Sinfoniekonzerte

Dresdner Neueste Nachrichten, 14. September 2002
Grandiose "Sinfonie der Tausend" im Sonderkonzert in der Kreuzkirche

Einen besseren Start hätte sich der neue Intendant der Dresdner Musikfestspiele kaum wünschen können. Die tragischen Ereignisse der letzten Wochen ließen Hartmut Haenchen ein Gedenk- und Benefizkonzert für die Hochwasseropfer organisieren, das in seiner Art eine Ausnahmestellung in der hiesigen Musikszene einnehmen durfte. Mit seinem holländischen Orchester, der Niederländischen Philharmonie Amsterdam, die er über 16 Jahre geführt und zu einem renommierten europäischen Klangkörper entwickelt hat, kam er in die Stadt seiner frühen Erfolge zurück, um ein Zeichen der Solidarität auch über Landesgrenzen hinweg zu setzen. Die großzügige Unterstützung der Aktion "Nachbarland Niederlande", der Partnerstadt Rotterdam und zahlreicher niederländischer Unternehmen, nicht zuletzt die spontane Bereitschaft aller am Konzert Mitwirkenden, ohne Entgelt aufzutreten, ermöglichten ein Konzerterlebnis der außergewöhnlichen Art mit Gustav Mahlers Ausnahmewerk, seiner 8. Sinfonie in Es-Dur, die als die "Sinfonie der Tausend" fast legendären Ruf besitzt.

Nur ganz wenige Aufführungen lassen sich seit der triumphalen Uraufführung auf den Tag genau vor 92 Jahren (am 12. September 1910 in München) in der Elbestadt nachweisen - das äußerst aufwändige Aufgebot mag wohl der Hauptgrund für derartige Zurückhaltung gewesen sein. So war es nicht überraschend, dass ein erwartungsfrohes Publikum die Kreuzkirche bis auf den letzten Platz füllte, das neben der bekundeten Solidarität auch eines Werkes teilhaftig werden wollte, welches sein Schöpfer als sein bedeutendstes und größtes angesehen hat, als sein Opus Magnum.

In dieser späten Sinfonie greift Mahler gewissermaßen zu den Sternen, sucht eine höchstmögliche ideelle wie auch materielle Steigerung. Inhaltlich verbindet er altchristlichen wie klassisch-humanistischen Erlösungsglauben in Form einer Art "Sinfonie" bzw. Oratoriums von etwa 90 Minuten Länge, die über Beethovens "Neunte" und Wagners Spätwerk zu neuer gigantischer Synthese vordringen möchte. Die gedankliche Grundlage bilden die Texte des Pfingsthymnus "Veni, crestor spiritus" und der Schlussszene aus Goethes "Faust II" mit dem abschließenden Chorus mysticus. Hypertroph die Besetzung: ein Riesenorchester, 150 Mann zur UA, dazu massives Choraufgebot (damals 850 Personen), acht Solisten. Eine musikalische Realisierung dieser Mammutpartitur birgt aus verschiedenen Gründen Probleme, zumal in einem halligen Kirchenraum. Hartmut Haenchen war gut beraten, die eher kontemplativen Teile mit großer Vorsicht, quasi "kammermusikalisch", zu musizieren, was mit Transparenz und schöner Klangschattierung gelang. Ein "Kunstgriff" die beziehungsvolle Wagner-Einleitung mit dem Vorspiel zum 3. Aufzug aus "Parzifal", das er nahtlos in den sinfonischen Beginn führte.

Natürlich wurden die hochdramatischen Aufgipfelungen, deren es zahlreiche im zweiteiligen Satzgefüge gab, Ausdruck einer gequälten, leidenden, suchenden und schließlich findenden, triumphierenden Seele, von HartmutHaenchen mit gebührender Expressivität dargeboten, wie überhaupt die Überlegenheit des klug und aufmerksam disponierenden Dirigenten einen grandiosen, aufwühlenden Eindruck hinterließ, der auch die akustische Schmerzgrenze einschloss.

Die insgesamt sehr geschlossene und leidenschaftlich durchglühte Darstellung war nur mit einem eingeschworenen, hochkarätigen Ensemble möglich, das Hartmut Haenchen in bewundernswerter Weise zusammengeschweißt hatte. Neben der bereits genannten Niederländischen Philharmonie Amsterdam sangen hochmotiviert die beiden ukrainischen Chöre, der Nationalchor "Dumka" und der Rundfunkchor Kiew, die Dresdner Kapellknaben, der Knabenchor Dresden, der Philharmonische Kinderchor Dresden sowie die stimmgewaltige Starbesetzung der Solisten Rita Cullis, Angela Maria Blosi, Ofelia Sala, Catherina Keen, Reinhild Runkel, Glenn Winslade, John Bröcheler und Kurt Rydl.

Trotz der beträchtlichen zeitlichen, auch stilistischen Ferne ein emotional stark berührendes Werk, das dank der Live-Übertragung von MDR einem weiteren Zuhörerkreis zugänglich war. Eine CD-Produktion (Mitschnitt) ist vorgesehen. Gerhard Böhm

Das Konzert brachte insgesamt etwa 50.000 Euro Spendengelder ein. Allein das Publikum spendete im Anschluss an die Aufführung 22.000 Euro; Dresdens Partnerstadt Rotterdam und die Niederländische Philharmonie stifteten außerdem jeweils 10.000 Euro.