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Gluck, Christoph Willibald: Alceste

Zeitungsbericht zu den Dresdner Musikfestspielen 2003

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Zeitungsbericht für die Aufführung von Chr.W. Gluck: „Alceste“
zu den Dresdner Musikfestspielen 2003

Chr.W. Gluck: "Alceste", eine für den Dresdner Zwinger angepasste und teilweise neu entwickelte Opernproduktion der Niederländischen Oper, Amsterdam


Amsterdam, Waterlooplein: Neben dem Flohmarkt eilen Musiker des Niederländischen Kammerorchesters, des Niederländischen Kammerchores und eine Gruppe berühmter internationaler Solisten zum Künstlereingang der Niederländischen Oper. Sie versammeln sich zur Orchester-Bühnenprobe für eine Produktion, die in Amsterdam so nicht zu sehen sein wird: Glucks "Alceste". Hier werden nach Wochen intensiver Probenarbeit von Hausherr Pierre Audi, Regisseur und künstlerischer Leiter der Niederländsichen Oper und dem langjährigen Chefdirigenten Hartmut Haenchen, nun Intendant der Dresdner Musikfestspiele, die Aufführungen im Dresdner Zwinger am 14. und 15. Juni 2003 als großer Abschluss der diesjährigen Musikfestspiele vorbereitet. Das große Studio der Oper, mit den Ausmaßen der riesigen Bühne des Hauses, muss als sehr sachlicher Raum ersatzweise den Dresdner Zwinger ersetzen, für den diese Produktion extra eingerichtet wird. Dabei nimmt Piere Audi bewusst Bezug zu der neuen Umgebung, setzt neue Akzente; ein neues Bühnenbild, welches ohne Bühnentechnik auskommt, wurde entwickelt und in Amsterdam gebaut. Feuerwerkakzente in barocker Manier werden genau festgelegt und die Geschichte an ihren Wendepunkten unterstützen. Die Probe hier muss natürlich sowohl ohne dies als auch ohne Beleuchtung auskommen. Dies kann erst in den Nächten vor der Aufführung in Dresden eingerichtet werden.

Der weltberühmte Mezzosopranistin Anne Murray - an allen großen Bühnen der Welt zu Hause - singt und gestaltet in ihrer unvergleichlichen Intensität und Differenziertheit diese alles fordernde Rolle der bedingungslosen Aufopferung und Liebe mit den Tönen berührender Zartheit und das Schicksal anklagender Kraft. Donald Kaasch - inzwischen auch in Los Angeles ins Wagner-Fach übergreifender Gestalter großer Tenorpartien - gibt der Figur ihres Ehemanns Admete das Profil. Der in Dresden gefeierte holländische Bariton John Bröcheler, der Wotan des aufsehenerregenden Amsterdamer "Ring" gibt der unbarmherzigen Figur des Hohenpriesters die nötige Kraft. Der holländische Baß Harry Peters steht ihm als Herkules nicht nach. Wichtige Rollen werden von Marcel Reijans, dem jungen aufstrebenden niederländischen Tenor, Paul Whelan, Mario Luperi und Alison Hagley dargestellt.

Der Proberaum muss diesmal auch noch das in großer Pariser Besetzung der Uraufführung formierte Niederländische Kammerorchester fassen, welches sich auch während der Musikfestspiele mit einem Galeriekonzert präsentiert. Hinzu kommt der durch zahlreiche CDs und Welt-Tourneen bekannte Niederländische Kammerchor, der ein zentraler Gast der diesjährigen Festspiele ist. Neben einem spannenden a-cappella-Konzert in der Annenkirche am 10.6. ist der Chor auch der wichtige Partner für Peter Schreier in seiner Aufführung der "Johannespassion" innerhalb der Carte blanche. Die Zeitung "Die Welt" (12.10.1999) urteilte damals über die Amsterdamer Produktion: "Hartmut Haenchen dirigiert das Niederländische Kammerorchester mit klanglicher Delikatesse und dramatischem Furor. Die Ouvertüre, mit der Gluck - auch das eine Neuerung - die Zuhörer auf die Handlung vorbereiten und deren Inhalt andeuten wollte, spiegelt bereits alle Gefühle der Oper."

Richard Wagner verehrte in Christoph Willibald Gluck, dem Reformer der Opera seria, der sich für einen wahrhaftigen Ausdruck einsetzte und so die traditionelle da-capo-Arie verbannte, als den "Schöpfer des Musikdramas". Zu den Schätzen der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek gehört auch Richard Wagners Bearbeitung von Chr.W. Gluck "Iphigenia in Aulis" (so der Titel bei Wagner). Hier kann man selbst die Spuren der Aufführungen bis hin zu Ernst von Schuch nachverfolgen. 1847 kam es zur ersten Aufführung der "Iphigenia" in Wagners Fassung in Dresden. Diese Aufführung war ein Teil der Wiederbelebung des Gluckschen Gesamtwerkes, für das sich Richard Wagner konsequent in Dresden einsetzte. Eines seiner ersten Dirigate in Dresden als neuer Hofopernkapellmeister war die Aufführung von Glucks "Alceste", der er vermutlich ähnliche Veränderungen und eine deutsche Übersetzung angedeihen ließ wie der "Iphigenie". Die Gedanken von Rousseaus Aufklärung faszinierten erst Gluck, und er versuchte seine Werke in diesem Sinne zu revolutionieren, und Wagner war fasziniert von den Theaterideen, die Gluck in seinen Vorworten zu seinen Opern veröffentlichte. Wagner hat - auch hier fühlte er Verwandtschaft - sich auch von einem Komponisten der sich - wie er - theoretisch auch an sein Publikum wandte, sehr angezogen gefühlt und wollte ihm auch in dieser Hinsicht nacheifern.

Die Veränderungen, die Wagner in "Alceste" anbrachte, sind uns nicht vollständig überliefert. Die Dresdner Musikfestspiele haben sich deshalb entschlossen, das Werk in der Form (der zweiten Pariser Fassung) zur Aufführung zu bringen, die Wagner kennen - und lieben lernte. Faszinierend war auch die Idee, das Stück an einem Ort aufzuführen, der mannigfaltige Bezugspunkte zum Schloss Versailles hat, wo die Oper ebenfalls open air und mit Feuerwerkeffekten uraufgeführt wurde. Die Geschichte der bedingungslosen Gattenliebe (Alceste will sich für Ihren Gatten opfern um ihn vor dem Tod zu bewahren) hat Wagner ähnlich wie Beethoven in "Fidelio" mit einem vergleichbaren Thema angezogen. Für sein Werk wurde das Thema der Frau, die sich für eine bessere Welt aufopfert, ein zentrales Thema.

Prof. Hartmut Haenchen
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