Opern

Süddeutsche Zeitung, 06. Juli 2016
Der Erlöser
Hartmut Haenchen dirigiert "Parsifal" in Bayreuth
Nur wenige Tage nachdem Dirigent Andris Nelsons erklärt hatte, bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen nicht die Neuinszenierung des ,,Parsifal" zu leiten, präsentiert das Festival einen Nachfolger. Der heißt Hartmut Haenchen und ist Insidern und vor allem in Amsterdam, wo er über zehn Jahre lang die dortige Oper aJs Musikchef leitete, durchaus vertraut, er wird dort geliebt. In Deutschland allerdings ist er noch immer fast ein Geheimtipp, was sogar für seine vom Publikum wie von den Kritikern ausnehmend geschätzten Wagner-Darbietungen und insbesondere den ,,Parsifal" gilt.
Vor fünf Jahren hat der 1943 in Dresden geborene, dort im Kreuzchor ausgebildete und auch residierende Hartmut Haenchen den ,,Parsifal" an Brüssels Opernhaus La Monnaie geleitet, der Theaterverweigerer Romeo Castellucci führte Regie. Spektakulärerweise spielte der ganze erste Akt in einem Urwald, selten nur bekam man die Sänger zu Gesicht, meist wies nur ein Rascheln im Laub auf sie hin. Für Haenchen spricht, dass er sich auf dieses Experiment eingelassen hat, sich aber vor allem mit seinem Dirigat gegen diese Bilderwaldflut behaupten konnte. Wie schon drei Jahre früher in Paris bot Haenchen einen extrem zügigen ,,Parsifal". Was zwar der dieses Stück esoterisch verschleppenden Aufführungspraxis widerspricht, sich aber voll und ganz äuf Richard Wagners Willen stützen
kann. Denn der wollte hier Fluss und Tempo, aber nicht Stagnation und Gewaber.
Damit ist Haenchen das genaue Gegenteil von Daniel Barenboim, dem derzeit suggestivsten,,Parsifal" -Dirigenten überhaupt. Haenchens Lesart ähnelt eher derjenigen des Anfang des Jahres gestorbenen Komponisten-Dirigenten Pierre Boulez, der den ,,Parsifal" zu Beginn und am Ende seiner Bayreuth-Karriere auf dem Grünen Hügel ähnlich zügig und ideologisch entschlackt dirigierte wie Haenchen. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten.
Denn der Komponist Boulez war vor allem am komponistischen Raffinement Wagners interessiert. den er als Gründervater der (französischen) Avantgarde ververdrängt worden. Kein Zufall, dass sich gerade Dirigenten wie Rattle, Thielemann, Nelsons und Petrenko gegen dieses Berufsbild und die Anforderüngen der glitzernd schnelllebigen Eventkultur stellen.
Von daher liegt also der Kapellmeister Haenchen völlig im Trend der Zeit. Dass er jetzt ausgerechnet mit dem ,,Parsifal" sein spätes Debüt in Bayreuth geben kann, ist zudem eine Art historischer Gerechtigkeit. In seiner Presseerklärung zu seinem Bayreuth-Engagement listet Haenchen einfach nur auf, wo und wann er den ,,Parsifal" schon dirigiert hat. Aber diese Liste ist weit mehr als eine Liste, sie ist ein Doku- ment der deutschen Nachkriegsgeschichte:,,In der DDR war "Parsifal" verboten. Herbert Kegel brach dieses ,Verbot' mit einer konzertanten Aufführung. Ich war der zweite Dirigent, der eine szenische Aufführung als Chefdirigent der Mecklenburgischen Staatskapelle durchsetzen wollte. Die szenische Aufführung wurde verboten, es wurden konzertante Aufführungen. Dann inszenierte Harry Kupfer ,Parsifal' an der Berliner Staatsoper. Ich dirigierte dort zwei Vorstellungen (ausverkauft an Stasileute, damit das normale Publikum nicht hineinkonnte)." Indem Bayreuth, dessen politische Rolle im Dritten Reich geradezu niederträchtig war, jetzt Hartmut Haenchen verpflichtet, wird auch noch einmal an die wenig rühmliche und oft verdrängte DDR-Geschichte erinnert.
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Aus musikalischer und historischer Sicht kann man die Berufung Haenchens also als einen idealen Glücksfall für die in den letzten Jahren immer wieder arg gebeutelte Bayreuther Festspielleitung be- trachten. Es gehört wohl zu den Ausnahmen, dass eine Produktion wie jetzt der ,,Parsifal" erst den Regisseur schasst (ursprünglich war der gern durch Provokationen auffallende Künstler Jonathan Meese vorgesehen) und dann noch den Dirigenten vergrault. Das ist schon verdammt viel Pech, sodass es zunehmend Stimmen gibt, die an den Führungsqualitäten von Festspielchefin Katharina Wagner zweifeln.
Zumal solche Skandälchen in den letzten Jahren Konjunktur haben. Dazu gehörte im Vorjahr der würdelos inszenierte Abgang von Co-Intendantin Eva Wagner genauso wie die kurzfristige Umbesetzung der Isolde oder davor die zunehmend verzweifelte Suche nach einem möglichst spektakelmächtigen Regisseur für die letzten beiden ,,Ring"-Produktionen. Aber das passt bestens zu Wagner und Bayreuth, für beide war der Skandal immer mindestens genauso wichtig wie die Kunst. Hartmut Haenchen ist endlich einmal ein Künstler, der nur in der Kunst lebt. Und schon das ist im Bayreuther Sumpf eine Wohltat.
REINHARD J. BREMBECK