Opern

Die Welt, 04. Dezember 2002
Neue Rezitative

Mozarts "La clemenza di Tito" in Amsterdam

Vitellia wütet: "Genug, Sextus! Kommst du denn immer nur, um mir dasselbe zu sagen?" Dabei irrt die römische Patrizierin, die gleich zu Anfang den in sie verliebten adeligen Handlanger anmacht, auf dass er endlich den schwer an seiner Milde tragenden Kaiser Titus beseitige. Diesmal nämlich sagen sie zwar dasselbe, aber sie singen es anders. Statt eines zirpenden Cembalos irrlichtern um Vitellias Tiraden nervös böse Klarinetten. Und Sextus antwortet zum zögerlich-zagenden Klagelaut der aus pastosem Orchesterklang heraustönenden, ihn auch in seinen ariosen Selbstentblößungen begleitenden Bassettklarinette.

Nichts ist mehr wie es scheint, das Opernleben mutiert zur Mozart-Baustelle. Auch wegen der Container, die Jan Versweyveld vom Orchester aus zum Schnürboden aufgeschichtet hat. Umstellt von Pfosten, Metallrosten, Stegen und Treppen verraten sie differenzierte soziale Rangabstufungen. Jeder Kasten wird, haben sie erst einmal ihre Rollläden gelüftet, von einem der sechs Protagonisten bewohnt; oben haust naturgemäß der leidlich an Glanz verloren habende, mit seiner Höhe kämpfende Titus von Jerry Hadley. Neu und anders ist freilich diesmal an der Niederländischen Oper in Amsterdam der Mozart-Kitt.

Manfred Trojahn, dem theatralischen Experiment nicht abgeneigt, hat auf Anregung des mit dem flexiblen Nederlands Kamerorkest mittenmang auf der Bühne als siebtem Protagonisten platzierten Hartmut Haenchen, die Rezitative von "La clemenza di Tito" neu vertont. Er ist der erste nicht, schließlich war man über die in der Eile hektischer Prager Krönungsfeierlichkeiten für Leopold II. wohl vom Mozart-Schüler Franz Xaver Süßmayr dahingenadelten Zwischendialoge nie glücklich: Zu schematisch dröge, zu sehr die Handlung aufhaltend.

Mit seinen neuen, kaum längeren, parlandohaft vorantreibenden Gelenkstücken aber gelingt Trojahn das Gegenteil: Ist die Ouvertüre routiniert befeuert, schlank und schön (wie später auch der Rest) vorrübergerauscht, macht sich neutönerische Irritation breit. Die erst mutwillig den Bruch in die Moderne betont, schnell aber &endash; mit der gleichen Orchesterbesetzung auskommend &endash; dem Werk eine neue Dringlichkeit verleiht. Einen "Sturm im Wasserglas" nennt es Trojahn. Jede Figur wird nun mit isolierten Soloinstrumenten versehen, gewinnt an Farben und Tiefenschattierung, wird theatralisch überhöht. Spannung plumpst nicht mehr zwischen den einzelnen Nummern in ein Musikloch, steigert sich bis zur pompös mit Gasfeuerstichflammen inszenierten Katastrophe des von Sextus gelegten Kapitolbrandes.

Die vokal generöse, stilistisch provinzielle Vitellia Charlotte Margionos klingt nun wie eine aufreizend madamige Schwester der Lulu. Lichte Flöten umspielen straussisch raffiniert die mädchenhafte Gefasstheit der zwischen Titus und ihrem Verlobten Annius (aufrichtig klar: Hana Minutillo) herumgereichten Servilia der sopranleuchtenden Ofelia Sala. Gläsern in einsamen Herrscherhöhen zirpt das Cembalo an Titus' Seite. Überraschend, wie feinfühlig Trojahn seine bewusst aus dem Stimmungsreservoir der Klassischen Moderne sich bedienenden Neuschöpfungen stilistisch, harmonisch und dynamisch Mozarts Partitur annähert, gleitende Übergänge schafft; dienend und doch eigenständig.

Manuel Brug