Kammerorchester

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09. Juli 1999
Nr. 156, S. 67
Ein Bach, der die Richtung ändert
Konzert im Kloster Eberbach
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Johann Christian, der jüngste Sohn Sebastians, war allerdings auch drei Jahre jünger als Haydn, wurde also gewissermaßen in die Klassik hineingeboren. Man hüte sich jedoch vor der Vorstellung, seine älteren Komponistenbrüder seien in ihrem Willen nach Erneuerung konzilianter gewesen. Werke von Wilhelm Friedemann (1710-1784) und Carl Philipp Emanuel (1714-1788) Bach, die das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach Berlin jetzt bei einem Gastspiel im Kloster Eberbach mit bekannten Stücken des alten Bach konfrontierte, offenbarten krasse Unterschiede.

Am wenigsten gilt das zwar für eine Orchestersuite g-Moll, mit der dieses Konzert des Rheingau Musik Festivals begann, aber es nimmt doch wunder, daß diese Musik bislang Johann Sebastian zugeschrieben wurde und als dessen Suite Nr. 5 (BWV 1070) galt. Das emotional aufwühlend und zerrissen wirkende Stück scheint passagenweise mit dem Spätstil Sebastians kaum vereinbar, verweist eher auf einen typischen "Sturm und Drang"-Tonfall der Frühklassik, kennt erst recht kein majestätisches Schreiten, wie es für barocke Prunkmusiken noch selbstverständlich war. Noch eindeutiger zuordnen läßt sich die Streicher-Sinfonia h-Moll Wq 182 Nr. 5 von Carl Philipp Emanuel Bach, deren Experimentiergeist den von Haydns mittlerer Schaffensphase noch weit übertrifft. Allerdings wurde diese Sinfonie auch erst 1773 konzipiert, als das Barockzeitalter längst überwunden war.

Hartmut Haenchen und sein Kammerorchester stellten diese Sinfonie, die sie vor einigen Monaten schon in der Alten Oper Frankfurt vorgestellt hatten, mit all ihrer kompromißlosen Schärfe in den hallreichen Klangraum der Basilika. Beim Konzerteinstieg mit Wilhelm Friedemann Bach hatten sie die akustischen Verhältnisse noch weniger perfekt im Griff gehabt: Die Musik klang eher pastos, undifferenziert und manchmal undurchdringlich.

Recht transparent hingegen gelang auch der zweite Konzertteil: Johann Sebastian Bachs Konzert für Oboe, Violine, Streicher und Basso continuo c-Moll BWV 1060 - Haenchen konnte mit Nigel Shore und seinem Ersten Konzertmeister Thorsten Rosenbusch auf zwei vorzügliche Solisten zurückgreifen - erklang in einem eher schlanken, rhythmisch wendigen Tonfall, wobei von dem einzigen Bläser eine solistische Wirkung ausging, während der Geiger sich eher als "Primus inter pares" integrierte.

Das hurtig und präzise musizierte Brandenburgische Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048 mit einer ausgedehnten Cembalokadenz von Haenchen bildete den Abschluß, und da der Applaus groß, das Musikpensum dieses Abends aber nicht allzu gewaltig gewesen war, überraschten die Gäste noch mit zwei Zugaben: Auf Sebastian Bachs gefühlvolle Air aus der Orchestersuite Nr. 3 D-Dur BWV 1068 folgte eine Fuge in g-Moll von Johann Adolf Hasse, der zu Lebzeiten, wie Haenchen betonte, eine viel glanzvollere Karriere vorzuweisen hatte als der alte Bach. HARALD BUDWEG