Sinfoniekonzerte

www.klassikinfo.de, 30. Mai 2008
Blaubarts Blut


"Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók bei den Philharmonikern sowie mit Lioba Braun und Rudolf Rosen

(München, 30. Mai 2008) Dieser Moment ließ in der Philharmonie das Blut gerinnen: Wenn in den düsteren, feuchten Gemäuern des rätselhaften Herzog Blaubart auf Betreiben einer Frau, die ihn zu lieben scheint und sein Innerstes erforschen will, sich die fünfte Tür seiner Burg öffnet. Das Gleissen des Orchesters (mit acht Posaunen!) übertönt fast den Entsetzensschrei Judiths (ein hohes C im Fortissimo!).

Es war dies der Kulminationspunkt einer grandiosen Aufführung, angesichts derer man nicht bedauern muss, dass Bartóks "Kékszakállú" lange nicht mehr den Weg auf eine Münchner Bühne gefunden hat. Denn der Einakter ist ein Seelen-Psychodrama und bedarf der Szene eigentlich gar nicht. Die Musik sagt ebenso viel wie sie manches bewusst in der Schwebe lässt; sie kann düster lastend sein oder sich machtvoll steigern, dissonant sich reiben oder zu einer versprengten Volksmelodie ansetzen. Aber es gelingt ihr vor allem eines: die zwei einzigen Menschen, die hier eine Stunde lang in einen Dialog treten, der immer mehr die Entfremdung der beiden zueinander zeigt, musikalisch in ihrer konträren Entwicklung zu schildern. Blaubart taut durch Judiths Beharren immer mehr auf, freut sich fast wie ein Junge daran, dass Helligkeit seine Burg, seinen Panzer und mithin seinen Körper wie seine Seele durchdringt. Judith aber hat zuviel Blut an Blaubarts Reichtümern, seinen Waffen, seinem Schmuck, sogar seinen Blumen und den Wolken über seinem Reich gesehen. Im Moment des strahlendsten, aber kalten und blendenden Lichts beginnt sie zu versteinern, weil sie nicht mehr daran glaubt, dass ihre Liebe ein Rettungsanker für sie und den Mann sein könnte.

Mit Lioba Braun steht in der Philharmonie eine Mezzosopranistin auf der Bühne, die mit ihrer farbenreichen Stimme frauliche Wärme, Reife und eine schillernde Intensität zugleich in den Dienst der Rolle stellt und sie auch ohne Szene mit wenigen Gesten und Blicken wunderbar verkörpert. Rudolf Rosen ist - gegen die übliche Besetzung mit einem gealterten Sänger - ein noch junger Mann, der des Lebens überdrüssig scheint und sich doch zunehmend auf das Abenteuer einlässt, dass eine Frau ihm Fragen stellt und Forderungen; die ihm immer näher kommt und die Schlüssel zu seiner Seele sucht. Auch Rosens kerniger, schöner Bariton ist vielschichtig und facettenreich, kann locken und drohen, fahl leuchten oder aggressiv grimmig klingen.

Doch was wäre ein Bartókscher "Blaubart" ohne ein fulminantes Orchester. Hartmut Haenchen animierte die Philharmoniker zu einer bestechenden Leistung, entlockte ihnen ebenso kammermusikalische Feinheit wie kantige, scharfe Oberflächenstrukturen. Er ließ sich manchmal ebenso viel Zeit wie er kurz darauf Tempo und Klang schärfte.

Nicht minder überzeugend war vor der Pause Joseph Haydns spannende Symphonie Nr. 80 in d-moll musiziert, aber wer mag vor einer tief beeindruckenden Oper des 20. Jahrhunderts unbedingt eine Symphonie aus dem 18. Jahrhundert hören - wie vollendet sie auch immer klingt? Reicht eine Stunde intensivster Musikdramatik nicht für einen Abend?

Klaus Kalchschmid