hänger.

 

Gastland ist Italien, Rom ein Schwerpunkt ...

 

Als größte Veranstaltung haben wir die Accademia Nazionale di Santa Cecilia hier. In unseren Länderschwerpunkten wollen wir aber auch immer Beziehungen herstellen - da ordnet sich z.B. das Konzert des Knabenchores Hannover im Meißner Dom ein, in dem die gegenseitigen Einflüsse zwischen Deutschland und Italien herausgestellt werden. Die Gaststadt Rom spielt in 28 Veranstaltungen eine Rolle. Aber den Umfang, den wir 2003 mit Amsterdam hatten, können wir nicht mehr leisten, denn die finanzielle Unterstützung aus Italien ist mit der aus Amsterdam nicht vergleichbar. Das wird 2007 wieder besser, ich bin mit Helsinki in Verhandlung, und von dort wird uns größere Unterstützung signalisiert.

 

Welche Eigenproduktionen legen die Musikfestspiele in diesem Jahr auf?

 

Mit der szenischen Aufführung von Franz Seydelmanns "La morte d'Abel" wird es - aus finanziellen Gründen - zum letzten Mal eine Eigenproduktion einer Oper geben. Über diese Wiederentdeckung aus der Sächsischen Landesbibliothek freue ich mich ganz besonders.

 

Ist das der einzige Beitrag des Festivals zum Stadtjubiläum?

 

Mehr können wir nicht beitragen, denn das müssten wir aus unserem Etat extra bezahlen. Natürlich bedenken wir das Jubiläum durch die Themenwahl. Und wir nehmen es zum Anlass, die "Ouvertüre im Grünen" in die Stadt hineinzuholen.

 

Für das Programm zur 800-Jahr-Feier mussten die Festspiele 8300 Euro aus ihrem laufenden Etat abführen ...

 

Das betrifft alle Kultureinrichtungen. Immerhin haben wir erreicht, dass uns durch den direkten Programmbeitrag weniger als ursprünglich gefordert abgezogen wird.

 

In Zeiten, in denen eher der Zweifel denn der Glauben den Ton angibt, haben Sie dennoch letzteren als Thema für die Festspiele 2006 gewählt ...

 

Ausgangspunkt war die geschichtliche Betrachtung, denn die Stadt ist ja gegründet durch die Christianisierung der slawischen Siedlung. Ich denke, dass Glauben ganz allgemein beleuchtet werden muss, was ja ein hoch aktuelles Thema ist. Ganz spannend ist für mich zum Beispiel die Möglichkeit, mit Musik zu zeigen, dass die großen Glaubensrichtungen Christentum, Islam und Judentum auf gemeinsame Wurzeln zurückgehen, indem man verschiedene Vertonungen der selben Texte aufweist. Vielleicht hilft das auch in der Frage, wie man miteinander umgeht. Deshalb haben wir den Untertitel "Verständnis - Toleranz - Kritik" gewählt. Auf der anderen Seite glaube ich auch, dass das Thema etwas sagt zur Frage von Spiritualität überhaupt. Die in unserer Zeit - so wird es zumindest meist dargestellt - keinen öffentlichen Raum hat. Ich meine, wir haben eine gute Auswahl getroffen, natürlich überwiegt der christliche Teil, aber es sind die wichtigen Religionen bis hin zum Buddhismus vertreten.

 

2006 ist - zugespitzt formuliert - fast schon wieder vorbei. Wie laufen die Planungen für die Festspiele 2007?

 

Wir haben bereits die große Vorschau auf der ITB präsentiert, um international werben zu können. Denn ein großer Teil des Publikums kommt von auswärts. Dank der finnischen Unterstützung kommen wir 2007 entgegen den Befürchtungen ohne spielfreie Tage aus.

 

Ab 2007 stehen den Festspielen 500000 Euro weniger an jährlichen städtischen Zuschüssen zur Verfügung. Welche Folgen wird das haben?

 

Wir können uns keine Ballett- und Operngastspiele mehr leisten, keine szenischen Eigenproduktionen. Wir haben das Glück, dass wir noch ein großes Orchester einladen können, zudem wunderbare Solisten, und wir werden auch das Sonderkonzert halten. Aber die Brötchen, die wir anbieten, sind kleiner. Sie müssen deshalb nicht schlechter sein, wir wollen auch in kleineren Projekten die hohe Qualität halten, ohne unser Konzept vollständig aufzugeben. Aber zum Beispiel haben wir 2007 keinen Meißner Musikmarathon mehr und eine Musikreise weniger.

 

Und es wird kein Künstler mehr mit einer Carte blanche, also gleich mehreren Einzelveranstaltungen gewürdigt ...

 

Ja, denn sonst würde das eine Schieflage bedeuten, eine Reduzierung der Vielfalt bei einem insgesamt zahlenmäßig abschmelzenden Angebot.

 

Was bleibt dann von Ihren programmatischen Ansätzen noch übrig?

 

Die thematische Struktur des jährlichen Schwerpunktes, die Reihen, auch wenn es dann statt acht nur noch sechs geben wird. Und es bleibt das Netzwerk der Strukturen.

 

Pessimisten glauben, dass die Stadt auf längere Sicht die Festspiele nicht halten will. Wie sieht es mit Ihren eigenen Perspektiven als Intendant nach dem Ende Ihres Vertrags 2008 aus?

 

Ich bin mit der Stadt im Gespräch und will nicht öffentlich in Spekulationen über mich eingreifen. Die Planungen für die Festspiele 2008 stehen in wesentlichen Punkten.

 

Dennoch: Wie ist Ihr Gefühl?

 

Neu ist vielleicht, dass der Oberbürgermeister 2007 selbst in ein Konzert einführen wird.

 

Was als Teil seines Wahlkampfes für die OB-Wahl '08 interpretierbar wär' ...

 

Man kann es auch positiv deuten, wenn der OB sich solcherart für die Festspiele engagiert.

 

Die Direktion der Musikfestspiele hat neben der Dreikönigskirche neue Räume bezogen. Wie fühlen Sie und Ihre Mitarbeiter sich in dem - innen wie außen - wenig attraktiven Bau?

 

Der neue Standort hat Vor- und Nachteile. Ein Nachteil ist, dass er keinesfalls repräsentativ ist, es ist ein typischer DDR-Bau, an dem nichts getan wurde. Aber wir haben mehr Platz, auch fürs Archiv. Wir sind verkehrstechnisch besser angebunden, können unser Pressebüro während der Festspiele hier einrichten. Und die räumliche Nähe zum Kulturrathaus verbessert vielleicht die Kommunikation zwischen uns und dem Kulturamt.

 

Wie steht es um die Pläne, den Musikfestspielen die Rechtsform einer Stiftung zu geben?

 

Es gibt von allen Seiten die Bereitschaft, die Form zu ändern. Zum Eigenbetrieb eignen wir uns nicht, weil wir viel zu klein sind. Also ist die einzig sinnvolle Form eine Stiftung. Mit unserem erfreulicherweise gewachsenen Förderverein setzen wir uns nach wie vor dafür ein. Allerdings braucht man für die Gründung ein Mindestmaß an Stammkapital. Wir versuchen daher ständig, Menschen anzusprechen, die einen besonderen Bezug zu uns haben. Es gibt eine Reihe von Gesellschaften, die Stiftungen unterstützen, die Nachlässe solchen Zwecken zur Verfügung stellen. Und ich wende mich an die Industrie.

 

Außer dem Intendanten Haenchen gibt es noch den Dirigenten Haenchen. Wie sieht es auf der künstlerischen Seite Ihres Lebens aus?

 

Da geht es mir sehr gut. Ich war etwas kürzer getreten, weil ich nach Dresden umziehen werde. Der Verkauf des Hauses in Amsterdam ist nun geregelt, und ab 2007 dirigiere ich wieder so viel wie in den vergangenen Jahren. In Amsterdam läuft nach 20 Jahren mein Vertrag aus. Der "Ring" von 1999 erscheint jetzt gerade auf DVD, die Neuproduktion von 2005 wird im Herbst als CD herauskommen. Mit meinem Kammerorchester "Carl Philipp Emanuel Bach" feiere ich in diesem Jahr 25-jährige Zusammenarbeit. Meine Schwerpunkte in der Zukunft werden z.B. in der Opéra Bastille in Paris und in Los Angeles liegen. Zur Zeit dirigiere ich das Montreal Symphony Orchestra, es folgen zwei Programme mit den Münchner Philharmonikern, Auftritte in Leipzig, Amsterdam, Brüssel, Tokyo, Stockholm, London...

 

Und Sie sind zum Ehrendirigenten des Philharmonischen Staatsorchesters Halle ernannt worden ...

 

Das hat mich gefreut, denn dort - von 1966 bis 1972 als Direktor der Robert-Franz-Singakademie und Dirigent der Halleschen Philharmonie - habe ich angefangen, das war für mich eine musikalisch und politisch wichtige Station. Ich habe dort auch mein Waterloo erlebt, insofern ist diese Ehrung heute etwas Besonderes.

 

Interview:Kerstin Leiße