Sächsische Zeitung 14.1.2006
Prof.Hartmut Haenchen im Interview mit Bernd Klempnow
Frage: Das Thema der diesjährigen Musikfestspiele lautet " Glauben", die Gaststadt ist Rom - kommt der Papst?
Bislang ist mir das nicht bekannt. Der Ausgangspunkt für das Thema war
auch mehr das Stadtjubiläum Dresdens - die Christianisierung einer
slawischen Siedlung damals ist ja das Aufdrängen eines Glaubens. Und da
Dresden vorwiegend eine evangelische Stadt ist, fand ich das Gegengewicht
mit Rom gar nicht so schlecht. Da wir aber katholische Kirchenmusik aus Rom
kaum im Programm haben, dürften wir auch kaum den Papst empfangen.
Frage: Das Thema scheint aktuell, die Menschen suchen offenbar wieder stärker nach christlichen Werten - wie sehen Sie das?
Lange schien es, dass Spiritualität abhanden kommt. Vielleicht ist das
jetzt anders. Umso mehr freut es mich, dass es uns gelungen ist, alle großen
Weltreligionen zu berücksichtigen und die Verbindungen aufzuzeigen. In einem
Frauenkirchenkonzert werden die gleichen Psalmen in jüdischen, christlichen
und muslimischen Vertonungen erklingen. Bei "Voices for peace" auf
dem Schlossplatz interpretiert ein Palästinenser jüdische Lieder. Über die
Musik ist offenbar eine Verständigung leichter, als im normalen Leben. Zudem
gibt es Glauben-kritische Stimmen wie das "Meissener Tedeum". Und
wir spielen in Gotteshäusern auch Werke anderer Religionen - getreu dem
Untertitel "Verständigung, Toleranz und Kritik".
Frage: Sind Sie gläubig?
Ich glaube an ein höheres Wesen, das uns alle Prüfungen auferlegt, die wir
zu bestehen haben.
Frage: Wie kann man das als aufgeklärter Mensch in dieser Welt?
Wenn man es nicht zu der Frage vereinfacht: Wie kann jemand das zulassen?
Das entspräche menschlichem Denken. Der Mensch hat seine Freiräume und diese
sollte er sinnvoll auch für andere nutzen.
Frage: Zurück zu den Festspielen: Der Papst kommt nicht, kommt das Publikum?
Der Vorverkauf läuft sehr gut. Wir liegen bei rund 40 Prozent, besser denn
je. Einige Veranstaltungen sind und andere werden in den nächsten Wochen ausverkauft sein.
Auffallend ist, dass die auswärtigen Kartenkäufer aktiver sind. Der Dresdner
hält sich noch zurück. Ganz erfreulich finde ich, dass ganz moderne Projekte
wie das "Meissener Tedeum" von Wolfgang Hufschmidt im Meißner Dom
und die Uraufführung " Passion Jesu Christi" von Hans Schanderl in
der Annenkirche sich eines außerordentlichen Zuspruchs erfreuen. Zugespitzt
gesagt: Wir werden bei beiden in etwa so viele Besucher haben wie die
Zeitgenössischen Musik-Tage Dresdens insgesamt. Für mich heißt das: Die
Kombinationen eines Festivals, das unterschiedliche Stilrichtungen
berücksichtigt, scheint aufzugehen.
Frage: Die dominierende Haarfarbe ist grau - beunruhigt Sie das nicht?
Warum? Die einen, unsere treuen Zuschauer, respektieren und die anderen
trotzdem erreichen, das ist unser Ziel. Unser Team hat in den vergangenen
Jahren viel getan, um Jugendliche zu erreichen und Schulen anzusprechen. Und
das geht auf. Zum Gastspiel des Japan Philharmonic Orchestra im Kulturpalast
kommen ungewöhnlich viele Jugendliche. Unser Carte-blanche-Künstler Frank
Peter Zimmermann gibt extra ein Kinderkonzert.
Frage: Auf welche Veranstaltungen freut sich der Intendant privat?
Ich freue mich natürlich u.a. auf meine eigenen Konzerte. Der Auftritt der King Singers ist mir wichtig. Die Wiedererstaufführung von Franz Seydelmanns „Der Tod Abels“. Spannend und auch musikalisch reizvoll empfinde ich immer
wieder die Reisen, in diesem Jahr die zu Kirchen mit den Musikern vom
Hilliard-Ensemble, der Musica Antiqua Köln und Cellist Daniel
Müller-Schott. Und natürlich wird Nikolaus Harnoncourt mit einem frühen Werk
Wolfgang Amadeus Mozarts, der noch vom Dresdner Hofkapellmeisters Johann
Adolf Hasse beeinflusst war, sicher für Furore sorgen.
Frage: Stichwort Mozart: Andere Städte und Festivals feiern Mozart groß. Die
Musikfestspiele eher weniger - warum?
Wir klammern ja Mozart nicht aus, auch wenn der biografische Bezug ja
äußerst mager ist: Nicht einmal vier Tage im April 1789 war der diesjährige
Jubilar in Dresden. Dennoch ist er mit wichtigen Werken gut vertreten, ob
konzertant oder mit der Ballettversion John Neumeiers vom "Requiem" .
Ich wollte Mozart nicht zum dominierenden Thema machen, weil es alle anderen
machen. Wir sollten uns als Festival davon abheben.
Frage: 2007 werden sich die Festspiele verändern - der Etat wird fast halbiert.
Als Reaktion müssen Sie die Open-air-Konzerte wie die „Ouverture im Grünen“ zugunsten hochkarätiger Gastspiele streichen...
....zugunsten würde ich nicht sagen. Es gibt die klare politische
Forderung, mehr Einnahmen zu erzielen. Die öffentlichen Großveranstaltungen,
die tausende erreichen, bringen keinen Cent, kosten aber viel. So bin ich
gezwungen, im eintrittsfreien Bereich weiter zu reduzieren. Das hat zur
Folge, dass das Gesamtpublikum des Festivals deutlich weniger wird.
Gleichzeitig haben wir aber als erste Dresdner Institution durchsetzen können, dass wir nun Empfängern von Arbeitslosengeld II eine 50-prozentige Ermäßigung 30 Minuten vor Beginn einer Veranstaltung gewähren können. Damit
kann dann eine Konzertkarte etwa ein Viertel von dem kosten), was fürs Kino zu
bezahlen ist. Ich hoffe darauf, dass Menschen, die ohnehin schon viel
ausgegrenzt sind, dies annehmen, um nicht auch von der Kultur ausgegrenzt zu sein.