Opern

Opernwelt, 01. März 2015
Opernwelt, 1. März 2015

Die Kunst des Innehaltens
Hartmut Haenchen und Lukas Hemleb vergegenwärtigen Glucks «Iphigénie en Tauride» in Genf als Kammerspiel unterdrückter Gefühle

... Hartmut Haenchens überlegtes Dirigat erweist sich diesem Regiekonzept als kongenial. Dem musikalischen Leiter der atemberaubenden Aufführung gebührt noch vor der Primadonna der Primat am musikalischen Teil der Produktion. Denn Haenchens Mut zu zurückhaltenden und zurückgehaltenen Tempi lädt Glucks lapidare Musik, über die so oft hinwegmusiziert wird, mit extremer Spannung auf. .... zwang der langsame Puls der Rezitative die Sänger zu genauer, verständlicher Deklamation und zur gestischen Verdeutlichung des Gesagten. Anrührend und begeisternd, wie es Haenchen gelingt, im Finalechor des zweiten Aktes, aber auch in der berühmten Arie der „malheureuse Iphigénie“ die Zeit bis zum Zerreißen zu dehnen und sich trotzdem noch ergreifende Ritardandi zu erlauben. ... Hinreißend sein von Gluck als „Arie“ deklariertes Solo am Ende der Albtraumszene im zweiten Akt: sechzig in höchster Anspannung gehaltene Takte auf der Dominante, die Haenchen als marternden suspense gestaltet – ganz im Sinne der Beobachtung einer zeitgenössischen Schriftstellerin, Gluck wisse „durch die Begleitung das auszudrücken, was in der Seele vorgeht, selbst wenn es die Worte zu verbergen trachten“. ....In Genf ist Hemleb, Polzin, Schidt-Futterer, O’Keffe und Haenchen eine bemerkenswerte Rückbesinnung auf die „noble simplicité“, ... gelungen.
Anselm Gerhard
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