Opern

Stuttgarter Zeitung, 10. Mai 1983
Beseelt durch einen Zauberstab
Hartmut Haenchen dirigiert in Stuttgart Mozarts "Zauberflöte"

(...) An Selbstvertrauen scheint es jedenfalls Hartmut Haenchen nicht zu mangeln, der sich, an der Ostberliner Komischen Oper mit seiner Einstudierung von Aribert Reimanns "Lear" zu raschem Ruhm gelangt, mit der von ihm sozusagen aus dem Stand dirigierten "Zauberflöten"-Vorstellung als ein Könner von Rang und so bezwingender Suggestionskraft erwies, daß man ihn gern häufiger am Pult unserer Staatsorchestralen sähe - auch schon vor seinem für Mai nächsten Jahres angekündigten Sinfoniekonzert.
Haenchen, mit seiner großen, schlanken Erscheinung seinen Namen eher Lügen strafend, ist ein Mann der weit ausholenden Gesten, der den Sängern auf der Bühne ihre Texte so hypnotisierend zudeklamiert, daß sie gar nicht anders können, als sich seinem Deklamationsfluß anzupassen. Und genauso befeuert er die Orchestermusiker, umschmeichelt er die Streicher, daß sie ihren schönsten Seidenglanz schimmern lassen, ermutigt er die Holzbläser, ihre ganze Seele in ihre Phrasierungen zu legen, spitzt er den Pauker an, seine Schlegel wie Instrumente der Feinstpräzision zu gebrauchen. So gewinnt die "Zauberflöte" unter seinen Händen eine wundersame Leichtigkeit, eine Flexibilität und Leuchtkraft, dank deren sie alle Routine-Erschlaffung hinter sich läßt. (...) Vor allem aber ist Haenchen ein Dirigent, der die Sänger zu inspirieren vermag, der geistesgegenwärtig auch einen Schmiß der Tölzer Sängerknaben ausbügelt. Alles in allem also ein Mann, dem wir einmal eine hiesige Neueinstudierung anvertraut wünschten. Seine Stuttgarter Feuer- und Wasserprobe hat er jedenfalls glanzvoll bestanden - gewährt hat er uns an diesem Abend nicht nur Isis', sondern auch Mozarts Glück. (...)

Horst Koegler