Opern

Opernwelt, 29. September 2017
... "Dass die Abende auf dem Grünen Hügel trotzdem Maßstäbe setzten - 2016 und abermals während des jüngsten Festspielsommers -, ist Hartmut Haenchen zu verdanken, dem Zuchtmeister eines historisch informierten, konturenscharfen, sinnlich-schlanken Wagner-Klangs, der den größtmöglichen Kontrast zu karajanesker Legato-Feierlichkeit markiert."...
Opernwelt, 01. September 2017
..."einen einzigartigen «Parsifal»-Dirigenten wie Hartmut Haenchen"... (Editorial)
Ganze Rezension
Opernwelt, 01. September 2016
Hartmut Haenchen dirigiert bei den Bayreuther Festspielen einen «Parsifal» von enigmatischer Poesie.
..."Musikalisch ist der Abend von anderem Kaliber. Hartmut Haenchen ... dirigiert einen überlegen unpathetischen, klanglich fein ausdifferenzierten, trotz aller Helligkeit soghaften "Parsifal". Zwei Voraussetzungen gibt es: Da ist zum einen die jahrzehntelange Beschäftigung mit dem Werk... Und dann ist da Orchestermaterial, das der Dirigent in Ermangelung textkritischer Stimmen erstellt und nach Bayreuth mitgebracht hat. Für die Musiker dürfte das keine Kleinigkeit gewesen sein. Es geht ja nicht nur ums neue Lesen, sonder um veränderte physische Abläufe. Geteilte Bogenstriche, schwere Akzente, leichte Staccati, Wechsel von Vibrato und Non-Vibrato, genau regulierte Dynamik solche Finessen der Artikulation haben mit Fingern, Handgelenken, Lippen, Lungen zu tun. Verdientermaßen kam das Festspielorchester danach auf die Bühne und wurde mit seinem Dirigenten umjubelt. War dies doch nichts weniger als der erste Versuch, dem für Bayreuth geschriebenen Stück in Bayreuth mit einem historisch geschulten Klangbewusstsein nahezukommen. Dazu braucht es weder alte Instrumente noch überdehnte Probenphasen oder einen künstlich tiefgelegten Stimmton. ... Hartmut Haenchen sollte seinen spannenden Ansatz unter normalen Probebedingungen ausfeilen können. Und Andris Nelson ... wäre schlecht beraten, wenn er bei diesem "Parsifal" noch einsteigen würde."
Stephan Mösch
Ganze Rezension
Opernwelt, 01. März 2014
Unter dem Titel "Neue Liturgie" vergleicht Gerhard Persché zwei neue Parsifal-DVDs aus der MET und aus Brüssel und kommt zu dem Ergebnis:
"Ganz anders Hartmut Haenchen auf dem Mitschnitt aus der Brüsseler Monnaie. Souverän bringt der Dirigent seine Kenntnis der historischen Aufführungspraxis (der er sich freilich nie modisch anbiedert) ein, imaginiert den Orchesterklang der Wagnerzeit und faltet diesen zu gleicher Zeit im Sinne moderner Orchesterpraxis auf, verbindet Dringlichkeit und schmerzvolle Geste mit wunderbar entspanntem Puls, braucht um eine gute halbe Stunde weniger..."
Opernwelt, 01. Juni 2012
OPERNWELT, Heft 6, 2012, Seite 12

Kopenhagen gewinnt im skandinavischen «Parsifal»-Wettbewerb gegen Malmö.

Trauma und Tai Chi

Wagners «Parsifal», dirigiert von Hartmut Haenchen in Kopenhagen, dirigiert von Leif Segerstam in Malmö

So ein Wagner-Glück gibt es in Skandinavien nicht alle Tage: In zwei Städten, die nur ein sechzehn Kilometer schmaler Wasserstreifen trennt, standen «Parsifal»-Premieren auf dem Programm. Man musste nur über den Øresund fahren, jene geschichtsträchtige Meer­enge, die Dänemark von Schweden trennt, um erhellende Vergleiche zwischen den Aufführungen in Kopenhagen und Malmö zu ziehen: nicht nur in Bezug auf die unterschiedlichen Annäherungen der Regisseure Keith Warner und Stefan Johansson an Wagners Weltabschiedswerk, sondern auch hinsichtlich der völlig verschiedenen äußeren Bedingungen, unter denen die beiden Produktionen entstanden.

Keith Warner wollte mit «Parsifal» die erste eigene Regiearbeit in Kopenhagen vorlegen, seit er die Künstlerische Leitung der dortigen Oper (im Sommer 2011) übernommen hatte. Die Produktion sollte auch den Beginn jener neuen Ära markieren, die sich die dänischen Entscheidungsträger wünschten: Anhebung des künstlerischen Niveaus, um langfristig und nachhaltig international konkurrieren zu können. Es kam bekanntlich anders: Die neue Regierung kürzte Ende letzten Jahres das Opernbudget so radikal, dass Warner sich außerstande sah, die von ihm erwartete Mission zu erfüllen. Mit großer Geste trat er im Januar 2012 von seinem Amt zurück, so dass dieser «Parsifal» zu seinem Schwanengesang in Kopenhagen mutierte.

Gemeinsam mit seinem Dramaturgen Barry Millington entwickelt Warner eine düstere, unbequeme Lesart aus tiefenpsychologischer Perspektive. Sie scheut nicht die verstörenden, ideologisch kontaminierten Schichten: Religion, sexuelle Verfehlung und vor allem Antisemitismus – Themen, die der eminente Wagner-Kenner Millington immer wieder in den Fokus seiner Betrachtungen rückt. Die Gralswelt ist ein Sanatorium, ihr Oberarzt Gurnemanz. Seine Patienten sind Ritter von der traurigen, «traumatisierten» Gestalt. Amfortas kommt allein die Rolle eines primus inter pares zu, der sich nur durch die blutende Wunde auszeichnet. Bei der Enthüllung des Grals öffnet er Kisten, die – wie Matroschka-Puppen – kleinere Fassungen ihrer selbst enthalten. Allein: Der Gral bleibt unauffindbar, das Ritual läuft leer. Kundry erinnert mit ihrer weißen Strähne im schwarzen Haar an Susan Sontag. Eine Intellektuelle, schutzlos der siechen Männerwelt ausgeliefert – Sinnbild für Wagners Chauvinismus und Rassismus? In dieser Welt ist selbst Parsifal ein Kranker, als Einziger vollzieht er jedoch den Schritt vom Trauma zur Selbstfindung.

Der zweite Akt führt ins innere Ich. Durch die Gitterstangen eines Kinderbettchens bestaunt Parsifal mit großen Augen den Streit des Elternpaares Klingsor und Kundry. Freud steht Pate, wenn Keith Warner hier den Ödipus-Komplex zitiert: Verführung durch die Mutter und Vatermord inklusive. Dazu passt die ovale Öffnung eines gigantischen konischen Tunnels (Bühne: Es Devlin), der – mit rotem Stoff ausgekleidet – an eine gigantische Vagina denken lässt. Ein starkes Raumbildzeichen, das in verschiedenen Perspektiven und Funktionen den ganzen Abend beherrscht.

Auch am Ende verweigert Warner eine versöhnliche Geste: Die Gralskiste ist aus Papier und zerbröselt in Parsifals Händen. Was die Zukunft bringt? Keiner kann es sagen. In übertragenem Sinne gilt das auch für die Kopenhagener Oper. Die Lücke, die der englische Regisseur dort hinterlassen hat, ist noch nicht geschlossen.

Die gute Nachricht ist: Das bei der Premiere stimmlich überzeugende Ensemble bleibt Kopenhagen in Zukunft erhalten. Angeführt wird es von Stig Fogh Andersens Parsifal, der über die – freilich im Verlauf des Abends nachlassende – Strahlkraft seines geschmeidigen Tenors routiniert disponiert. Stephen Millings verkörpert Gurnemanz vielschichtig, ein Gebieter, vokal gesund und zuverlässig. John Lundgren debütiert als Amfortas, fächert eine breite Palette von Leidenstönen auf. Harry Peeters, der einzige Gast in Kopenhagen, bleibt als Klingsor blass und unter seinen Möglichkeiten. Im Unterschied zu Randi Stenes Kundry: dramatisch in der Höhe, mit gespannter Deklamation im unteren Register.

Größten Jubel verdient Hartmut Haenchen, der die Königliche Kapelle auf ein bisher ungehörtes Niveau führt. Die Wahl der Tempi, auf intimer Kenntnis der Aufführungsgeschichte fußend, der herrlich nuancierte Klang, der die raffinierten Strukturen der Partitur brillant hörbar macht, die umsichtig gesetzten dramatischen Gipfel – das ist eine Klasse für sich.

Ganz andere Akzente setzte Stefan Johansson, der seit 2011 als Chefdramaturg an der Oper in Malmö wirkt. Auch er lieferte mit «Parsifal» seine erste Inszenierung an neuer Wirkungsstätte ab. Von Hause aus Schauspielmann, ein enger Freund Ingmar Bergmans, baute er ab 1997 in Stockholm die Dramaturgie der dortigen Oper auf und will 2013 dorthin auch wieder zurück. Malmö ist nur eine Zwischenstation. Sein «Parsifal» verläuft in freundlichen, fast heiteren Bahnen. Man könnte an einen Abend aus der Zeit der Uraufführung denken (die passenden Kostüme entwarf Jan Lundberg). Naturalismus statt Subversion. Es gibt einen grünen Wald, eine Quelle, eine Säulenhalle als Gralstempel. Und viel Statik. Die Spannung zwischen den Figuren, vor allem zwischen Parsifal und Kundry, bleibt kraftlos, auch wenn Johansson eine Art Selbstfindung Parsifals anzudeuten versucht: Erst für den Kuss tritt Parsifal aus dem Proszenium auf die Bühne, auf der bis dahin ein junges Double ihn «vertreten» hat.

Die bescheidenen Ansätze, das Geschehen hier und da zu verfremden, ihm die Aura des Erhabenen zu nehmen, bleiben blass. Gurnemanz treibt Tai Chi-Gymnastik, Titurel tritt als Samuraikrieger auf, Klingsor hat etwas von einem verunglückten Tramp. Zum Schluss kann sich Johansson ein Augenzwinkern nicht verkneifen: Ein Kinderpaar, Klein-Parsifal und Klein-Kundry, schmökert in einer Riesenpartitur des «Parsifal», während Titurel und Klingsor wie zwei Martial-Arts-Krieger hinten in Zeitlupe einen Endloskampf austragen.

Malmö hat zwar kein Wagner-Ensemble, aber größere finanzielle Möglichkeiten, um renommierte Kräfte zu engagieren. Thomas Mohr als Parsifal gefällt mit frischem, schön-timbrierten Tenor. Reinhard Hagen überzeugt mit sonorer, samtiger Bass-Tiefe, die seinem Gurnemanz eine fast edle Gravitas verleiht. Susanne Resmark, aus Kopenhagen ausgeliehen, ist eine intelligente und ausdrucksstarke Kundry. Klingsor ist auch in Malmö zu leicht besetzt: Lars Arvidson charakterisiert die Figur mit ironischem Zungenschlag. Leif Segerstam, der neue Musikchef in Malmö, malt in der Tiefe des amphitheatralisch angelegten Orchestergrabens mit breitem Pinsel: viel große Geste, wenig Filigran.
Andreas Bücker
opernwelt, 29. März 2011
Der Maestro als Magier

"Musikalisch gelingt dieser dritte Akt in seltener Schönheit. Und nicht nur er. Hartmut Haenchen ist unbestritten einer der großen Wagner-Dirigenten unserer Zeit. Er kennt die Quellen bis ins Detail. Er denkt vom Orchesterklang der Wagner-Zeit aus, ohne sich einfach einer historisch informierten Aufführungspraxis anzudienen. Das hat gute Gründe. Denn Wagner war keinesfalls mit allem zufrieden, was damals möglich war. In vielem kommt ihm unsere moderne Orchesterpraxis durchaus entgegen. Bei anderem ist die historische Strenge essenziell. Haenchen balanciert das meisterhaft aus. Das Volumen von Blechbläsern und Streichern etwa, das durch heutige Instrumente so leicht aus dem Lot kommt. Oder den kammermusikalischen Reichtum der Mittelstimmen. Oder das elegante, in sich ausdifferenzierte An- und Abschwellen der großen Klangplateaus. Das alle funktioniert bei durchweg flüssigen Tempi, wie sie Wagner, wie sie Wagner mit dem Uraufführungsdirigenten Hermann Levi erarbeitete und wie sie von Richard Strauss über Clemens Krauss bis zu Pierre Boulez auch immer wieder für "Parsifal" reklamiert wurden, als Gegengift sozusagen zum weit verbreiteten Langsamkeitszinnober. Das das keinen Verzicht auf Poesie bedeutet, macht Hartmut Haenchens wunderbar entspannte, dennoch hochkonzentrierte Lesart deutlich. In Umkehrung der Regieabsicht formuliert: Hier wird der Maestro zum Magier. Er muß hart gearbeitet haben. Denn das Orchester von La Monnaie ist derzeit in keiner guten Verfassung...
Stephan Mösch
Opernwelt, 27. April 2008
OPERNWELT, Heft 5 2008 (S. 40-42)

...begegnet man in diesen Tagen einem musiktheatralischen Höhepunkt nach dem anderen in der französischen Kapitale. Hartmut Haenchen setzt „Parsifal“ unter Strom,.....

Erlöste Welt, kristallklar
Hartmut Haenchen entdeckt an der Pariser Opéra Bastille Wagners „Parsifal“ neu

Wagner, sagt Hartmut Haenchen, tickte deutlich schneller, als dessen durch wagnerianische Fürsorge gefestigter Ruf uns glauben macht. Schon für seinen Amsterdamer „Ring“-Zyklus hatte der Dresdner Dirigent die Originalquellen studiert – und zwar nicht nur das Notenmaterial, sondern auch Anmerkungen zur Aufführungspraxis, die sich in Briefen, in Cosimas Tagebüchern und in Aufzeichnungen von Wagners Assistenten finden. Die Recherchen förderten neue Einsichten zu Tage, die beinahe alle Aspekte der Interpretation betreffen – Phrasierung und Artikulation, Dynamik und Sprachbehandlung, Rhythmus – und vor allem Tempofragen. „Freund!“, schrieb der Meister etwa an Hans Richter, den Dirigenten des ersten Bayreuther „Ring“ 1876, „es ist unerlässlich, dass Sie den Klavierproben genau beiwohnen, Sie lernen sonst mein Tempo nicht kennen... Gestern kamen wir, besonders bei Betz (dem Sänger des Wotan), den ich am Klavier immer im feurigsten Tempo habe singen lassen, aus dem Schleppen nicht heraus. ...Ich glaube wirklich.., Sie halten sich durchgängig zu sehr am Viertelschlagen, was immer den Schwung des Tempos hindert...“ Und Cosima notierte im November 1878: „Richard ruft wiederum aus: „Nicht einen Menschen hinterlasse ich, welcher mein Tempo kennt.““
Das gilt zumal für das ganz auf die Akustik des gedeckelten Bayreuther Orchestergrabens zugeschnittene kunstreligiöse Gipfelwerk „Parsifal“, in dem Wagner die Bilanz seiner kompositorischen Erfahrungen zog. Seit der Uraufführung 1882 wurde sein opus ultimum zunehmend als Gottesdienst zelebriert. Das markanteste Zeichen dieser Sakralisierung war die kontinuierliche Dehnung der (Spiel-)“Zeit“, die hier bekanntlich „zum Raum“ wird. In einem Essay anlässlich der Neuproduktion des „Parsifal“ an der Pariser Opéra Bastille hat Hartmut Haenchen nun jenen Prozess der Entschleunigung penibel rekonstruiert, der Wagners ursprüngliche Intentionen auf den Kopf stellt. Während Hermann Levi für die Uraufführung (netto) vier Stunden und vier Minuten brauchte, erhöhte Karl Muck 1901 schon auf vier Stunden und siebenundzwanzig Minuten. Arturo Toscanini stellte 1931 mit vier Stunden und zweiundvierzig Minuten de Höchstmarke auf. Eine Tradition, die bis in de Gegenwart nachhallt: James Levine erreicht in seiner New Yorker Studioaufnahme von 1991/92 vier Stunden und dreißig Minuten.
Es gibt freilich eine gegenläufige Tradition. Sie reicht von Richard Strauss über Clemens Krauss bis zu Pierre Boulez, dessen energisch-zügige Tempi nicht unmaßgeblich dazu beitrugen, dass der Bayreuther „Jahrhundert-Ring“ 1976 in den mentalen Tempeln des Traditionalismus einen Schock auslöste. Einer der damaligen Hospitanten hieß Hartmut Haenchen. Und so kann es kaum überraschen, dass Haenchen im Fall „Parsifal“ heute dem Zukunftsmusiker Wagner vehement das Prä vor dem Klangkleriker gibt und dies mit Tempomaßen unterstreicht, die nur sechs Minuten über dem Krauss’schen Geschwindigkeitsrekord von drei Stunden und vierundvierzig Minuten bleiben.
Mit sportiven Ehrgeiz hat diese Haltung nicht das Geringste zu tun. Haenchen kommt es vielmehr darauf an, jene „Deutlichkeit“ in der Feinzeichnung der musikalischen Verläufe ins Zentrum zu rücken, von der Wagner auf den Proben immer wieder gesprochen hatte. An der Bastille-Oper tut er dies mit Orchestre et Choeurs de Opéra de Paris in atemberaubender sinnlicher Konsequenz. Bis in die Binnenstrukturen der Figuren hinein verfolgt Haenchen das Spiel wechselnder Identitäten - Kundry als „Verführerin“ und „Gralshüterin wider Willen“, Parsifals Entwicklung vom „reinen Tor“ zum Mensch gewordenen Erlöser, Titurels dogmatische Askese im Kontrast zu Klingsors strategischem Hedonismus. Doch nie entsteht dabei der Eindruck einer analytischen
Distanz
zum Gegenstand, einer modernistischen Kühle, die nur noch Wagners „Kunst der Zergliederung“, nur noch die Aufspaltung der Motive, den „Verzicht auf eine wenig konkrete Ornamentik“ und die „ausgesparte Harmonik“ wahrnimmt. Haenchen gelingt das Wunder, den Tonfall ritueller Pathetik zu tilgen, ohne jene Klangfarbendramaturgie zu unterschlagen, die Debussy so sehr an „Parsifal“ faszinierte. Selbst die Gralsszenen mit ihren klug auf den Galerien des Riesenraumes gestaffelten Höhenchören gewinnen so äußerste Transparenz und Geschmeidigkeit. Der Klingsor-Akt tönt in selten eindringlicher Plastizität aus dem Graben, die großen Erzählungen und Dialoge sind mit betörender innerer Flexibilität gestaltet. Die Balance zwischen Streichern und Holzbläsern ist sensibel ausgemessen, auch das Blech bleibt stets in das organisch begriffene große Ganze, in den Grundriß der aus wenigen Themen(partikeln) und zahllosen Variationen gebauten Riesenarchitektur eingebunden. ...... Vor dem Hintergrund der musikalischen Neuentdeckungen ist die Aufregung, die um Krzysztof Warlikowskis assoziative, atmosphärisch dichte Inszenierung entstand, nicht mehr als ein Stürmchen im Wasserglas. Zwar meinte ein Teil des Publikums, auch noch in der vierten Vorstellung das von Hartmut Haenchen im Dunkel mit Leuchtstab kristallklar dirigierte Vorspiel zum dritten Akt durch Buhrufe stören zu müssen, weil die verfallene „alte“ Gralssphäre mit einer Einspielung aus Roberto Rossellinis Filmklassiker „Deutschland im Jahre Null“ bebildert wird, die den Selbstmord eines Kindes in den Ruinen Berlins zeigt, doch die Bilder sind sorgfaltig gewählt. Zumal die Regie auf der Bühne ein Kind das Geschehen unaufdringlich verfolgen lasst - ambivalentes Symbol einer Zukunft, die ebenso gut gelingen wie scheitern kann. .... Alle entwickeln sich, keiner bleibt zurück. Sogar Kundry überlebt. Vielleicht gibt es sie ja doch, die durch Kunst erlöste, bessere Welt. Hartmut Haenchen hat in Paris schon mal gezeigt, wie sie klingen könnte.
Albrecht Thiemann
besuchte Vorstellung am 14. Marz 2008.
Opernwelt, 01. November 1990
Die Wirkung kommt (...) vor allem aus der Musik. Ich meine, noch nie zuvor eine so fein nuancierte, ja, kammermusikalische Aufführung des "Parsifal" gehört zu haben wie diesmal unter Hartmut Haenchen. Ohne der Wucht der Chöre oder der Sinnlichkeit des zweiten Aktes etwas schuldig zu bleiben, sucht er vor allem nach den seelischen Schwingungen, den Wandlungen von Licht und Farbe, den strengen Linien, den gewissermaßen lyrischen Qualitäten der Musik.