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Wagner, Richard: Tannhäuser, "Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig"

Zur Frage der Arbeitsstadien Wagners und zur Wiedererstaufführung der Wiener Fassung

PDF des veränderten Programmheft-Textes am Ende
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„Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“
Zur Wiedererstaufführung der Wiener Fassung von 1875 in Amsterdam 2010 und Toulouse 2012, London 2016

Bei der Entscheidung, welche der zahlreichen Fassungen für eine Aufführung in Frage kommen, ist in erster Linie natürlich den wirklichen Intentionen des Komponisten nachzuspüren. Und schnell kommt man beim Studium der verschiedenen Fassungen zu der Einsicht, dass Wagners umfangreiche Änderungen vielfach nicht aus künstlerischen Erwägungen, sondern aus ganz einfachen theaterpraktischen Erfahrungen heraus stattfanden, und diese wiederum muss man sorgfältig von den wohlerwogenen künstlerischen Einsichten unterscheiden, die im sehr langen Schaffensprozess von über 30 Jahren der Entstehung die verschiedenen Fassungen unterscheiden. Für Dresden wurde beispielsweise sogar das Englischhorn-Solo des Hirten drastisch gekürzt, da der Dresdner Heldentenor Tichatschek „sowieso nicht wisse, wie er sich während der ganzen Zeit benehmen sollte“. Oder aus stimmlichen Gründen des gleichen Tenors wurden große Teile des zweiten Finales gestrichen, wo Wagner aber dazu sagt: „das erkläre ich nun: keine Aufführung des Tannhäuser entspricht meiner Absicht, sobald diese Stelle weggelassen werden muß! ... sollte mir eine Vorstellung dieser Oper einst ganz genügen, so müsste der Sänger des Tannhäuser auch diese Stelle so vortragen, dass sie – nicht als Länge erschiene.-“ An anderer Stelle fügte er „Stütztöne“ ein, um Solisten und Chor die Intonation zu erleichtern, reduzierte Orchesterbesetzungen für kleinere Häuser und schrieb schwierige Chöre um - alles Änderungen, die Wagner machte, um Aufführungen überhaupt zu ermöglichen. Er wusste aber, dass dies keine Verbesserungen seines Werkes waren. Alle diese Fassungen können also nicht das Ziel einer heutigen Aufführung sein, die Wagners hohen Ansprüchen genügen kann.
Ein Gesamt-Manuskript der ersten Fassungen für die Dresdner Uraufführung am 19. Oktober 1845 gibt es nicht, da Wagners Partiturreinschrift als lithographischer Umdruck verwendet wurde. In seiner Hand schrieb er auf eine Art Blaupapier, welches dann mit Säure getränkt auf den Druck-Stein geätzt wurde. Somit ist der Erstdruck ein getreues Abbild der ersten Dresden-Fassung von 1845. Danach werden weitere 4 Dresdner Fassungen gezählt, die Veränderungen an der gedruckten Partitur vornehmen (1847, 1852, 1853, 1860). Da Wagner aber ab 1849 im Exil lebte, konnte er keinen direkten Einfluss auf die Tannhäuser-Aufführungen in Dresden und ganz Deutschland nehmen. Es sind also im Wesentlichen Briefzeugnisse an Dresdner Freunde oder Kollegen, die in den Aufführungsmaterialien Änderungen anbringen sollten. In einer Broschüre gab er Aufführungsanweisungen musikalischer und szenischer Art, in denen er auch einige Striche autorisierte, die er aber für Opernhäuser, denen er die gute Ausführung zutraute, gleich widerrief. Neben den zahlreichen Briefen sind fünf autographe Änderungen zu den Dresdner Fassungen erhalten. Weitere einundzwanzig autographe Änderungspartitur-Teile gibt es zu den späteren Änderungen für Paris, München und Wien.

1861 sah Wagner für die Aufführung in Paris – inzwischen hatte er bereits Tristan und Isolde komponiert – eine Chance, das Werk grundlegend umzuarbeiten. Wagner tritt in das zweite Stadium der Arbeit am Werk ein und nutzt seine neue, im Tristan zur Vollendung gebrachte Tonsprache, um die beiden Welten, zwischen denen sich Tannhäuser bewegt, musikalisch grundsätzlich voneinander abzusetzen. Die in ihren Regeln starre Welt der Wartburggesellschaft, die ihre musikalische Grundlagen der italienischen Oper, den Werken C.M. von Webers und L. v. Beethovens (bis hin zum Zitat aus Fidelio „Töt erst sein Weib“, was im Tannhäuser Elisabeths „Haltet ein“ wird) zu verdanken hat, steht auf der anderen Seite die im wahrsten Sinne bis dahin unerhörte chromatisch-sinnliche Welt der Venus entgegen, welche im Gegensatz zu der ursprünglichen Musik, die teilweise noch rezitativische Züge hatte, jetzt vollständig durchkomponiert ist.

Wagner ließ sich das Libretto übersetzen und veränderte entsprechend des Textes die Rhythmen für die Gesangslinien. Das für den 2. Akt in Paris unabdingbar geforderte und von ihm neu komponierte Ballett verlegte er auf den Anfang der Venus-Szene und dürfte damit einen der größten Theater-Skandale in Paris provoziert haben. Sofort nach diesem Skandal begann er die Pariser Fassung wieder für weitere Aufführungen in Paris umzuarbeiten, um vor allem die Passagen, die die ungewollte Heiterkeit des Publikums hervorgerufen hatten, zu beseitigen. Änderungen, die Wagner wiederum nicht als Verbesserung ansah. Eine der Änderungen war auch der Wegfall der Walther-Strophe im Sängerkrieg. Mit der Figur des Walther von der Vogelweide hatte er schon früher Schwierigkeiten, weil ein geeigneter Sänger offensichtlich schwer zu finden war und so gibt es Fassungen in verschiedenen Tonarten und Fassungen, wo das Lied wieder gestrichen war. Für Paris schrieb er aber auch in verbliebenen Teilen der ursprünglichen Fassung von Dresden weit schwerere Orchesterübergänge, die bis heute zum Heikelsten für Streichorchester gehören: „z.B. habe ich eine sehr matte Passage der Violinen bei Tannhäusers Aufbruch am Schlusse des zweiten Aktes durch eine neue ersetzt, die sehr schwer ist, mir aber einzig genügt. Meinem hiesigen (Pariser, H.H.) Orchester kann ich aber alles bieten: es ist das erste der Welt.“ Und „In der Musik kann ich eher verbessern. Hier und da gebe ich namentlich dem Orchester ausdrucksvollere und reichere Passagen. Nur die Scene mit Venus will ich ganz umarbeiten“. Wagner sah also seine erste Pariser Bearbeitung im Gegensatz zu Konzessionen an die Aufführungsmöglichkeiten an deutschen Häusern als deutliche Verbesserung der Komposition an.

In einer dritten Phase schließlich wollte Wagner die in Paris hinzugewonnene musikalische Spannung und mehr ausgearbeiteten Details wieder für die deutschen Häuser erschließen. Dies geschah zunächst durch die Rückübersetzung und Rückänderungen der Gesangsstimmen vom französischen Duktus in den deutschen.
Zunächst wurde eine Aufführung in München für 1867 vorbereitet. Da Wagner aber bei der Produktion nicht anwesend sein konnte und zahlreiche Änderungen von Hans Bülow willkürlich und ohne Autorisation des Komponisten waren, kann die Fassung nicht als eine echte Version Wagners betrachtet werden. Erst in der von Wagner selbst inszenierten Aufführung in Wien 1875 (Dirigent Hans Richter) konnte Wagner alle von ihm als Verbesserung gesehene Teile zusammenfügen. Eine entsprechende Partitur wurde aber nicht gedruckt und so verbreitete sich diese letzte Fassung Wagners nicht. Erst im Jahre 2003 wurde die Wiener Fassung erstmalig komplett als Partitur in der neuen Gesamt-Ausgabe veröffentlicht. Der Verlag Schott stellte für die Amsterdamer Aufführung auf eindringlichen Wunsch des Autors ein neues Orchestermaterial her, welches dieser wiederum korrigiert und eingerichtet hat. Ebenso wurden in hervorragender Zusammenarbeit mit dem Herausgeber der neuen Partitur Dr. Peter Jost eine ganze Anzahl von mir entdeckter Druckfehler geklärt.

Zusätzlich zu dieser Fassung haben wir in Übereinstimmung mit Wagners ursprünglichem Wunsch auch das Lied des Walther wieder in den Sängerkrieg integriert und damit wird diese Szene auch wieder dem ursprünglichen Titel Wagners Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg gerecht. Wagners letzte Fassung bietet durch die großen Möglichkeiten in Wien auch die Version mit der größten Orchesterbesetzung. So kommen zu dem Hauptorchester zwei unterschiedlich positionierte große „Venusberg-Orchester“, zusätzliches Schlagzeug, 12 Hörner der Jagdgesellschaft, die 12 Trompeten der Gäste auf der Wartburg, die Vervierfachung der Harfen, die Hirtenschalmei und Posaunen und weitere Harfen auf der Bühne sowie verschiedene Glocken: insgesamt die größte von Wagner überhaupt vorgeschriebene Orchesterbesetzung mit 145 Musikern. Felix Mottl überlieferte von dieser Aufführung wie auch beim Ring wieder getreu die über die Partitur hinausgehenden Proben-Bemerkungen Wagners, die bei uns selbstverständlich Berücksichtigung finden.
Aber auch das war noch nicht Wagners letzte Idee zu diesem Stück. Er beharrte:
„Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“

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