Opern

Opernwelt, 01. Juni 2017
Konsequent

Cosi fan tutte? Schön wär’s. Nur wenige Dirigenten durchforsten die Partitur dieses Dramma giocoso mit solch mikroskopischer Präzision und geschärftem dramaturgischen Sinn, wie es jetzt Hartmut Haenchen in der Opéra des Nations unternommen hat. Fast möchte man von einer revolutionären Tat sprechen, wäre nicht die Partitur schon ebenso beschaffen. Haenchen folgt ihr, auf der Grundlage der Neuen Mozart-Ausgabe, lediglich auf dem Fuße, bis in letzte, verborgene Ecken. Das Resultat ist gleichwohl nur dialektisch zu begreifen: Dadurch, dass er die Musik entblößt, hier und da sogar zerrupft, erscheint sie in ihrer ganzen Vielfalt als das, was sie ist: ein Geniestreich.
Haenchen erkundet ihn schon in den Rezitativen, die Xavier Dami (Cembalo) und Jakob Clasen (Violoncello) ingeniös ausschmücken, über die Rhetorik, den Rhythmus und das Tempo, dessen Relationen hier perfekt stimmen, schon in der Ouvertüre: Der Andante-Welt steht, schroffes Gegenbild, die Presto-Welt gegenüber, der Besänftigung die wollüstige Raserei. So konsequent verfolgt Haenchen dieses Prinzip, dass man nicht einmal nach der Pause die irdischen Längen des Stückes spürt. Zu pikant sind die Wechselfälle der Musik, zu heftig die Umschläge vom Erhabenen ins Triviale.
In den raschen Sätzen reicht die schlüssige Deutung bis an die Grenze der Spielbarkeit heran, beschleunigt die Dinge aber exakt. Haenchens Genfer Glück will es, dass er vor sich die Musiker des glänzend disponierten Orchestre de la Suisse Romande weiß, die seine Vorgaben überaus versiert umsetzen. So etwa in Dorabellas Arie „Smanie implacabili“ wo die Begleitsextolen blitzartig vorüberhuschen. Und so im Terzettino „Soave sia il vento“. Plötzlich bricht die Pastorale ins Stück hinein, wirkt beinahe wie eine Traumsequenz, was sie streng genommen ja auch ist: Die Gefühle, die hier zur Schau getragen werden, sind reiner Schein: Seelenbetrug.
Mozart entlarvt, ironisch-anmutig, beides, mit gezielten Akzenten. Haenchen vergisst nicht einen einzigen, wissend, dass diese Akzente der Pfeffer sind, den der Komponist in die heitere Geschichte gestreut hat. …Fazit: ... gehen, beseelt von einer grandiosen musikalischen Interpretation, glücklich nach Hause. Und zwar tutti quanti.
Jürgen Otten
Ganze Rezension auf den Seiten 45/46