Sinfoniekonzerte

Sächsische Zeitung, 21. Mai 2004
Große Musik in Zeiten finanzieller Not
Ovationen für Mahler-Konzert zur Eröffnung

Man sollte dem Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg zugute halten, dass er in seiner Ansprache zur Eröffnung der Musikfestspiele am Donnerstag in der Kreuzkirche unumwunden einräumte, eigentlich die Schließung des Festivals nach 2006 vorgeschlagen und vertreten zu haben. Dass eine solche Schließungsabsicht wenigstens bei ihm kein grundsätzliches Desinteresse an Kultur ist, darf als gegeben vorausgesetzt werden. Bei anderen Dresdner Lokalpolitikern sollte man da nicht so sicher sein.

Ingolf Roßberg bekannte auch, dass der Beschluss zur Erhaltung der Festspiele kulturpolitisch unbestreitbar richtig, finanzpolitisch jedoch zweifelhaft sei, denn Kindertagesstätten, Jugendclubs, Sozialeinrichtungen müssten jetzt gegen Kultur in die Waagschale geworfen werden. Offenbar ist Roßberg durch die Finanznot Dresdens mit einem nicht genehmigungsfähigen Haushalt völlig hoffnungslos geworden. So kam es, dass Kurt Masur, Ehrengast des Festivals, beim Empfang nach dem Konzert an Roßberg appellierte, er möge nicht noch zusätzliche Resignation nähren.

Einige Buhrufe nach Roßbergs Rede waren unüberhörbar, und man irrt sicher nicht, wenn man die Ovationen nach dem Konzert als ein Bekenntnis der Dresdner zu den Festspielen und als entschiedenen Protest gegen eine Schließung interpretiert. Dieser Beifall war aber sicher in erster Linie Ausdruck der Begeisterung der Zuhörer über eine herausragende Wiedergabe der 3. Sinfonie Gustav Mahlers. Ähnlich wie bei Mahlers 8. Sinfonie im Herbst 2002 erwies sich Hartmut Haenchen nicht nur als musikantischer Schlachtenlenker, der seine Heeresgruppen sicher durch alle Fährnisse leitet, sondern auch als profunder Deuter der formal höchst problematischen d-Moll-Sinfonie mit ihren Ungleichgewichten. Er lockte Urkräfte aus der Tiefe des Orchesters, modellierte Hunderte von unverwechselbaren Klangfarben und veranlasste das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt zu einer Leistung, die Masur, der mit Rundfunkorchestern nicht nur gute Erfahrungen hat, wegen des elastischen Reagierens zu einem großen Lob stimulierte. Das sollte für Hörner, Posaunen und den namentlich leider nicht genannten Posthornspieler besonders gelten.

Die drohende Katastrophe war jederzeit zu spüren.

Haenchen verlor sich nie völlig an die – echten oder vermeintlichen – Augenblicks-Stimmungen der Musik, sondern bewahrte immer so viel innere Distanz, dass man des Hereinbrechens einer bei Mahler jederzeit möglichen Katastrophe stets gewärtig war. Die unerhört vielen Vorschriften in Mahlers Partitur wurden getreulich befolgt, die Resignation im Finalsatz war mit suggestiver Intensität zelebriert. Schlackenlos und ohne jedes Forcieren trotz großen Orchesters sang die Altistin Birgit Remmert den seltsamen Nietzsche-Text „O Mensch! Gib Acht!“ im vierten Satz. Hohe Qualität ist auch den neun gemischten und Knabenchören zu bescheinigen, die trotz großer Entfernung zum Dirigenten ihre Partie punktgenau sangen.

Peter Zacher