Texte

Mulisch, Harry: Das steinerne Brautbett

Manuskript zur Vorbereitung des Gespräches, welches Hartmut Haenchen aus Anlaß der Lesung von Harry Mulisch zu den Dresdner Musikfestspielen 2003 hatte.

Das steinerne Brautbett
Gespräch Hartmut Haenchen mit Harry Mulisch

- Das Gespräch ist deutsch, was nach Ihrer Aussage für philosophische Erklärung ein Vorteil ist. Sie bezeichnen sich selbst als den unholländischsten Schriftsteller. Was ist für Sie der Unterschied dieser Sprachen?
- Ihr Vater war (als Österreicher) als Bankangestellter – wie Sie sagten – ein kleines Rad in der Maschinerie der Endlösung. Das künstlerische Element schreiben Sie Ihrer jüdischen Mutter zu.
- Deutsch haben Sie vor allem von der hausangestellten Frieda mit ostpreußischer Herkunft gelernt, obwohl zu Hause deutsch gesprochen wurde. Wie ist das zu verstehen?
- Sie sind nach 1940 erst richtig anti-deutsch geworden, nachdem Ihr Dackel von einem Major erschossen wurde, weil er einen Hirsch jagte.
- Die Niederlande sind ein horizontales Land. In Deutschland ist mehr vertikal. Ein Wald ist vertikal und hat seine Wurzeln. Die Spitzen weisen zu Gott.(?)
- Ein intelligenter Niederländer (verheiratet mit einer deutschen Frau) sagte mir nach einem versuchten Gespräch über niederländische Philosophie „grübelt ihr nur weiter, ihr Deutschen“ Architektur ist die künstliche vertikale Natur des Menschen, bauen darum die Niederländer eher flach als hoch?
(der Deutsche würde seine Seele verkaufen, der Niederländer nur Dinge, die er vorher billiger eingekauft hat)
- Der Volkscharakter der Deutschen ändert sich nach Ihrer Aussage aller 50 Jahre. Die letzten 50 Jahre sind masochistisch gewesen, davor sadistisch, davor untertan und davor die Dichter und Denker.
Haben alle Niederländer sich nicht verändert? Oder vielleicht nur aller 100 Jahre?
- Deutsch sprechen in den Niederlanden hat den gleichen Effekt wie niederländisch in Süd-Afrika. Doch ist die Frage, ob die Niederländer das wissen.
- Mit dem jetzigen Deutschland fühlen Sie sich emotional nicht sehr verbunden. Das Deutschland von Hitler ist für Sie viel interessanter – und schrecklicher natürlich. Ohne Hitler hätten Sie Bücher wie „Der Anschlag“, „Die Zukunft von Gestern“, „Das steinerne Brautbett“, die „Akte 40/61“ und „Siegfried“ und das Hauptwerk „Die Entdeckung des Himmels“ nie geschrieben.
- Mit Gustav Mahler haben Sie gemein – wenn Sie christlich werden würden – dass Sie katholisch würden, da Sie die Bilder, die theatralische Inszenierung und der Weihrauch mehr anziehen als der nüchterne Protestantismus.
An Hitler faszinieren Sie auch die Inszenierungen und sei es auch nur der Kunstgriff, dass Hitlers Gefolgsleute immer mit Mützen und Hüten kostümiert sind und Hitler als „das große Nichts“ barhäuptig.
- Niederländer und Deutsche stehen als zwei Völker mit dem Rücken gegeneinandergekehrt.
- Zerstörung Dresdens ist nach Ihren Büchern und Äußerungen zu urteilen die logische Konsequenz von Hitlers Architektur-Willen und Sie gründen das auf Ihre Gespräche mit Albert Speer.
Sie sehen Hitlers (Speers) Architektur als einen gigantischen Totenkult (vergleichbar mit den Pyramiden), denn er selbst wollte alle Pläne auch als „romantische“ Ruinen gezeichnet haben. Der Tod war also Teil des ganzen Planes. In dieser Hinsicht wiederholen Sie, dass der Anschluß nicht von Österreich an Deutschland, sondern genau umgekehrt war, wo der mörderische Antisemitismus herkam.

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- drei Kategorien des Bösen:
1.) Hitler, niemand ist vergleichbar
2.) Himmler, Rosenberg usw. die wirklich an Hitlers Weltanschauung glaubten
3.) Menschen, die nichts glaubten, aber alles ausführten
letztere gibt es immer und überall.
- Linie 24 nach Amsterdam – und zu Ihrer Mutter, wo ich heute noch wohne, ich kam unwissend in ein Gebiet, wo in den 30er Jahren viele wohlhabende Juden wohnten. Sie beschrieben den Straßenbahnfahrer, der vorn auf die Deutschen schimpft und im zweiten Wagen die Juden abtransportiert und nie bestraft wurde. Parallelen? Brautbett? DDR? „Sie waren dagegen, aber sie erfüllten ihre Pflicht.“ In den Niederlanden sind mehr Juden abtransportiert worden (mit Mitwirkung der Niederländer) als in jedem anderen besetzten Land, selbst mehr als in Deutschland. Darüber darf man als Deutscher heute schon gar nicht sprechen. Haben Ihre Bücher da etwas bewirkt?
- „Hitler sprach so, wie Wagner komponierte.“
Ist Wagner dann auch das „Nichts“ unter den Komponisten, das schwarze Loch am Himmel der Komponisten?
Der deutsche Hunger nach Mystik war der rote Faden in der deutschen Geschichte. Ist das heute noch so?

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