Opern

FAZ, 06. Juni 1995
Ein Haufen zum Lachen oder Weinen
Hartmut Haenchen dirigiert, Harry Kupfer inszeniert Wagners "Meistersinger von Nürnberg"
.... Hartmut Haenchen suchte zum Vorspiel an der Musik Richard Wagners alle Schwere und die in der Langsamkeit drohende Tiefinnigkeit, also das "typisch Deutsche" zu nehmen. "Ich gehe davon aus, daß die ,Meistersinger' weniger deutsch-national sind als ihr Ruf. Deswegen halte ich es auch für gerechtfertigt, dieses Werk in diesem Kontext zu spielen", erläuterte der Dirigent und verwies darauf, daß "gerade dort, wo von deutsch die Rede ist, die leichtfüßigsten Motive auftauchen, die Wagner je erfand". Wenn man den Text genau lese, dann wäre zu sehen, "daß es ihm um etwas ging, was man heute die ,McDonald-Kultur' nennen könnte. Wagner hatte in seiner Zeit die Sorge vor Überfremdung der Kultur, der er gegensteuern wollte. Im übrigen konnte er nicht ahnen, wozu dieses Werk in der Rezeptionsgeschichte genutzt und mißbraucht wird." Gegen den Mißbrauch der "Meistersinger" als Bühnenweihfestspiel rannte das Nederlands Philharmonisch Orkest unter Haenchens Leitung mit Lust und Laune an. Bei aller Zügigkeit, Eleganz und Differenzierung wurde so gut wie makellos musiziert. Das vorgelegte Tempo sorgte dafür, daß der zweite Aufzug deutlich weniger als eine Stunde dauerte und die "Prügelfuge" zur wahren Treibjagd eskalierte. Das sollte nicht wegen eines möglichen Eintrags im Guinness-Buch der Rekorde so sein, sondern aus der entschiedenen Absicht heraus, das Behäbige aufzumischen. Gerade aber auch die Zartheiten der "Komischen Oper" Wagners blühten in dieser musikalisch hochrangigen Produktion....

Haenchen suchte für die Amsterdamer "Meistersinger" bei allem Furor, aller Turbulenz "aus der Partitur heraus und in der Zusammenarbeit mit Harry Kupfer eine Lesart zu finden, die deutlich macht, was die Intentionen von Wagner waren". Dabei war man sich "der Problematik von Meistersinger Wagners Denkweisen in bestimmter Richtung, die gerade hier in Holland von jüdischen Menschen sehr argwöhnisch betrachtet werden", durchaus bewußt und vor der Premiere auch etwas bang. Dennoch, so der Dirigent, gehe er davon aus, "daß dieses Stück in Holland auch von seinem großen humanistischen Gehalt her verstanden wird und als das, was es eigentlich ist: ein Stück über den idealen Lehrer, der anerkennt, daß ein Schüler (oder jemand, der sich an ihn wendet) einfach besser ist als er selber und diesen fördert, nicht den Blick verstellt".
FRIEDER REININGHAUS
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