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Wagner, Richard: Der Ring des Nibelungen, Dokumente

Dokumente zum Ring allgemein

Dokumente zum Ring allgemein

Die Idee des Rings wurde auf den Barrikaden geboren. Als 1849 der preußische Prinz, der spätere König Wilhelm I., vom sächsischen König zu Hilfe gerufen wurde, um den Aufstand in Dresden niederschlagen zu lassen, fügte sich in dem bald darauf steckbrieflich verfolgten Richard Wagner das Bild der Welt, in der er lebte, zur Vision eines ungeheuerlichen Mythos zusammen: die Götter dieser Welt mussten untergehen! Mit der Götterdämmerung sollte die dramatische Vision enden, die den Menschen zeigte, dass ihnen eine neue Welt nur geschenkt werden würde, wenn sie die alte, die ihrige, die bestehende vernichteten. Aber auch mythische und dichterische Vorstellungen der Antike (die für Wagner mindestens gleich viel bedeuteten) flossen mit hinein: so die Idee einer Geschichte der Götter, die Anfang und Ende hatte, wie sie im Prometheus dargestellt war; zwei Titanen, Kraft und Gewalt, schmieden dort den Feind des jungen Gottes Zeus, den Freund der Menschen, an einen Felsen (so wie in der Walküre Brünnhilde an einen Felsen in „ewigen“ Schlaf gelegt wird). So wenig gesagt werden kann, dass Wagner einen neuen Prometheus hat schreiben wollen, so falsch wäre die Annahme, er habe den Mythos der Germanen auf die Bühne gebracht. Nur Bilder, Vorstellungen, Ideen rief er herbei, um seine Vision der Welt darzustellen. Diese Götter sind alles andere als anbetungswürdig. Der Ring ist, wie Thomas Mann sagte, „im Grunde gegen die ganze bürgerliche Kultur und Bildung gerichtet und gedichtet". Dabei blieb es, auch als - in der Pause, die die Komposition des Ring mitten im Siegfried auf zwölf Jahre unterbrach - der Appell zur Welterneuerung (Sieg der Liebe über das Gold) von der Resignation verdrängt wurde und durch Schopenhauer die indischen Vorstellungen von der Erlösung im „Nichtmehrsein", im Nirwana, in Tristans Reich der Nacht, eindrangen.

Richard Wagner: „Nur der Völkerfrühling (gemeint ist das Aufblühen der freiheitlichen Bestrebungen ab dem März 1848, H.H.) brachte ununterbrochen schönes Wetter vom März an und trotz allen Unsinns ist doch der Grund zu Deutschlands Einheit damals gelegt worden. „Ich selbst hätte, glaube ich, den Ring nicht konzipiert, ohne diese Bewegung."

Tagebucheintragung Eduard Devrients vom 21.Oktober 1848: (Bd.1, S.451)
„Kapellmeister Wagner brachte mir einen Opernentwurf, hatte wieder große sozialistische Rosinen im Kopf. Jetzt ist ihm ein einiges Deutschland nicht mehr genug, jetzt geht´s aufs einige Europa, auf die einheitliche Menschheit los."

Richard Wagner an Franz Liszt, Zürich 20. (?) Juli 1850:
„...- ich fordere Darsteller für Heroen, wie sie unsere Szene noch nicht gesehen hat; wo sollen die herkommen? Nun, aus der Luft nicht, sondern aus der Erde: ich glaube, Du bist im besten Zuge, sie mir aus der Erde wachsen zu lassen, wenigstens durch begeisternde Pflege."

Die erste „Festspielhaus"-Idee:

Brief Richard Wagners an Ernst Benedikt Kietz, Zürich, 14. September 1850 :
„Ich denke daran, den Siegfried wirklich noch in Musik zu setzen, nur bin ich nicht gesonnen, ihn aufs Geratewohl vom ersten besten Theater aufführen zu lassen: im Gegenteil trage ich mich mit den allerkühnsten Plänen, zu deren Verwirklichung jedoch nichts Geringeres als mindestens die Summe von 10,000 Taler gehört. Dann würde ich nämlich hier, wo ich gerade bin, nach meinem Plane aus Brettern ein Theater errichten lassen, die geeignetsten Sänger dazu mir kommen und alles Nötige für diesen einen besonderen Fall mir so herstellen lassen, daß ich einer vortrefflichen Aufführung der Oper gewiß sein könnte. Dann würde ich überall hin an diejenigen, die für meine Werke sich interessieren, Einladungen ausschreiben, für eine tüchtige Besetzung der Zuschauerräume sorgen und - natürlich gratis - drei Vorstellungen in einer Woche hintereinander geben, worauf dann das Theater abgebrochen wird und die Sache ihr Ende hat. Nur so etwas kann mich noch reizen. Wenn Karl Ritters Onkel stirbt, bekomme ich die Summe!“

Erstmalig über die Gesamtaufführung an vier Abenden:

Brief Richard Wagners an Theodor Uhlig, Albisbrunn, 12.10. 1851:
„ ... - Wenn alle deutschen Theater zusammenbrechen, schlage ich ein neues am Rheine auf, rufe alle zusammen und führe das Ganze im Laufe einer Woche auf."

Ursprüngliche Idee:

Brief Richard Wagners an Theodor Uhlig, Albisbrunn, 11.11. 1851:
Vorspiel: Der Raub des Rheingoldes
1.) Siegmund und Sieglinde: der Walküre Bestrafung
2.) Der junge Siegfried
3.) Siegfrieds Tod

Brief Richard Wagners an Theodor Uhlig, Albisbrunn, 12.11. 1851
„Als ich an die volle musikalische Ausführung (von Siegfried, H.H.) ging, und ich dabei endlich fest unser Theater ins Auge fassen mußte, fühlte ich das Unvollständige der beabsichtigten Erscheinung: es blieben eben der große Zusammenhang, der den Gestalten erst ihre ungeheure, schlagende Bedeutung gibt, nur durch epische Erzählung, durch Mitteilung an den Gedanken übrig. Um daher Siegfrieds Tod zu ermöglichen, verfaßte ich den jungen Siegfried: je bedeutender aber dadurch das Ganze sich schon gestaltete, desto mehr mußte mir jetzt, als ich an die szenisch-musikalische Ausführung des jungen Siegfried ging, einleuchten, daß ich das Bedürfnis nach deutlicher Darstellung des ganzen Zusammenhanges an die Sinne, nur noch gesteigert hatte. Jetzt sehe ich, ich muß, um vollkommen von der Bühne herab verstanden zu werden, den ganzen Mythos plastisch ausführen. Nicht diese Rücksicht allein bewog mich aber zu meinem neuen Plane, sondern namentlich auch das hinreißend Ergreifende des Stoffes, den ich somit für die Darstellung gewinne, und der mir einen Reichtum für künstlerische Bildung zuführt, den es Sünde wäre, ungenützt zu lassen. Denke Dir den Inhalt der Erzählung der Brünnhilde - in der letzten Szene des jungen Siegfried - das Schicksal Siegmunds und Siegelinds, der Kampf Wotans mit seiner Neigung und der Sitte (Fricka); der herrliche Trotz der Walküre, der tragische Zorn Wotans mit dem er diesen Trotz straft: denke Dir dies in meinem Sinne, mit dem ungeheuren Reichtum von Momenten, in ein bündiges Drama zusammengefaßt, so ist eine Tragödie von der erschütterndsten Wirkung geschaffen, die zugleich alles das zu einem bestimmten sinnlichen Eindrucke vorführt, was mein Publikum in sich aufgenommen haben muß, um den jungen Siegfr[ied] und den Tod - nach ihrer weitesten Bedeutung - leicht zu verstehen. Diesen drei Dramen sende ich nun ein größeres Vorspiel voran, welches für sich an einem besonderen einleitenden Festtage aufgeführt werden muß: es beginnt mit Alberich, der die drei Wasserfrauen des Rheines mit Liebesgelüste verfolgt, von einer nach der anderen (scherzend heiter) abgewiesen wird und aus Wut ihnen endlich das Rheingold stiehlt: - dies Gold ist an sich nur ein glänzender Schmuck der Wassertiefe (Siegfrieds Tod, Akt III. Sz. 1), eine andere Macht wohnt ihm aber bei, die jedoch nur der ihm zu entlocken vermag, der der Liebe entsagt. (Hier hast Du das gestaltende Motiv bis zu Siegfr[ied]s Tod: denke Dir die ganze Fülle von Folgen!) Der Fang Alberichs, die Zuteilung des Goldes an die zwei Riesenbrüder, die schnelle Erfüllung von Alberichs Fluch an diesen beiden, von denen der eine sogleich den anderen erschlägt, bilden den Gegenstand dieses Vorspiels.“

„ - An eine Aufführung kann ich erst nach der Revolution denken: erst die Revolution kann mir die Künstler und die Zuhörer zuführen. Die nächste Revolution muß notwendig unsrer ganzen Theaterwirtschaft das Ende bringen: sie müssen und werden alle zusammenbrechen, dies ist unausbleiblich. Aus den Trümmern rufe ich mir dann zusammen, was ich brauche: ich werde, was ich bedarf, dann finden. Am Rheine schlage ich dann ein Theater auf und lade zu einem großen dramatischen Feste ein: nach einem Jahr Vorbereitung führe ich dann im Laufe von vier Tagen mein ganzes Werk auf: mit ihm gebe ich den Menschen der Revolution dann die Bedeutung dieser Revolution, nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen. Dieses Publikum wird mich verstehen: das jetzige kann es nicht.“

Richard Wagner in einem Brief an Theodor Uhlig, Zürich, 20.11. 1852
über seine Nibelungen-Dichtung:
„Das Größte, was je gedichtet."

Richard Wagner zu Cosima über Wotan: (Eintragung von Cosima Wagner vom 29.3. 1878):
„Es ist doch kein gutes Zeichen für Schopenhauer, daß er meinen Ring nicht mehr beachtet. Ich wüßte keine Dichtung, in welcher die Brechung des Willens (und welcher Wille, der sich die Welt zur Lust erschafft), ohne Einwirkung der Gnade, durch die eigene Kraft einer stolzen Natur, wie im Wotan dargestellt ist. Durch die Trennung von Brünnhilde schon wie erloschen, bäumt sich dieser Wille noch einmal, lodert in der Begegnung mit Siegfried, flackert in der Sendung der Waltraute, bis wir ihn ganz erloschen sehen in Walhall am Schluß."... „Ich bin überzeugt, Schopenhauer würde sich geärgert haben, daß ich dies erfunden, bevor ich seine Philosophie gekannt."

Brief Richard Wagners an Franz Liszt Zürich, 11.2. 1853:
„Beachte wohl meine neue Dichtung - sie enthält der Welt Anfang und Untergang!"

Brief Richard Wagners an August Röckel, Zürich, 25. Januar 1854:
„... Darstellung der oben von mir bezeichneten Wirklichkeit. - Statt der Worte: „ein düstrer Tag dämmert den Göttern: in Schmach doch endet Dein edles Geschlecht, läßt Du den Reif nicht los!" lasse ich jetzt Erda nur sagen: „Alles was ist - endet: ein düstrer Tag dämmert den Göttern: Dir rat' ich, meide den Ring!" - Wir müssen sterben lernen, und zwar sterben, im vollständigsten Sinne des Wortes; die Furcht vor dem Ende ist der Quell aller Lieblosigkeit, und sie erzeugt sich nur da, wo selbst bereits die Liebe erbleicht. Wie ging es zu, daß diese höchste alles Lebenden dem menschlichen Geschlechte so weit entschwand, daß dieses endlich alles was es tat, einrichtete und gründete nur noch aus Furcht vor dem Ende erfand? Mein Gedicht zeigt es. Es zeigt die Natur in ihrer unentstellten Wahrheit mit all ihren vorhandenen Gegensätzen, die in ihren unendlich mannigfachen Begegnungen auch das gegenseitig sich Abstoßende enthalten. Nicht aber daß Alberich von den Rheintöchtern abgestoßen wurde - was diesen ganz natürlich war - ist der entscheidende Quell des Unheils; Alberich und sein Ring konnten den Göttern nichts schaden, wenn diese nicht bereits für das Unheil empfänglich waren. Wo liegt nun der Keim dieses Unheils? Siehe die erste Szene zwischen Wotan und Fricka - die endlich bis zu der Szene im 2. Akte der Walküre führt. Das feste Band, das beide bindet, entsprungen dem unwillkürlichen Irrtume der Liebe, über den notwendigen Wechsel hinaus sich zu verlängern, sich gegenseitig zu gewährleisten, dieses Entgegentreten dem ewig Neuen und Wechselvollen der Erscheinungswelt - bringt beide Verbundene bis zur gegenseitigen Qual der Lieblosigkeit. Der Fortgang des ganzen Gedichtes zeigt demnach die Notwendigkeit, den Wechsel, die Mannigfaltigkeit, die Vielheit, die ewige Neuheit der Wirklichkeit und des Lebens anzuerkennen und ihr zu weichen. Wotan schwingt sich bis zu der tragischen Höhe, seinen Untergang - zu wollen. Dies ist Alles, was wir aus der Geschichte der Menschheit zu lernen haben: das Notwendige zu wollen und selbst zu vollbringen.

Das Schöpfungswerk dieses höchsten, selbstvernichtenden Willens ist der endlich gewonnene furchtlose, stets liebende Mensch: Siegfried. Das ist Alles. - Des Näheren verdichtet sich die unheilstiftende Macht, das eigentliche Gift der Liebe, in dem, der Natur entwendeten und gemißbrauchten Golde, dem Nibelungen-Ringe: nicht eher ist der auf ihm haftende Fluch gelöst, als bis es der Natur wiedergegeben, das Gold in den Rhein zurückversenkt ist. Auch dies lernt Wotan erst ganz am Schlusse, am letzten Ziele seiner tragischen Laufbahn erkennen: das, was Loge ihm im Anfang wiederholt und rührend vorhielt, übersah der Machtgierige am meisten; zunächst lernte er - an Fafner's Tat - nur die Macht des Fluches erkennen; erst als der Ring auch Siegfried verderben muß, begreift er, daß einzig diese Wiedererstattung des Geraubten das Unheil tilgt, und knüpft daher die Bedingung seines gewünschten eignen Unterganges an diese Tilgung eines ältesten Unrechtes. Erfahrung ist Alles. Auch Siegfried allein (der Mann allein) ist nicht der vollkommene „Mensch": er ist nur die Hälfte, erst mit Brünnhilde wird er zum Erlöser; nicht Einer kann Alles; es bedarf Vieler, und das leidende, sich opfernde Weib wird endlich die wahre wissende Erlöserin: denn die Liebe ist eigentlich „das ewig Weibliche" selbst.“

„Wotan ist nach dem Abschied von Brünnhilde in Wahrheit nur noch ein abgeschiedener Geist: seiner höchsten Absicht nach kann er nur noch gewähren lassen, es gehen lassen wie es geht, nirgends aber mehr bestimmt eingreifen; deswegen ist er nun auch „Wanderer" geworden: sieh Dir ihn recht an! er gleicht uns auf's Haar; er ist die Summe der Intelligenz der Gegenwart, wogegen Siegfried der von uns gewünschte, gewollte Mensch der Zukunft ist, der aber nicht durch uns gemacht werden kann, und der sich selbst schaffen muß durch unsre Vernichtung. In solcher Gestalt - mußt Du zugestehen - ist uns Wotan höchst interessant, wogegen er uns unwürdig erscheinen müßte als subtiler Intrigant, denn das wäre er, wenn er Ratschläge gäbe, die scheinbar gegen Siegfried, in Wahrheit aber für ihn, und namentlich für sich gelten: das wäre ein Betrug, würdig unsrer politischen Helden, nicht aber meines untergangsbedürftigen jovialen Gottes. Sieh, wie er dem Siegfried im dritten Akte gegenüber steht! Er ist hier vor seinem Untergange so unwillkürlicher Mensch endlich, daß sich - gegen seine höchste Absicht - noch einmal der alte Stolz rührt, und zwar (wohlgemerkt!) aufgereizt durch - Eifersucht um Brünnhilde; denn diese ist sein empfindlichster Fleck geworden. Er will sich gleichsam nicht nur so bei Seite schieben lassen, sondern fallen - besiegt werden: aber auch dies ist ihm so wenig absichtliches Spiel, daß er in schnell entflammter Leidenschaft sogar auf Sieg ausgeht, auf einen Sieg, der - wie er sagt - ihn nur noch elender machen müßte. - Für die Kundgebung der Absichten mußte ich meinem Gefühle nach ein unendlich feines Maß einhalten: allerdings soll mein Held nicht den Eindruck eines gänzlich Bewußtlosen machen: im Siegfried habe ich vielmehr den mir begreiflichen vollkommensten Menschen darzustellen gesucht, dessen höchstes Bewußtsein darin sich äußert, daß alles Bewußtsein immer nur in gegenwärtigstem Leben und Handeln sich kundgibt: wie ungeheuer ich dieses Bewußtsein, das fast nie ausgesprochen werden darf, erhebe, wird Dir aus der Szene Siegfrieds mit den Rheintöchtern klar werden; hier erfahren wir, daß Siegfried unendlich wissend ist, denn er weiß das Höchste, daß Tod besser ist als Leben in Furcht: er kennt auch den Ring, aber er achtet seine Macht nicht, weil er was Besseres zu tun hat; er wahrt ihn nur als Zeugnis dessen, daß er - das Fürchten nicht gelernt hat. Gestehe, vor diesem Menschen muß alle Götterpracht erbleichen! Am meisten fällt mir von Dir die Frage auf: warum nun, da das Rheingold dem Rhein zurückgegeben ist, die Götter doch noch untergehen? - Ich glaube, bei einer guten Aufführung wird der naivste Mensch hierüber ganz einig mit sich werden. Allerdings geht der Untergang nicht aus Kontrapunkten hervor: diese ließen sich überhaupt ja deuten, drehen und wenden - man brauchte nur einen juristischen Politiker als Advokat dazu zu nehmen; sondern aus unserm innersten Gefühle erwächst uns - wie Wotan aus seinem Gefühle - die Notwendigkeit dieses Unterganges. Hierauf kam es an, aus dem Gefühle diese Notwendigkeit zu rechtfertigen, und ihm geschieht dies ganz von selbst, wenn es vollkommen teilnehmend von Anfang an den Gang der ganzen Handlung mit all ihren einfachen, natürlichen Motiven verfolgt: wenn schließlich Wotan diese Notwendigkeit ausspricht, so sagt er nur das, was wir selbst bereits für notwendig halten. Wenn Loge am Schlusse des Rheingoldes den nach Walhall ziehenden Göttern nachredet: „Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen", so bringt er in diesem Augenblicke unsre eigne Empfindung gewiß nur zum Ausdruck, denn wer dieses Vorspiel teilnehmend verfolgt, nicht grübelnd und abwägend, sondern die Vorfälle auf sein Gefühl wirken lassend, der muß Loge vollkommen beistimmen. –

Laß mich Dir noch etwas von Brünnhilde sagen. Auch sie verkennst Du doch, wenn Du ihre Weigerung, den Ring Wotan zu überlassen, hart und eigensinnig findest. Erlebtest Du nicht, daß Brünnhilde sich von Wotan und allen Göttern geschieden um - der Liebe willen, weil sie - wo Wotan Plänen nachhing - nur - liebte? Seit vollends Siegfried sie erweckt, hat sie kein andres Wissen mehr als das Wissen der Liebe. Nun - das Symbol dieser Liebe ist - da Siegfried von ihr zog - dieser Ring: da ihn Wotan von ihr fordert, tritt ihr nur noch der Grund ihrer Trennung von Wotan entgegen (weil sie aus Liebe handelte), und nur eines weiß sie jetzt noch, daß sie allem Göttertume entsagt hat um der Liebe willen. Sie weiß aber, daß die Liebe das einzig Göttliche ist: so möge denn Walhall's Pracht zu Grunde gehen, aber den Ring - (die Liebe) - opfert sie nicht. Ich bitte Dich, wie erbärmlich, geizig und gemein stünde sie nun da, wenn sie den Ring deshalb verweigerte, weil sie (etwa durch Siegfried) um seinen Zauber, um seine Goldmacht wüßte? Das wirst Du doch diesem herrlichen Weibe nicht im Ernste zumuten? Schauert es Dich aber, daß dieses Weib gerade in diesem verfluchten Ringe das Symbol der Liebe bewahrt, so wirst Du ganz nach meiner Absicht empfinden, und hierin die Macht des Nibelungen-Fluches auf seiner furchtbarsten, tragischsten Höhe erkennen: dann wirst Du überhaupt die Notwendigkeit des ganzen letzten Dramas Siegfrieds Tod erkennen. Das mußten wir noch erleben, um vollkommen das Unheil des Goldes inne zu werden. Warum Brünnhilde so schnell dem verstellten Siegfried sich fügt? Eben weil dieser ihr den Ring entrissen, in welchem sie einzig auch noch ihre Kraft bewahrte. Das Furchtbare, Dämonische des ganzen Auftrittes ist Dir überhaupt entgangen: durch das Feuer, das seiner Bestimmung, wie der Erfahrung nach - einzig Siegfried durchschreiten sollte und konnte, dringt - leichter Mühe - ein „andrer" zu ihr: Alles schwankt zu Br.'s Füßen, Alles ist aus den Fugen; in einem furchtbaren Kampfe wird sie überwältigt, sie ist „von Gott verlassen". Und außerdem ist es - Siegfried in Wirklichkeit, der ihr gebietet das Lager mit ihm zu teilen - Siegfried, den sie (unbewußt - aber desto verwirrender) trotz seiner Verhüllung an dem leuchtenden Auge - fast - erkennt. (Du fühlst, hier geht etwas eben „Unaussprechliches" vor, und hast daher sehr Unrecht, mich darüber zum Sprechen zu interpellieren!) Aber - meine Darsteller? Da falle ich in ein gewaltiges Seufzen. Natürlich muß ich auf junge Leute halten, die durch unsre Opernbühne nicht schon ganz ruiniert sind: an sogenannte „Berühmtheiten" denke ich gar nicht. Wie ich mir meine junge Welt nun ziehe, das muß ich auch erst sehen; am liebsten hätte ich meine Truppe ein Jahr lang zusammen, ohne sie öffentlich auftreten zu lassen; ich muß täglich mit ihnen umgehen, sie menschlich und künstlerisch üben, und für ihre Aufgabe allmählich reifen lassen. Unter den glücklichsten Umständen dürfte ich daher vor dem Sommer 1858 auf keine erste Aufführung rechnen. Möge es nun aber dauern, wie lange es wolle, immer reizt es mich, in einer so konzentrierten Tätigkeit für einen mir ganz eigenen Zweck mir noch eine Nötigung zum Leben zu setzen.“

Brief Richard Wagners an seine Nichte Clara Brockhaus, Zürich 12. März 1854:
„Mit den Nibelungen wird's anders: die schreibe ich nicht für die Theater, sondern - für uns! Aber aufführen werde ich sie doch: ich habe mir dies als einzige und letzte Lebensaufgabe gestellt. Meine Bühne werde ich mir selbst dazu bauen, und meine Darsteller mir selbst erziehen: wie viel Jahre es mich kostet, ist mir gleichgültig; wenn ich's nur einmal erreiche. Nach der Aufführung werfe ich mich mit der Partitur auf Brünnhilde's Scheiterhaufen, so das Alles verbrennt. - "

Brief Richard Wagners an August Röckel, Zürich, 23.8. 1856, Dokumente S. 118:
„... ich gestaltete sie (die Nibelungen-Dichtung, H.H.) zu einer Zeit, wo ich mit meinen Begriffen nur eine hellenistisch-optimistische Welt aufgebaut hatte, deren Realisierung ich durchaus für möglich hielt, sobald die Menschen nur wollten, wobei ich mir selbst über das Problem, warum sie denn eigentlich doch nicht wollten, ziemlich kunstreich hinweg zu helfen suchte. Ich entsinne mich nun, in diesem absichtlich gestaltenden Sinne die Individualität meines Siegfried herausgegriffen zu haben, mit dem Willen ein schmerzloses Dasein hinzustellen; mehr aber noch glaubte ich mich deutlich auszudrücken in der Darstellung des ganzen Nibelungen-Mythos, mit der Aufdeckung des ersten Unrechtes, aus dem eine ganze Welt des Unrechtes entsteht, die deshalb zu Grunde geht um uns eine Lehre zu geben, wie wir das Unrecht erkennen, seine Wurzel ausrotten und eine rechtliche Welt an ihrer Stelle gründen sollen. Kaum bemerkte ich nun aber, wie ich mit der Ausführung, ja im Grunde schon mit der Anlegung des Planes, unbewußt einer ganz anderen, viel tieferen Anschauung folgte, und, anstatt einer Phase der Weltentwicklung, das Wesen der Welt selbst, in allen seinen nur erdenklichen Phasen, erschaut und in seiner Nichtigkeit erkannt hatte, woraus natürlich, da ich meiner Anschauung, nicht aber meinen Begriffen treu blieb, etwas ganz andres zu Tage kam, als ich mir eigentlich - gedacht hatte. Doch entsinne ich mich, schließlich meine Absicht gewaltsam einmal zur Geltung gebracht zu haben, und zwar - zum einzigsten Male - in der tendenziösen Schlußphrase, welche Brünnhilde an die Umstehenden richtet, und, vor der Verwerflichkeit des Besitzes ab, auf die einzig beseligende Liebe verweist, ohne (leider!) eigentlich mit dieser "Liebe" selbst recht ins Reine zu kommen, die wir, im Verlaufe des Mythos, eigentlich doch als recht gründlich verheerend auftreten sahen. So blind machte mich aber an dieser einzigen Stelle die Dazwischenkunft meiner begrifflichen Absicht. Sonderbarer Weise marterte mich diese stelle nun fortwährend, und es bedurfte wahrlich einer großen Umwälzung meiner Vernunftvorstellung, wie sie schließlich durch Sch[openhauer] bewirkt wurde, um mir den Grund meiner Pein aufzudecken, und mir zu meinem Gedichte den wirklich entsprechenden Schlußstein zu liefern, der in einer aufrichtigen Anerkennung des wahren tiefen Verhaltes der Dinge besteht, ohne im mindesten dabei tendenziös zu sein."

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