Zwei offene Briefe
März 2011
An die Fraktionen im Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden
An die
Dresdner Philharmonie - Orchestervorstand
PSF 120 424 - D-01005 Dresden
An die Dresdner und internationalen Musikfreunde
Liebe Kollegen der Dresdner Philharmonie!
Sehr geehrte Stadträte!
Liebe Musikfreunde!
Die Würfel scheinen wieder einmal gefallen zu sein und ich kann verstehen, dass die Dresdner Philharmoniker in diesem Entschluss eine gute Entscheidung sehen.
Da ich von den letzten 5 Jahren fast zwei Jahre in Paris mit allen großen Orchestern und Opernhäusern gearbeitet habe, türmen sich bei mir die Bedenken, dass Dresden - mit weit weniger Geld ausgestattet - die gleichen Fehler macht wie Paris. Das liegt an der Art, wie der Auftrag für den Umbau gegeben wurde:
- Die Akustik der Gerkan - Planes ist nachträglich (!) und - wie Sie gehört oder gelesen haben - ohne wesentliche Veränderungen von der Firma Peutz überprüft worden.
Mit anderen Worten: Nicht die akustischen Parameter sind die Grundlage für einen
Konzertsaal internationalen Ranges, sondern die architektonische Gestaltung. Damit
disqualifiziert sich der Entwurf als Saal mit Weltklasse-Akustik selbst. Dies auch, da ich diese Akustik-Firma persönlich kenne und (als niederländische Firma) mit ihnen zusammen versucht habe, zwei Konzertsäle in ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude (!) zu bauen. Beide sind, trotz zahlreicher (teurer) Nachbesserungen akustisch untauglich und werden u.a. deshalb auch als Konzertsäle nun wieder aufgegeben. Die Firma Peutz ist gut in elektronischer Akustik- Unterstützung. Ich nehme aber nicht an, dass das gewollt sein kann.
Ich verweise hier noch einmal auf die Pariser Erfahrungen: Der Salle Pleyel
wurde für 135 Mio umgebaut. Da er - wie in Dresden ebenfalls geplant - nicht in erster Linie unter akustischen Prämissen umgebaut wurde, wird er nun von zwei (!) neuen Konzertsälen ersetzt. Einer im Rundfunkgebäude (Akustik: Yusuhisa Toyota von Nagat Acoustics, auf dessen Arbeit die Mehrzahl der akustisch hervorragenden Säle der Welt zurückgeht) durch die Nutzung des Raumes von 4 Studios und einer in der Cité de la Musique. Kostenpunkt zusammen ca. 400 Mio. Euro. Der Salle Pleyel wird nach allen teuren Umbauten der heiteren Muse vorbehalten bleiben (!).
- Sie wissen sicher, dass eine Urheberrechtsklage von Prof. Hänsch eingereicht wurde, die Anfang Mai in Leipzig verhandelt wird. Nach dem Ihnen heute vorgelegten
Zeitplan sollen aber Aufträge bereits vor diesem Termin vergeben werden. Angesichts der Tatsache, dass in mehreren großen Symposien (z.B. Weimar, Berlin, New
York) die internationale Haltung sich gegenüber der Nachkriegsmoderne in den
letzte Jahren wesentlich zu Gunsten der Anerkennung dieser Architektur geändert
hat und der Kulturpalast einer der wenigen Säle ist, die noch erhalten sind und seit
einiger Zeit unter Denkmalschutz stehen, ist damit zu rechnen, dass diese Klage zu
Gunsten von Prof. Hänsch ausgeht. Auf die Stadt kämen mit der vorzeitigen Vergabe von Aufträgen erhebliche Schadenersatzforderungen zu.
- Für mich stellt sich die Frage, ob die ungewöhnliche Leitungsstruktur des Hauses,
so wie sie geplant ist, für die Dresdner Philharmonie funktionieren wird. Ich kenne
kein Haus in der Welt, wo eine solche Konstruktion über längere Zeit wirklich arbeitsfähig war.
- Die Position der Leitung der Staatskapelle ist deutlich und das Land Sachsen hatte immer wieder in unterschiedlicher parteilicher Zusammensetzung sich dahingehend geäußert, dass - wenn die Stadt daran mitarbeitet - sie einen Konzertsaal-Neubau finanziell unterstützen würde, um auch der Staatskapelle einen Konzertsaal zur Verfügung zu stellen und mit entsprechenden Gastspielen einen Schritt in Richtung „Musikmetropole Dresden“ zu gehen.
- Und schließlich: Eine privatrechtliche Stiftung befindet sich im Aufbau, die - nach
Luzerner Vorbild - sowohl den Bau als auch den Betrieb eines neuen Konzerthauses
finanziell (die Flankierung von Stadt und Land vorausgesetzt) und organisatorisch
vorbereitet. Es gibt also Alternativen auf dem Weg zur „Musikmetropole Dresden“
- Ich hatte zweimal Gelegenheit mit Herrn José Manuel Barroso in Brüssel zu sprechen und wir werden uns im September wieder sprechen, wenn ich das Konzert zur
Übernahme der polnischen Präsidentschaft dirigieren werde. Er ist ein eifriger Konzert- und Opernbesucher und auch mit der Kommissarin für Kultur Androulla Vassiliou konnte ich sprechen. In Brüssel ist nach Auskunft der Beiden niemals von Dresdner Politikern über die Unterstützung der EU für ein neues Konzerthaus gesprochen worden. Und wie ich feststellen konnte, gibt es da durchaus Wohlwollen für ein neues Konzerthaus in Dresden. Man müsste eben nur einmal die politische Initiative unternehmen.
- Sie haben jetzt einen amtierenden OB, der in den Stadtrat gewählt wurde,
da er einen Neuen Konzertsaal für Dresden versprochen hat.
Mit allen guten Wünschen für die richtigen Entscheidungen, denn auch in der großen Politik sehen wir, dass schlechte Entscheidungen durchaus korrigiert werden können, wenn man nur den Mut dazu hat
bin ich Ihr
Prof. Hartmut Haenchen
aus Paris
März 2011
Offener Brief
Es gibt wieder einmal Pläne zu Kürzungen in der Kultur. Diesmal soll es vor allem die Landesbühnen Sachsen treffen. Wir sprechen ja nicht über einen einmaligen Vorgang. Wir sprechen mit diesen Plänen über einen planmäßigen Abbau der Kultur. Wenn man die Pläne liest, denkt man erst, dass das ein Druckfehler sein muss, denn diese (weiteren) Einschnitte sind ein Kahlschlag in der Kultur. Wie kann es sein, dass nach dem 2. Weltkrieg, in einer Zeit der Armut, prozentual mehr Geld für Kultur verfügbar war und jetzt in Zeiten des Reichtums ein großer Teil der Subventionen in der Kultur gestrichen werden?
Die Verantwortlichen kann ich nur auffordern, sich einmal die internationalen Studien anzuschauen, die die Wechselwirkung zwischen Kultur und sozialen Problemen und Kriminalität anzuschauen. Niemand kann auf die Idee kommen, die ohnehin schon zusammengeschrumpfte Orchesterlandschaft in Europa weiter zu dezimieren, denn die Verantwortlichen wüssten dann, dass das jetzt gestrichene Geld zeitversetzt für soziale Fragen und gegen Kriminalität ausgegeben werden muss.
Wir sind uns in Mitteleuropa einig darüber, Diktaturen zu bekämpfen. Aber warum sind Diktaturen manchmal über zu lange Zeit erfolgreich? Weil sie u.a. alle ein umfängliches und meist kostenfreies Jugendprogramm haben, welches künstlerische Betätigung fördert. Die Demokratien sollten ihre Jugendprogramme ausbauen. Die Kosten, die das erfordert, werden schon eine Generation später bei der Sozialhilfe und bei der Bekämpfung der Kriminalität doppelt eingespart werden können. Es gibt keine noch so primitive Menschengemeinschaft ohne Musik. Musik und spekulatives Denken sind im materiellen Sinne - scheinbar - nutzlos. Aber die inzwischen wissenschaftlich bewiesene Wirkung der klassischen Musik, von der höheren Leistung der Milchkuh bis zur grösseren Leistungsfähigkeit von Kindern, die mit klassischer Musik aufwachsen, erbringt am Ende auch materiell greifbare Ergebnisse, obwohl eben gerade diese materiellen Ergebnisse nicht im Zentrum der Kunstdiskussion stehen dürften, denn Kunst hat nicht die primäre Aufgabe „rentabel“ zu sein und muss sich nicht über die Wirtschaftlichkeit definieren. Die Verantwortungsträger verlangen aber immer wieder diese Diskussion. Leider gibt es trotz der wirtschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkung von Kultur und Kunst keine entsprechenden politischen Entscheidungen - im Gegenteil: Trotz „Wachstum“ wird im Bereich der Kultur überall und zuerst gekürzt. Alles, was nicht unmittelbar in Geldwert auszudrücken ist, wird „weggespart“, denn Politik denkt nur in Wahlperioden. Kunst und Kultur aber müssen in Menschheitsdimensionen schaffen und denken.
Berlusconi ist beim sparen in der Kultur auch hier wieder einmal Negativ-Beispiel Nummer eins in Europa, dem die neue Regierung in Den Haag den Rang ablaufen will, Deutschland tut nun ein gleiches und das Kulturland Sachsen will seine größten Werte weggeben. Demgegenüber kann man nur rufen: Humanistische Bildung ist ein Bürgerrecht. Ihre Verweigerung ist inhuman und im höchsten Maße wirtschaftsschädigend, denn die Bildungsverlierer von heute sind die wirtschaftlich Abhängigen von morgen.
Stellt echte Kultur auf den ersten Platz und Europa wird überleben.
Prof. Hartmut Haenchen