Aktuelles

30. Mai 2006

29. Dresdner Musikfestspiele erfolgreich begonnen

Kartenvorverkauf um 20 % höher als im sehr gut besuchten Vorjahr. Das Eröffnungskonzert in der vollen Dresdner Kreuzkirche war ein großer Erfolg. Auch für den dirigierenden Intendanten Hartmut Haenchen

Frankfurter Rundschau, 10. Juni 2006

Dresdner Musikfestspiele
Eine Lokomotive für Enthusiasmus
VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Schnell und gerne flüchtet sich der Dresden-Reisende vor dem Regen in eine der zahlreichen Kirchen, an die schwerpunktmäßigen Schauplätze der diesjährigen Musikfestspiele (gegründet 1979 als internationales Klassik-Schaufenster der DDR). Deren Generalthema gilt 2006 dem "Glauben".

Zwar wird der Glaube - eines seiner schönen Symbole ist die (charakterologisch fälschlich) auch für den Frieden reklamierte Taube - gerne mit Treue und Festigkeit verknüpft, doch eignet ihm auch einige spirituelle Luftigkeit. Jedenfalls scheint er sich einem institutionell planenden Kalkül zu entziehen. Andererseits zeigten die neueren päpstlichen Getriebigkeiten auch Event-Qualifikationen von riesig öffentlicher Glaubensbekundung. Und warum sollte die sensationell-aufwändige Weihe der wiedererrichteten Dresdner Frauenkirche keine Lokomotive für veranstalterisch fruchtbar gemachten Glaubens-Enthusiasmus sein? Auch sie mag mithin einer guten alten Sache auf frische Beine zu helfen.

Als Konzertort taugt das mächtige, goldprächtige Innenrund unter der himmelhohen Barockkuppel für mittelgroße Besetzungen am besten, etwa für das Sächsische Vocalensemble und das Dresdner Bachorchester, die unter der Leitung von Matthias Jung ansprechend zwei Werke des Bach-Zeitgenossen Jan Dismas Zelenka (Kantate Die eherne Schlange und Miserere c-moll) präsentierten. Vom beschränkten Platz im Altarbezirk aus kam das durchaus befriedigend raumfüllend, wenn sich auch die Solisten optisch in der Weite ein wenig zu verlieren schienen. Vielleicht verhülfe ein Feldstecher zu noch besserem Hören. Unverzichtbar für Größerformatiges ist nach wie vor die Kreuzkirche, deren an Pharaonenarchitektur gemahnendes Nachkriegsinterieur auch kaum geeignet ist, die Aufmerksamkeit von der Musik abzulenken.

Der Klang der Grundmauern

Hier realisierte der charismatische Dirigent und Festspielleiter Hartmut Haenchen am Eröffnungsabend der Festspiele eine Monumentalaufführung der 2. Symphonie von Gustav Mahler mit acht Konzertchören und instruierten Mitsängern aus dem Dresdner Publikum (eine gut vertrauensbildende, Hörer bindende Maßnahme). Anrührendster Moment der gelungenen Wiedergabe war der leise Chorbeginn im Finale, wo die unbewegt auf ihren Emporenplätzen sitzenden Choristen gleichsam die Kirche selbst in ihren Grundfesten zum zart-geheimnisvollen Tönen zu bringen schienen.

Glaubensinhalt manifestiert sich in diesem Werk weniger als Gewissheit denn als unstillbare Sehnsucht nach Lebenssteigerung und -überschreitung. Um Problematisierungen ging es erst recht bei den beiden Vokalstücken, die Hartmut Haenchen, gestützt vor allem auf junge Musiker der Dresdner Musikhochschule, im Meißner Dom zu Gehör brachte. Bernd Alois Zimmermann beendete seine "ekklesiastische Aktion" Ich wandte mich um und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne 1970 wenige Tage vor seinem Freitod. Musik der Verzweiflung, hoch expressiv, aber auch zurückgenommen zugunsten des schneidend klaren Texttransports (Prediger Salomonis, Großinquisitorpassage aus Dostojewskijs Brüder Karamasow mit dem vehementen Sprecher Franz Mazura).

Diesem in mehrerlei Hinsicht ultimativen Werk stand das Meißner Tedeum von Wolfgang Hufschmidt gegenüber, eine chorische Großkomposition mit typischen Avantgarde-Merkmalen aus den sechziger Jahren, faszinierend mit der Konterkarierung des geistlichen Textes durch kritische Einsprüche von Günter Grass, die in der elektronischen Verformung nicht selten den Charakter tönend gewordener mittelalterlicher Teufelsfratzen haben, aber auch am Ende nicht im allgemeinen heiligen Wohlgefallen untergehen (auch wenn man zugeben muss, dass Grass' poetisch-gewollte Gotteskritik nicht eben die stärksten atheistischen Argumente herbeiruft). Hufschmidts Werk war als trotzig zu Stande gebrachte deutsch-deutsche Gemeinschaftsaktion mitten in der DDR-Zeit eines der großen musikgeschichtlichen Abenteuer und Heldenstücke und ist auch darum heute noch hörenswert.

Wenn man danach (in der gefälligen Annenkirche) die Uraufführung von Hans Schanderls Passion - Stufen der Hingabe vernahm, konnte man ermessen, welche beträchtlichen Weg die Kompositionsgeschichte seit den (noch seriell dominierten) sechziger Jahren gegangen ist. Schanderl (geboren 1960) gehört zu den Repräsentanten eines deutlich entspannten, pluralistischen, ja polystilistischen Komponierens. In seiner zwischen Minimal Music, fernöstlichen Einflüssen, orchestraler Klangfarbendramaturgie und orffscher Skulpturalität pendelnden Tonsprache haben sogar drastische Folklore-Intonationen bis hin zum Jodler à la Hubert von Goisern ihren Platz. Gekonnt werden großflächige chorische Steigerungsperioden, aber auch subtile tonmalerische Details und Tüfteleien, nebeneinander gesetzt. Ein spannendes Dialektisieren kommt vor allem durch den Textkontrast zwischen Dietrich Bonhoeffers existenziellen Glaubenserfahrungen am Rande des Todes und Bertolt Brechts frühen neu-nazarenischen Schülerreflexionen über das Leiden Jesu zustande. Der wahrlich ergreifende Schlusstein des abendfüllenden Opus ist die Vertonung des choralartigen Bonhoeffer-Gebets "Von guten Mächten treu und still umgeben" in einer (bis auf den aufwändigeren Schluss-Kanon) schlicht homophonen, tendenziell das Unisono umspielenden Diktion der sechs Vokalsolisten a cappella. Eine minuziöse Darbietung des Vokalensemble Singer pur, des Favorit- und Capellchores Leipzig und der Dresdner Kapellsolisten unter der Leitung von Michael Helmrath.

Eine weitere Kirchenörtlichkeit, die reformierte Kanonenhofkirche in den Festungsmaueren unterhalb der Brühlschen Terrassen, ist sogar bei eingefleischten Dresdnern kaum bekannt. Hier spielte das Orpheus-Quartett mit kammermusikalischer Finesse Streichquartette von Mozart, Berthold Goldschmidt und Beethoven. Das große Publikum traf sich wieder bei Mozarts Betulia Liberata mit dem Concentus Musicus und Nikolaus Harnoncourt in der Kreuzkirche. Ein Termin, der die Zuhörer fast drei Stunden auf den kirchlichen Büßerbänken festhielt - für ein exzellent exekutiertes musikalisch-sakrales Bildungserlebnis, das, trotz viel inspirierter Arien-Poesie und molldüsterer Chorpräsenz, eher einstand für die Mühsamkeiten, die sich mit geistlicher Festspiel-Animation verknüpfen können.

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Sächsische Zeitung, 27./28. Mai 2006

Monumentale Kraft

Unter den lebenden Dirigenten von Rang dürfte es kaum einen geben, der mit dem Werk Gustav Mahlers auch so vertraut ist wie Hartmut Haenchen (63), Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Umfangreiche Veröffentlichungen zeugen von seiner intensiven Beschäftigung mit den Hintergründen der Sinfonien Mahlers. Die Eröffnung der diesjährigen Festspielkonzerte am Donnerstag mit Gustav Mahlers 2. Sinfonie c-Moll, auch Auferstehungssinfonie genannt, unter Haenchens Leitung ließ im Vorfeld Außergewöhnliches erwarten. Und diese Erwartungen haben sich voll erfüllt.

Das Überraschendste war, dass sich trotz einiger hundert Mitwirkender die Raumakustik der Kreuzkirche nicht negativ ausgewirkt hat. Vielleicht hat der ehemalige Kruzianer Haenchen ein sicheres Gefühl dafür, wie die Probleme seiner ersten musikalischen Wirkungsstätte bewältigt werden können.
Den Beginn der Sinfonie gestaltete er aufrüttelnd und erschütternd als Sturz ins Bodenlose, nutzte dabei den relativ spitzen Klang der Violinen des ausgezeichneten Japan Philharmonic Orchestra als Gestaltungselement. Pseudoseligkeit und scheinbarer Friede dominierten im zweiten Satz, ins Leere laufende Biederkeit im dritten, bis es zum orchestralen Entsetzensschrei kam. Vorzüglich die Klangbalance in den letzten beiden Sätzen; Chöre (feste Ensembles und Liebhaber ohne sonstige chorische Bindung) und die beiden Solistinnen waren auf den Emporen postiert, und das Fernorchester in den Sakristeiräumen war ebenso präzis wie alle anderen.

Trost und Triumph

Der Schlusssatz war nicht nur ein alles verschlingender Abgrund sondern auch Trost (mit großartigem Piano der Chöre) und Triumph über den Tod – Haenchen bewies erneut seine Freude am Monumentalen und an der großen Besetzung und sein Geschick im Umgang mit beidem (...) Beide Sängerinnen hatten maßgeblichen Anteil an einer bemerkenswerten Aufführung.
Peter Zacher

Dresdner Neueste Nachrichten, 27. Mai 2006

(...) die Hartmut Haenchens von emotionaler Tiefe und Bekenntnishaftigkeit geprägter Interpretationsansatz geradezu herausforderte (...)
Bewegendster Moment der in ihrer Art in sich geschlossenen Aufführung war das sanfte, innige, völlig unopernhafte Eintauchen der Solistin Birgit Remmert ins „Urlicht“. So wird sich Mahler wohl das Hohelied auf seine Gottessehnsucht vorgestellt haben. Und dann nahte auch schon das gespenstische „Dies irae“. In vollendeter Makellosigkeit absolvierte der Bläserfernchor seinen Part.
Vor allem aus Dresdner Chören bestand der Gesamtchor – beeindruckend in seiner gestalterischen Übereinstimmung mit dem Dirigenten Haenchen, so intensiv und zu großen Steigerungen fähig, wie man es sich nur wünschen kann, den Kolonnen von Toten faszinierend Ausdruck gebend. Die expressive Gestaltungskraft der Altistin Birgit Remmert und der Sopranistin Alexandra Coku passte sich bruchlos ein.
M. Hanns

Pressemitteilung
Dresdner Musikfestspiele 2006: »Glauben«
24.05.2006
Die Dresdner Musikfestspiele 2006 stehen unter dem Thema »Glauben«. Das klingt, als würde das seit vier Jahren von Intendant Hartmut Haenchen verantwortete Klassikfest plötzlich Zeitgeist-Moden bedienen. Doch auch diese Themenwahl erfolgte nicht ohne Grund: Zum 800-jährigen Stadtjubiläum Dresdens soll an die Christianisierung einer slawischen Siedlung und die spätere Prägung durch verschiedene Glaubensformen erinnert werden. Mit Musik und anderen Künsten wird Glaubensfragen im Zeichen von Verständnis, Toleranz und Kritik nachgespürt. In einer aufgeklärten Gesellschaft könnten die verbindenden Inhalte und Wurzeln von Religiosität mithelfen, rechthaberischen Fanatismus, wie er gegenwärtig wieder mit besonderer Brisanz ausgetragen wird, möglichst aggressionslos zu überwinden.
Der enorme Publikumszuspruch scheint diesem Konzept Recht zu geben und mag als Ausdruck vorhandener Interessenslagen zu sehen sein. Im Vergleich zum Vorjahr sind vor Festspielbeginn etwa zwanzig Prozent mehr Karten verkauft worden. Höhepunkte des diesjährigen Programms – beispielsweise die Gastspiele der Berliner Philharmoniker, der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, des Hamburg Balletts sowie weiterer internationaler und nationaler Ensembles – sind bereits seit Monaten ausverkauft oder nahezu ausverkauft. Auch das Medieninteresse an den Dresdner Musikfestspielen ist in diesem Jahrgang deutlich gewachsen. Mehrere Produktionen werden live gesendet, andere für spätere Ausstrahlungen aufgezeichnet. Insbesondere italienische Journalisten sind von diesem Festival fasziniert, das in der Reihe »Dresden & Europa« Rom als Gaststadt präsentiert.
Den furiosen Auftakt dafür hat bereits im Herbst vergangenen Jahres das Sonderkonzert von Gianna Nannini gesetzt, in fast zwei Dutzend Auftritten sorgt jetzt Enzo Carro mit seinen »Canti di Roma« vor ausgewählten Veranstaltungen für italienisches Flair an der Elbe. Diese Reihe mit ihrer Brückenfunktion zu einer europäischen Metropole macht im Zusammenhang mit dem Thema aber auch den wechselseitigen Einfluss von sächsischen und italienischen Kompo nisten hörbar.
Als eigenständiger Beitrag der Musikfestspiele zum Stadtjubiläum entstand in Koproduktion mit der Dresdner Philharmonie und dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden die szenische Sicht auf das wiederentdeckte Oratorium »La morte d’Abel« (»Der Tod Abels«) von Franz Seydelmann zu dessen 200. Todestag. Wie ein Pendant dazu steht die Uraufführung eines modernen Oratoriums, der sogenannten »Brecht-Passion« von Hans Schanderl.
Trotz schwieriger Kalkulationen bieten die Dresdner Musikfestspiele auch 2006 wieder ein Stelldichein namhafter Persönlichkeiten, das mit Sir Simon Rattle, Antonio Pappano, Nikolaus Harnoncourt, John Neumeier, mit Solisten wie Emma Kirkby und Yundi Li, mit Ensembles wie Hilliard und den King’s Singers nur sehr unvollständig beschrieben sein kann. Als Carte-blanche-Künstler konnten Kreuzkantor Roderich Kreile – angesichts des Themas eine sehr nachvollziehbare Wahl, zumal der Dresdner Kreuzchor seit Gründung der Musikfestspiele zu den Mitwirkenden zählt – und der in aller Welt hoch geschätzte Violinist Frank Peter Zimmermann gewonnen werden. Dessen Vielseitigkeit kommt nicht nur in unterschiedlichsten Programmen mit Werken zu Thema und Reihen zum Ausdruck, darunter sämtlichen Violinkonzerten von Mozart, sondern widmet sich in einem Kinderkonzert speziell dem heranwachsenden Hörerkreis.
Insgesamt werden etwa zweitausend Mitwirkende das Programm der Musikfestspiele gestalten, nicht wenige von ihnen auch auf der »Glaubens-Wiese«, bei »Kultur & Markt« sowie in den sehr beliebten Mitsingekonzerten. Dass wieder zu weit über einhundert Veranstaltungen eingeladen werden kann, ist nicht zuletzt der gar nicht selbstverständlichen Verbundenheit von zahlreichen Sponsoren der Dresdner Musikfestspiele zu verdanken. So wird, um auch hier wichtige Beispiele zu nennen, die nun schon langjährige Zusammenarbeit mit der Unternehmensgruppe Melitta als etabliertem »Partner der Musikfestspiele« fortgesetzt und sichtbar ausgebaut, die BMW-Niederlassung Dresden stellt Fahrzeuge für den Künstlertransport zur Verfügung, die Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen hat wieder eine wertvolle Medaille zum Festspiel-Thema aufgelegt, und in einem Festkonzert am 9. Juni wird nun schon zum dritten Mal der »SAECULUM – Glashütte Original-Musikfestspiel-Preis« verliehen, den die Uhrenmanufaktur Glashütte Original gestiftet hat.
Michael Ernst
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