Aktuelles

26. März 2013

Grenzüberschreitungen - Vom Dresdner Kreuzchor zur Mailänder Scala - 6 SONDERFÜHRUNGEN

Ausstellung zum 70.Geburtstag von Hartmut Haenchen im Buchmuseum der Sächsischen Landes- und Universitätsbiblithek Dresden bis zum 5. Mai 2013

Termine der Sonderführungen im Buchmuseum der SLUB Dresden durch den Direktor der SLUB Prof. Dr. Thomas Bürger:

Mittwoch, 10. April 2013, 17 Uhr,
Sonntag, 14. April 2013, 15 Uhr,
Donnerstag, 18. April 2013, 18 Uhr,
Samstag, 27. April 2013, 13 Uhr,
Sonntag, 28. April 2013, 11 Uhr,
Freitag, 3. Mai 2013, 16 Uhr
Eintritt und Führung sind kostenfrei

Fernsehbericht hier

Bericht über die Ausstellung hier

Hartmut Haenchen hat sich bereits als Mitglied des Dresdner Kreuzchors und Schüler von Rudolf Mauersberger entschieden, Dirigent zu werden. Dabei spielte das gründliche Studium der Quellen von Anfang an eine wesentliche Rolle. In der Sächsischen Landesbibliothek schrieb er als fünfzehnjähriger Oberschüler 1956 die Originalpartituren des Requiems von Johann Adolf Hasse ab. Erstmals konnte er das Requiem 1961 als achtzehnjähriger Kantor in der Kirche zu Cossebaude und 1963 als Aufnahmeprüfung für das Dirigierstudium mit Rundfunkaufnahme in der Dresdner Annenkirche aufführen.
Seither ist er in den Opern- und Konzerthäusern der Welt zuhause. Anlässlich seines 70. Geburtstages übergibt er Partituren und Aufführungsdokumente der SLUB Dresden, in der seine musiktheoretischen Studien vor 55 Jahren begannen.
Die Ausstellung zeigt Dokumente der Anfänge in den Kirchgemeinden, Zeugnisse der Tabubrüche mit Aufführungen unliebsamer Komponisten. Nach Zeiten in Halle, Zwickau, Dresden und Schwerin folgten Aufführungsverbote und die Ausreise 1986 nach Amsterdam, wo er als Generalmusikdirektor der Niederländischen Oper 70 Premieren leitete und im Amsterdamer Concertgebouw über 700 Konzerte dirigierte. Im Wagner-Jahr dirigiert er u.a. Den fliegenden Holländer an der Mailander Scala und den Ring des Nibelungen in Amsterdam. Nach seiner Intendanz der Dresdner Musikfestspiele 2003 bis 2008 wird er am 30. Mai 2013 erstmals wieder in Dresden dirigieren: das Royal Philharmonic Orchestra Stockholm in der Frauenkirche.

Die Ausstellung umfasst zahlreiche Dokumente von den musikalischen Anfängen bis zur Gegenwart, Filme, Tondokumente, ein Lesetisch und eine Internetpräsenz.

Die Fotos hat freundlicherweise André Rous zur Verfügung gestellt.

Musik in Dresden, 21. März 2013 und die Universitätszeitung berichten:

Enorm anrührend sei das für ihn, sagte SLUB-Direktor Thomas Bürger zu Beginn der festlichen Matinee, die die SLUB für den Dirigenten Hartmut Haenchen ausgerichtet hatte - denn es geschieht nicht jeden Tag, dass ein Bibliothekar eine thematische Sammlung entgegennehmen darf, in der die Erfahrung von Jahrzehnten steckt. Hartmut Haenchen, der dieser Tage siebzig Jahre alt wird, hat der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek seinen Vorlass vermacht. Das Paket, das dem Haus nun übergeben wird, umfasst dreitausend eingerichtete Partituren, umfangreiches Orchestermaterial und auch einige bibliophile Kostbarkeiten, unter anderem die seltene Notenausgabe eines Geigenduos, das der junge Richard Wagner aus einer Donizetti-Oper exzerpierte, oder eine kostbare Handschrift des Komponisten Richard Strauss.

Richard Strauss' Skizzenbuch zu seiner Oper "Die Liebe der Danae" (posthum uraufgeführt bei den Salzburger Festspielen 1952) gehört jetzt der SLUB.
Warum Haenchen der Bibliothek dieses Geschenk macht? Er ist eben auch durch und durch ein Bibliothekenfreund, ein Forscher, ein Stöberer. Mit fünfzehn hockte er in der Landesbibliothek und schrieb ein Requiem von Johann Adolph Hasse ab. Seitdem gibt es unzählige editorische oder dirigierpraktische Schriften von ihm - plus eine Sammlung von Plakaten, die die tausenden Konzerte seiner Berufskarriere ankündigten. "Vierzig Jahre Druckgrafik" nannte Bürger dieses Spezialkonvolut lachend - es korrespondiert mit den 130 CDs, die der Jubilar im Laufe seiner Dirigentenkarriere aufgenommen hat und nun ebenfalls der SLUB vermacht.
Man kann diese Geste auch als freundschaftliches Handreichen eines Dirigenten lesen, der lange mit seiner Heimat gehadert hat. Im Streit mit der Parteileitung hatte der junge Dirigent seine erste Musikdirektorenstelle geschmissen, es folgte de facto ein landesweites Arbeitsverbot, das Haenchen mehr oder minder zur Ausreise zwang. 1986 ließ der Staat ihn ziehen, schöpfte fortan Tantiemen von seinen Valuta-Honoraren ab.

Nach der Wende kam Haenchen wieder, wurde Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Doch auch diese Zeit, die der künstlerische Höhepunkt einer Weltkarriere hätte werden können, brachte Kummer abseits des Dirigentenpodiums. Haenchen kämpfte gegen die Waldschlößchenbrücke, kämpfte gegen die Kulturpolitik, kämpfte um das Budget seines Festivals. Am Ende schrieben die Zeitungen von einer "bitteren Bilanz" (Morgenpost); Haenchen sei "in 'tiefer Depression'" gegangen (LVZ), "Ruhm und Anerkennung" wollte sich unerklärlicherweise "nur im Ausland" einstellen (Morgenpost). Fortan machte sich der Dirigent in Dresden rar, dirigierte in Spanien, Italien, den Niederlanden. Den Vorsitz eines Dresdner Freundesvereins, der sich für ein neues Konzerthaus einsetzen will, legte er nach erneutem kurzem, heftigem Ringen mit der Politik nieder.

In ihrer Geburtstagsansprache erwähnte die Tochter Dorothee den Perfektionismus ihres Vaters, aber auch seine Leidenschaft für die Musik, die keine Kompromisse kennt...
Nun aber: der Vorlass. Wird es eine vorsichtige Annäherung zwischen Hartmut Haenchen und der Musikstadt Dresden geben? Ein Signal haben die Musikfestspiele gesetzt, die unter Haenchen-Nachfolger Jan Vogler die Kulturpolitiker der Stadt geschickt umarmen. Am 30. Mai dirigiert Hartmut Haenchen im Rahmen der Festspiele ein "Heimspiel" in der Frauenkirche. Viele alte Freunde, Kruzianer, Laiensänger, Orchestermusiker werden da sein und zuhören. Diesem Weltreisenden, diesem "netten Kerl, der niemals Zeit hat" (Thomas Bürger).
Martin Morgenstern
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