Aktuelles

25. Mai 2008

Hartmut Haenchen zog Bilanz über seine Intendanten-Zeit

Besucherrekorde und Finanzmisere

In der abschließenden Pressekonferenz hat Hartmut Haenchen am 25. 5. seine Bilanz über die Dresdner Musikfestspiele 2003-2008 gezogen. Er hatte seinen Vertrag wegen ständig geringerer Subvention nicht verlängert.

Er dirigierte in diesen 6 Jahren eine Reihe wichtiger Konzerte:

Francesco A. d’Almeida: Sinfonie F-Dur (Wiedererstaufführung)
Carl Philipp Emanauel Bach: Sinfonie G-Dur, Sinfonie Es-Dur
Johann Sebastian Bach: Hohe Messe in h-Moll
Henk Badings: Sinfonie Nr. 9 (Erstaufführung)
Béla Bartók: Herzog Blaubarts Burg, Violinkonzert Nr. 1
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 9
Ludwig van Beethoven: Missa solemnis, Klavierkonzerte Nr. 1, 2, 4
Christoph Willibald Gluck: Alceste
Georg Friedrich Händel/Wolfgang Amadeus Mozart: „Der Messias“
Karl Amadeus Hartmann: Kammerkonzert (Erstaufführung)
Joseph Haydn: Die Jahreszeiten, Divertimento Es-Dur „Das Echo“, Sinfonie Nr. 52, Sinfonie Nr. 49 f-moll
Johann David Heinichen: La Gara degli Dei (Wiedererstaufführung)
Wolfgang Hufschmidt: Meissener TeDeum
St. Josepho: Sonate (Erstaufführung)
Johann Martin Kraus: Sinfonie c-Moll
Gustav Mahler: Das klagende Lied (EA der 1. Fassung), 2. Sinfonie, 3. Sinfonie, 8. Sinfonie
Frank Martin: In terra pax
Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie D-Dur KV 385, Musik zu „Thamos“, Konzert für Violine und Orchester D-Dur KV 211, Konzert für Violine und Orchester G-Dur KV 216
Johann Georg Pisendel: Sonata c-moll, Konzert g-moll, Konzert a-moll, Konzert Es-Dur (Wiedererstaufführungen)
Richard Strauss: Metamorphosen
Karol Szymanowski: Stabat mater (Erstaufführung)
Antonio Vivaldi: Concerto A-Dur
Georg Philipp Telemann: Ouvertüre des Nations anciens et modernes
Willem van Wassenaer: Concerto armonico (Wiedererstaufführung)
Hugo Wolf: Der Corregidor, Italienische Serenade
Richard Wagner: Parsifal (Teile), Meistersinger (Teile), Siegfried-Idyll
Carl Maria von Weber: Abu Hassan
Alexander Zemlinski: Frühlingsbegräbnis (Erstaufführung)
B.A. Zimmermann: Ich wandte mich und sah' alles Unrecht... (Erstaufführung)


60.000 Hörer besuchten die von ihm dirigierten Konzerte. Davon kauften
ca. 30.000 Besucher Karten für Konzerte unter Hartmut Haenchen,
weitere 30.000 hörten eintrittsfreie Aufführungen unter seiner Leitung.

darüber hinaus bot er:
Konzerteinführungen
Reiseführungen
Autorengespräche
Moderationen
Signierstunden
Vorträge
Laudatios
öffentliche Rundfunkgespräche
Jury-Arbeit
podcasts

Dresdner Neueste Nachrichten, 26.5.2008

Interview mit Kerstin Leiße

Gestern Abend hat der Schlussakkord in der Kreuzkirche gewissermaßen den Punkt unter Ihre Amtszeit gesetzt. Wie ist Ihre persönliche Bilanz?

Hartmut Haenchen: Das ist wie mit dem halbvollen und dem halbleeren Glas. Es gibt sehr viele Dinge, die mich glücklich machen. Dass das Konzept funktioniert hat, dass das Publikum neugieriger geworden ist, dass ich Dinge machen kann, die so vor sechs Jahren nicht funktioniert hätten und die jetzt gut besucht sind. Dass ein Vertrauen entstanden ist in die Dinge, die wir anbieten. Der andere wichtige Punkt ist, dass sich das Publikum strukturell verändert hat: Wir haben älteres Publikum nicht verloren und neues hinzugewonnen.

Aber die Gesamtbesucherzahl hat sich gravierend verringert – durch die Reduzierung der Veranstaltungszahl…

Ja, die ist effektiv geringer als vor fünf Jahren. Der Erfolg des Festivals sind nicht die großen Namen, die da waren und die sich sehen lassen können, sondern dass wir als Festival etwas getan haben, was ich immer als Pflicht empfinde: Nämlich die großen Namen erst mit entwickeln zu helfen.

Und Ihre negativen Erfahrungen?

Natürlich die ganze Schließungsdiskussion 2004. Das Absenken des städtischen Zuschusses um 500 000 Euro die entsprechende Kürzungen von Stadt und Land nach sich zogen. Am Anfang meiner Amtszeit haben wir sehr erfolgreich im Großen Garten musiziert, das wurde uns später untersagt. Wir dürfen nicht mehr auf der Freitreppe im Pillnitzer Schloss musizieren, seit diesem Jahr dort nicht einmal mehr ein Plakat aufhängen. Oder wenn die Stadt unsere 300 Plakathängeplätze auf 150 reduziert… Dann fehlt von diesen Partnern in der Stadt wirklich das Bewusstsein, was die Musikfestspiele eigentlich sind.

Als Sie Ihre Amtszeit begannen, hatten Sie Dinge wie Carte Blanche, Musikmarathon in Meißen, Reihen, Stadtteilfeste, Musikmarkt etc. als Bestandteile eines sehr umfänglichen Programms. Davon ist heute nur noch ein kleiner Teil übriggeblieben… Wie haben Sie die Entscheidung getroffen, wovon man sich verabschieden musste?

Das ist leider ganz einfach: Ich habe eine staatliche Anweisung, dass ich Veranstaltungen wie open air, wofür keine Einnahmen erzielt werden, nicht mehr veranstalten darf. Mit Ausnahme des Abendkonzertes von „Dresden singt & musiziert“.

2004 wurde von der Stadtspitze vorgeschlagen, die Musikfestspiele nach dem Jubiläum 800 Jahre Dresden 2006 zu schließen…

Die Ankündigung des Aus für die Festspiele, die 2004 durch die überregionalen und internationalen Medien gegangen ist, hat uns noch im selben Jahr die Füße weggeschlagen. Bis 2006 konnten wir uns langsam wieder auf das Niveau von 2003 bewegen. Dann aber kam die radikale Kürzung. Ich gebe gern zu, als OB Roßberg 2004 die Schließung verkündete, war ich kurz davor aufzugeben, denn unter den sich dann abzeichnenden Bedingungen, also zum Beispiel der gravierenden Reduzierung des Etats, hatte ich keinen Vertrag als Intendant geschlossen. Was mich besonders gehalten hat, waren die Dresdner. Eine solche Verbundenheit mit der Kultur ist etwas Besonderes. Dass die Dresdner auf die Straße gegangen sind, um auf vielfältigste Art gegen die Beschneidung der Kultur, und das waren ja beileibe nicht nur die Festspiele, zu protestieren.

Auch die Summe des Sponsoring ist nach 2003 eklatant zurückgegangen…

Sponsoren investieren nicht in eine Institution, die geschlossen werden sollte. Im Osten ist es ohnehin schwieriger, Sponsoren zu gewinnen. Das Rheingau Festival ist ein Beispiel, dort ist viel Geld, aber dadurch haben die Sponsoren auch großen Einfluss.

Angenommen, Sie hätten prophetische Gaben und gewusst, was in dem Amt auf Sie zukommen würde, hätten Sie es auch dann angetreten?

Mit Sicherheit nicht. Denn die Stadt hat mit bestimmten Vorgaben in meine Entscheidungen hineindirigiert. Aber das ist nicht mein Stil. Man muss bei finanziellen und künstlerischen Fragen Entscheidungsfreiheit haben.

Haben Sie die sieben Jahre verändert?

Ich habe viele glückliche Erfahrungen gemacht, zum Beispiel der Respons des Publikums. Auf der anderen Seite empfinde ich tiefe Depression über die Kurzsichtigkeit der Politik und darüber, dass diese kein Vertrauen zu Fachleuten hat.

Hat Ihre dirigentische Tätigkeit gelitten unter dem Intendantenamt?

Ja, ganz klar. Ich wollte nicht dem Beispiel des Intendanten folgen, der lediglich 18 Tage im Jahr da war. Erst in der letzten Spielzeit habe ich meine normale Dirigententätigkeit wieder aufgenommen, weil ich ja keine Festspiele mehr vorbereiten musste. Für die nächsten Jahre bin ich ausgebucht.

Und was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?

Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, das es ihm gelingt, wieder eine Basis zu haben, die zumindest der von 2003 entspricht (von den Geldentwertung durch Inflation haben wir ja bisher gar nicht gesprochen). Dresden braucht ein Festival solch internationalen Zuschnitts.

Märkische Allgemeine Zeitung21.6.2008

Haenchen geht, Vogler kommt

"Utopia“ – war gewiss ein beziehungsreiches Motto für den 31., den letzten von Hartmut Haenchen geleiteten Jahrgang der Dresdner Musikfestspiele. Hat doch Haenchen in den sechs Jahren seiner Intendanz trotz ständig schrumpfenden Etats in der thematischen Profilierung des Festivals immer wieder Träume verwirklicht. Als er im Herbst 2002 die Leitung des Musenfestes übernahm, gab er den schon zuvor unter einem Leitthema figurierenden Veranstaltungen überdies ein facettenreiches dramaturgisches Gerüst.

Leichter überschaubar für den Besucher wurde nun das Festivalgeschehen, wenn dieser sich an solchen Reihen wie „Dresden – Musik & Geschichte“, „Musik des 20. & 21. Jahrhunderts“ oder „Musik & andere Künste“ orientierte. Neu in
Haenchens Konzeption war auch die Reihe „Dresden & Europa“, die die Brücke zu einer stets wechselnden Kulturhauptstadt schlug. Und die thematisch betonten „Reisen zur Musik“, so zu Silbermannorgeln, zu Domen oder Schlössern, fanden lebhaften Widerhall. Überhaupt war es Haenchens erklärtes Ziel, die Musikfestspiele auch für neue Hörerschichten zu öffnen. Weshalb er neben dem traditionsreichen Konzert „Dresden singt & musiziert“ auf der Brühlschen Terrasse ein ganzes Netz von eintrittsfreien Open-Air-Veranstaltungen initiierte. Veranstaltungen, die zuletzt leider weitgehend der Sparpolitik zum Opfer fielen.

Gleichwohl hat Haenchen das Festival inhaltlich und bezüglich der Besucherresonanz weiterentwickelt. So wurden weit über 400 Werke aus dem 20., 21. Jahrhundert, unter ihnen allein 18 Uraufführungen, aber auch 21 Wiederentdeckungen aus der sächsischen Landesbibliothek nahtlos in die Programme integriert. Zudem wurde den Stars von morgen ein Podium geboten. Und auch die Bilanz von fast 700 000 Besuchern, unter ihnen etliche neu gewonnene junge Hörer, beweist, dass Haenchens Visionen greifbare Gestalt angenommen haben. Die aber unter seinem Nachfolger Jan Vogler nur dann noch mehr reifen können, wenn sich die Stadt endlich auch finanziell zu ihren Festspielen bekennt.

Ein gewichtiger Baustein in der diesmal ungarisch dominierten Reihe „Dresden & Europa“ war der Abend mit Béla Bartóks konzertant gebotener Oper „Herzog Blaubarts Burg“ und Zoltán Kodálys „Te Deum“. Utopien treiben bei Bartók auch Judith um, wenn sie kraft ihrer Liebe das Mysterium Blaubarts zu entschlüsseln versucht. Frappierend, wie Lioba Braun und Rudolf Rosen die spannungsreichen Dialoge der Protagonisten gestalteten. Ein Gewinn auch das von Haenchen geleitete Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, das die bohrende Leidenschaft, die sensiblen Klangvisionen der Partitur plastisch konturierte. Und dann schlug die große Stunde des MDR-Chores. Der im Verein mit einem namhaften Solistenquartett und den Stuttgartern der Verhaltenheit und dem Jubel von Kodálys „Te Deum“ beredten Ausdruck verlieh.

Ehrensache, dass Haenchen zum Abschluss des Musenfestes ein Werk gewählt hatte, das dem diesjährigen Leitmotiv in besonderer Weise entsprach – Beethovens „Missa solemnis“. Sprengt doch das monumentale Opus die überlieferte musikalische Liturgie. Ein Glücksfall, dass Haenchen das ihm bestens vertraute Sinfonieorchester und den berühmten Chor des MDR mit seiner langjährigen chorsinfonischen Tradition gewinnen konnte. Ein symbolträchtiger Schlussakkord einer bedeutenden Ära Dresdner Festivalgeschichte. (Von Dietrich Bretz)
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