Opern

Neue Zürcher Zeitung, 26. Juli 2016
Bei der Neuinszenierung von Wagners «Parsifal» wird der Einspringer am Pult zum Helden des Abends.
..."Umso mehr beeindruckte, was dem Dirigenten Hartmut Haenchen ... bei seinem Debüt auf dem Hügel gelang.
Haenchen nämlich hatte nach dem Rückzug von Andris Nelsons Ende Juni wenig mehr als die Haupt- und Endproben zur Verfügung, um seine Sicht der musikalischen Dinge bei Orchester und Sängern zu etablieren. Dass ihm dies in der Kürze der Zeit gelang, war das eigentliche Ereignis dieser Festspieleröffnung. Und mehr noch: Nach dem an internen Widerständen gescheiterten Vorstoss Thomas Hengelbrocks im «Tannhäuser» von 2011 ist Haenchens Dirigat der erste nennenswerte Versuch überhaupt, endlich auch in Bayreuth eine an historischen Spielweisen und dem genauen Studium des autografen Materials orientierte Wagner-Interpretation durchzusetzen.
Anders als Hengelbrock mit dem frühen, nie für den hiesigen Graben konzipierten «Tannhäuser» hat Haenchen mit Wagners letztem Bühnenwerk die ideale Partitur für diese Bestrebungen auf seinem unsichtbaren Pult im Graben – wie subtil die Instrumentierung des «Parsifal» auf die Eigenheiten (und Tücken) der Bayreuther Akustik abgestimmt ist, macht diese Aufführung gerade durch ihre Zurücknahme im Klanglichen exemplarisch deutlich. Denn es ist nicht das von Dirigenten wie Knappertsbusch und später von Levine und Barenboim tradierte Mischklang-Ideal der Spätromantik, das heute vom amtierenden Musikdirektor Christian Thielemann in Vollendung zelebriert wird, sondern ein erstaunlich filigraner Klang, der näher bei Mendelssohn, Schumann und einem historisch entschlackten Brahms-Stil steht als bei Strauss und Pfitzner. Das verleiht besonders dem dritten Akt eine Zerbrechlichkeit und kristalline Leuchtkraft, die im entrückten «Karfreitagszauber» nicht zuletzt die unterschwellige Melancholie dieser Weltentsagungsmusik hervortreten lassen.
... Das «Bühnenweihfestspiel» muss eben nicht in Klangnebeln wabern, um Erhabenheit und «Weihe» zu verbreiten. Die Spieldauer von lediglich knapp vier Stunden (ohne die beiden einstündigen Pausen) offenbart die durchweg fliessenden, nie behäbigen Tempi Haenchens, ohne dass diese erhebliche Beschleunigung jemals forciert oder unorganisch in Erscheinung träte. ..."
Christian Wildhagen
Ganze Rezension