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22. März 2016 · Dresden

Leserbrief an die Sächsische Zeitung

im vollen Wortlaut

Leserbrief von Hartmut Haenchen an die Sächsische Zeitung, in der die ehemalige Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz sich zu kritischen Stimmen zur neuen Marketing-Strategie des Kreuzchores äußert.

Kreuzchor nicht nur „in Zukunft für alle“!

Frau Orosz hatte vermutlich früher keine Gelegenheit, die Aktivitäten des Kreuzchores wahrzunehmen. Der Kreuzchor ist schon seit 800 Jahren für alle da. Es hat niemals eine Regel gegeben, dass irgendeine Gruppe von Menschen, gleich welchen Glaubens oder welcher Ansicht, den Kreuzchor nicht hören darf. Der Kreuzchor ist auch spätestens seit der Amerika-Reise 1935 unter Rudolf Mauersberger permanent international tätig. Der Kreuzchor hat immer im Zwinger Serenaden für viele tausend Menschen gesungen. Ebenso im Pillnitzer Schlosspark oder in Stadien bei Kirchentagen. Bei der Carte Blanche von Kreuzkantor und Kreuzchor zu den Musikfestspielen 2006 waren ebenso viele Besucher, wie jetzt im Dynamo-Stadion tatsächlich waren. Von einer neuen Öffnung zu sprechen entbehrt also jeder Grundlage. Was der Kreuzchor allerdings bisher nicht gemacht hatte, war, als Backgroundchor für eine Varietésängerin zu dienen, die von einer (vorsichtig gesagt) mittelmäßigen Band begleitet wurde. Das ist die Neuerung.
Frau Orosz bringt den Gedanken, dass Weihnachtsoratorium im Kulturplast aufzuführen. Sie übersieht dabei, dass unter Ihrer Leitung der Kulturpalast drastisch verkleinert wird. Will sie eben doch einen Kreuzchor nicht für alle? Denn im Kulturplast könnten wesentlich weniger Menschen das Weihnachtsoratorium hören als in der Kreuzkirche, die übrigens mit einer niedrigen Miete wiederum die Veranstaltungen der Stadt Dresden sponsert.
Frau Orosz hat im Stadion wahrscheinlich nicht gehört, dass die Lesung der Weihnachtsgeschichte von Pfiffen begleitet war, weil sie in einem großen Teil des Stadions wegen der schlechten Beschallung nicht zu hören war. Vermutlich war es dann auch nicht die richtige Atmosphäre, um sie erstmals kennenzulernen oder überhaupt zu verstehen.
Frau Orosz, als Mitglied der CDU würde ich vorschlagen, dass Sie jetzt das „C“ von „CDU“ weglässt. Beim Kreuzchor ist ja schon das Symbol, welches auf den Ursprung und den Auftrag hinweist, verschwunden Die Druckerzeugnisse der Stadt haben ja auch im Namen „Dresdner Kreuzchor“ schon das „Kreuz“ verbannt, bezeichnet ihn schlicht als „Der Chor“. Auch im Einladungsschreiben der Stadt zum Festakt in der Semperoper kam der Name „Dresdner Kreuzchor“ überhaupt nicht mehr vor.
Frau Orosz hat recht, wenn Sie sagt dass Kreuzchor und Staatskapelle mit dem Festakt: „ nicht nur den Menschen in der Oper ein lange im Gedächtnis bleibendes Ereignis geschenkt“ haben. Wir, die wir das Glück hatten, dabei zu sein oder die Übertragung zu erleben, haben Filmmusik nach schlechtem amerikanischen Muster vom Band gehört, wir haben Filme sehen dürfen, wofür ich eigentlich nicht ins Konzert oder die Oper gehe, wir sind auf den wunderbaren Wein mit Pflanzenschutz-Zusatz aufmerksam gemacht worden. Wir haben Höhepunkte der Musikliteratur hören dürfen, die von einer Länge von viereinhalb Minuten auf 48 Sekunden gekürzt wurden und haben die Hälfte der Veranstaltung den Chor nicht sehen dürfen und beim Applaus, der eigentlich ihm gelten sollte, war er schon in Richtung Empfang im Vorgebäude unterwegs. Das bleibt im Gedächtnis, da gebe ich Frau Orosz recht.

Interessant ist auch der Gedanke von Frau Orosz, dass über den Kreuzchor die Kirche subventioniert wird. Da ja die Jubiläumsfeier nicht an dem Gründungsort des Chores stattfand, sondern in der landeseigenen Semperoper, hat die Stadt doch sicher für die Semperoper eine Miete an das Land Sachsen gezahlt. Und da nicht das städtische Orchester spielte, gleich noch ein Orchesterhonorar. Dann subventioniert die Stadt Dresden also neben der Kirche auch noch das Land Sachsen.
Es ist schön, in einer reichen Stadt zu leben.

Prof. Dr. Hartmut Haenchen
Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste

Der abgedruckte Leserbrief ist
am 22. März in der Sächsischen Zeitung erschienen
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