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01. November 2017 · Das Orchester

Orchestergräben

Über die spezielle Situation des Orchestergrabens in Bayreuth. Und internationale Vergleiche. Interview mit Frauke Adrians

Um den Graben

des Bayreuther Festspielhauses ranken sich jede Menge Legenden, Musiker erzählen

Abschreckendes von Enge, Hitze und Lärm. Sie haben gerade zwei Jahre mit dem

Bayreuther Parsifal hinter sich: Wie

arbeitet es sich in Wagners „mystischem Abgrund“?

 

Ich habe ja die wichtigsten Gräben in Europa, Amerika

und Japan erlebt und kann daher sagen: Es gibt nichts Vergleichbares! Im

Bayreuther Graben haben es Dirigenten und Musiker schwerer als in allen anderen

Orchestergräben. Das fängt schon bei der Sitzordnung an: Die Kontrabässe sind

geteilt und haben keinen Kontakt zueinander, die Bratschen und Celli sitzen in

langen Reihen und haben keinen Kontakt zum Stimmführer. Die Ersten Geigen

sitzen rechts, die Zweiten links. Nur die hohen Streicher nehmen die Sänger

überhaupt wahr. Die Aufgabe, eine Übereinstimmung zwischen Graben und Bühne

herzustellen, liegt vollständig beim Dirigenten. Und der muss komplett

umdenken: Normalerweise achtet er darauf, die Sänger kurz vor dem Orchester

singen zu lassen. Aber in Bayreuth geht der Klang des Orchesters erst auf die

Bühne und kommt dann zurück – das heißt, das Orchester muss vor den Sängern

liegen. Man hat als Dirigent also einige Kräfte aufzubieten. Zugegeben: Beim Parsifal, der für den Bayreuther Graben

geschrieben wurde, ist es etwas einfacher als etwa bei den Meistersingern oder beim Ring.

Das liegt auch an der Instrumentation.

 

Der Lärmpegel da unten ist wirklich gewaltig. Ich

hab’s nicht gemessen, aber ich kann mich an keinen Graben erinnern, in dem der

Klang sich dermaßen festbeißt. Da ist einem jedes Piano schon zu laut! Und es ist

eine ganz eigene Aufgabe, herauszufinden, wie man die Balance zwischen Bühne

und Graben hinkriegt. Das geht oft nur mit Telefon und dem im Publikum

sitzenden Assistenten am anderen Ende. Es kann vorkommen, dass der Dirigent bei

der Arbeit das Telefon unters Ohr geklemmt hat.

 

Eine weitere Schwierigkeit: Wagner hat den Graben auf

seine eigene Größe berechnet…

 

 … also

ungefähr auf Einssechzig …

 

 … ich bin aber zwanzig Zentimeter größer! Manche

Kollegen dirigieren gleich im Sitzen, aber das ist meine Sache nicht. Ich muss

permanent darauf achten, dass ich an die Abdeckung über mir nicht anstoße. In

der Oper ist man ja gewöhnt, nach oben zu dirigieren, nur: In Bayreuth hilft

das nicht viel. Wenn Parsifal in der aktuellen Bayreuther Inszenierung im Bad

sitzt, ist er für mich völlig unsichtbar. Ich kann dann nur hoffen, dass er

einen Monitor hat und mich sieht. Aber ich möchte ja auch den Sänger sehen

können! Nur so kann ich frühzeitig bemerken, ob es Schwierigkeiten gibt, ob er

zum Beispiel gerade einen Texthänger hat.

 

Eine weitere Erschwernis ist die Temperatur. 2016

hatten wir im Graben bis zu 36 Grad, dabei war es ja gar kein besonders heißes

Jahr. Jeder sitzt natürlich nur im T-Shirt da, als Dirigent muss man sich dann

schnell noch umziehen, ehe man zum Schlussapplaus auf die Bühne geht.

 

Ich bin mir sicher: Wenn es nicht die Bayreuther

Festspiele wären, wäre kein Orchester bereit, unter solchen Bedingungen zu

arbeiten, aber das Endergebnis beflügelt alle wieder.

 

Haben Sie vor

Ihrem Bayreuth-Debüt 2016 Kollegen um Rat gefragt, wie man mit dem Graben

fertig wird? Haben Sie sich Tipps geben lassen?

 

Nein, ich hatte ja schon vor Jahren bei Pierre Boulez

in Bayreuth hospitiert und kannte den Graben und seine Tücken. Ich denke, ich

habe es ganz gut bewältigt, und besonders im zweiten Jahr hat mir die Arbeit in

Bayreuth viel Freude gemacht. 2016 war es nicht ganz leicht, auch für das

Orchester nicht: erst der Schock der Absage von Andris Nelsons, und dann kam

ich mit meinen ganz eigenen Vorstellungen und neuen Noten. 2017 waren wir

natürlich viel besser aufeinander eingestimmt.

 

Gibt es Pläne,

dass Sie in den kommenden Jahren wieder in Bayreuth dirigieren?

 

Bisher nicht. Von Anfang an war klar, dass ich den

Parsifal nur maximal für zwei Jahre übernehme, denn Andris Nelsons wollte ihn

nur zwei Jahre lang machen – die Jahre danach waren also längst an einen

Kollegen weitergegeben. Aber davon abgesehen könnte ich mir gut vorstellen,

wieder in Bayreuth zu arbeiten. Auch atmosphärisch, in der Zusammenarbeit mit

dem Orchester, spräche sicher nichts dagegen. Bayreuth ist schon ein besonderer

Ort mit einer besonderen Atmosphäre und einer sehr guten Zusammenarbeit. An

diesem Haus bekommt man wirklich Unterstützung von allen Seiten. Da stellt man

sich gern der Herausforderung des Grabens.

 

Gibt es überhaupt

Orchestergräben, die richtig angenehme Arbeitsplätze sind?

 

Es gibt keinen Graben, der nicht irgendwelche Tücken

hat. Es ist problematisch, wenn die Hälfte des Orchesters quasi unter der Bühne

sitzt. Auch klanglich bringt das Schwierigkeiten mit sich: Der eine Teil des

Orchesters klingt gedeckelt, der andere völlig frei; hier die Balance zu

finden, ist schwer. Ein anderes Extrem ist die Nationale Opera Amsterdam. Dort

ist der Graben zwar nicht tief, aber 26 Meter breit, das heißt, das Orchester sitzt

sehr weit auseinandergezogen. Die Musiker auf der linken Seite hören die auf

der rechten nicht und umgekehrt. Ich habe deshalb ein Lautsprechersystem

eingeführt, aber letztlich sind das nur Notlösungen.

 

Am besten sind diejenigen Opernhäuser, deren Gräben

weder zu tief noch zu breit sind. Die Opéra Bastille zum Beispiel hat einen

schönen Graben, der für eine große Besetzung geeignet ist und einen

gleichmäßigen Klang ermöglicht. Die Gräben in Los Angeles und in München sind

ebenfalls gut. Der Graben der alten Berliner Staatsoper war zu klein und hatte

eine staubtrockene Akustik – ich bin mir sicher, dass das nach dem Umbau nur

besser geworden sein kann; da bin ich wirklich gespannt! Wobei Um- und

Neubauten nicht immer eine Verbesserung bedeuten. In der Semperoper hat man den

Graben, der Anfang des 20. Jahrhunderts vergrößert worden war, später „historisch

korrekt“ neu gebaut, sodass er bei der Wiedereröffnung 1985 praktisch wieder zu

klein war. Früher gab es dort eine Ziegelwand, die sich leicht herausnehmen

ließ, doch sie wurde durch eine Betonwand ersetzt. Inzwischen ist aber wieder

die Möglichkeit zur Vergrößerung entstanden.

 

Wo neue Opernhäuser entstanden sind, gibt es oft gute

Arbeitsbedingungen. Helsinki hat ein fantastisches Opernhaus mit einem

wunderbaren Graben und einem sehr guten Probenraum – da stimmt auch die

Akustik. Das neue Haus in Kopenhagen ist hervorragend, das gleiche gilt für Tokio.

Und trotzdem: Es wird immer schwer bleiben im Graben. Ich bewundere die Musiker

oft für ihre Geduld, mit der sie die Enge und die Lautstärke ertragen. Wie viel

Dezibel es sein dürfen, wird heute ja von der EU vorgegeben – mit der

Konsequenz, dass man einen guten Teil des Repertoires ohne Gehörschutz kaum

noch spielen kann. Aber jeder Musiker hat das Recht auf einen guten Hörschutz.

Und auf erträgliche Temperaturen im Graben!

 

Sie kommen

ursprünglich vom Chor her, haben mehrere Kammerorchester

geleitet, dirigieren Sinfoniekonzerte und Oper. Wo sehen Sie Ihren Schwerpunkt?

 

2014 habe ich die Leitung des Kammerorchesters Carl

Philipp Emanuel Bach abgegeben, bis dahin habe ich drei Dinge paritätisch

gemacht: sinfonische Konzerte, Kammerorchester und Oper. Im Moment entstehen

die Schwerpunkte in jedem Jahr neu: 2017 habe ich vier Opernproduktionen

geleitet, 2018 habe ich gar keine auf dem Plan. Das ergibt sich so von selbst,

ich habe kein Problem damit.

 

Ich freue mich schon sehr auf die Camerata Salzburg

und die Eröffnung des Mozartfestes Würzburg im Mai. Auch wenn ich im Moment ein

wenig auf das große romantische Repertoire festgelegt bin, dirigiere ich auch

Konzerte, die Mozart und Wagner vereinen, und versuche, meine Kenntnis der

Aufführungspraxis vom 18. bis zum 21. Jahrhundert so breit wie möglich zu

halten. Ich würde mich also weder als Opern- noch als Konzertspezialist

bezeichnen. Meine Anfänge in Halle waren rein sinfonisch, mit der Verantwortung

für den Chor. Und dann habe ich mir gesagt: Ich will auch Oper machen. Meiner

Erfahrung nach befruchten sich die verschiedenen Sparten gegenseitig. Das gilt

nicht nur für Dirigenten, sondern auch für Orchester: Diejenigen, die auch Oper

spielen, sind flexibler als die reinen Konzertorchester und dort, wo viel

Kammermusik gemacht wird, sind die Orchester feinfühliger.