Freies Wort, 25. März 2006
Stefan Reisner im Gespräch mit Hartmut Haenchen
Herr Haenchen, haben Sie ihre Koffer schon gepackt?
Hartmut Haenchen: Ja, aber ich bin ja irgendwie immer am packen.
Und wo haben Sie ihre Partituren verstaut, im Handgepäck oder im Koffer?
Hartmut Haenchen: Die sind natürlich im Handgepäck. Einerseits um noch mal hineinsehen zu können, andererseits auch deshalb, weil mir im Laufe der Zeit schon Noten abhanden gekommen sind. Die Partituren gehören immer zu mir.
Sie haben Engagements überall auf der Welt, haben in Amsterdam gelebt und gearbeitet, bevor Sie wieder nach Dresden zurückkamen. Fühlt man sich da irgendwo zuhause?
Hartmut Haenchen: Ich bin in ein anderes Land zurückgekommen als das, was ich verlassen habe. Die Heimatgefühle beziehen sich mehr auf die Umgebung und auf einige Menschen. Aber auch auf Dresden, weniger als Stadt, aber als Kulturlandschaft.
Wie schauen Sie mit Ihren Erfahrungen auf den immer wieder von Kürzungen bedrohten Kulturbetrieb?
Hartmut Haenchen: Meine 20-jährige Tätigkeit in Amsterdam habe ich auch wegen finanzieller Kürzungen aufgegeben. Es wird nicht nur Deutschland an der Kultur gespart. Ich sage immer, wenn an der Kultur gespart wird, muss man das später im sozialen Bereich doppelt und dreifach wieder ausgeben. Aber das ist beim kurzfristigen Denken in der Politik ganz schwer in die Köpfe zu bekommen. Mich als Intendant der Dresdener Musikfestspiele und als Dirigent trifft das Sparen an der Kultur auch. Aber in Deutschland, das muss man ehrlicherweise sagen, ist es um die Kultur ja gut bestellt. Es gibt beispielsweise kein Land auf der Welt, das pro Kopf so viele Orchester hat. Das ist etwas, was Deutschland einmalig macht. Diese Einmaligkeit sollte man erhalten, um sie für folgende Generationen zu retten.
Können Sie darauf als Intendant und Dirigent einwirken?
Hartmut Haenchen: Ja. Ich stelle mich allen Diskussionen und suche sie auch mit den Politikern, um die Konsequenzen deutlich zu machen. Kultur wird von der Politik als reiner Wirtschaftsfaktor gesehen, es ist aber mehr. Die Dresdener Musikfestspiele sind beispielsweise so ausrichtet, dass mehr Geld hereinkommt, als ausgegeben wird. Das ist zwar eine Umweg-Finanzierung, aber ich sage, man muss sehr reich sein, um so etwas wegzukürzen. Man verliert dadurch – nicht nur ideell, sondern auch materiell.
Geht es dann heute in der Kultur vermehrt nur noch über Sponsoring?
Hartmut Haenchen: Der amerikanische Weg ist nicht der Weg, den Deutschland beschreiten soll und kann, schon wegen der Gesetzgebung. Sponsoring ist in Deutschland uninteressant. Außerdem gibt es in Amerika das Mäzenatentum. Auch da liegt das Problem in der Steuergesetzgebung. Solange das noch so ist, können Politiker nicht sagen, sucht nach Sponsoren. Hier muss die Politik erst die Voraussetzungen schaffen, aber selbst dann sollten wir nicht den amerikanischen Weg anstreben, denn letztlich ist Europa und Deutschland immer noch der Raum, wo Kreativität in der Kunst entsteht. Wenn wir das weglassen, indem wir nur noch Programme der Sponsoren machen, dann hat Deutschland ein großes Problem. Eine Freiheit in der Kunst ist mit ausschließlichem Sponsoring nicht zu vereinbaren.
Für das Konzert in Suhl hat Sie der MDR gewonnen. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?
Hartmut Haenchen: Ich habe in den letzten Jahren sehr viel mit dem MDR zusammengearbeitet. Ich mache regelmäßig Konzerte mit dem MDR. Meistens sind das Konzerte mit dem MDR-Chor, weil ich den sehr schätze. Er ist sicherlich einer der besten Chöre Europas. Außerdem liegt mir Chorsymphonik sehr am Herzen und die kann man mit den beiden Klangkörpern des MDR in sehr guter Qualität machen. Deshalb nehme ich solche Angebote sehr gerne an.
Das Programm besteht aus geistlicher Vokalmusik. Ist das schon ein musikalischer Vorgeschmack auf Ostern?
Hartmut Haenchen: Es ist eine Zeit, in der geistliche Besinnung eine große Rolle spielt. Wir haben keine Passionsmusik gewählt, aber der Bezug dazu ist immer da. Was mich an dem Programm interessierte war, im Mozartjahr zwar Mozart zu spielen, aber einmal etwas ganz Unbekanntes von ihm. Ich halte das Kyrie in d-Moll für ein ganz großes Werk. Von der Qualität steht es dem Requiem oder der großen c-Moll-Messe in nichts nach. Was mir bei dem Programm noch sehr wichtig ist: das Vorher und das Nachher mit Vivaldi und Schubert zu zeigen. Ich will das Woher und das Wohin Mozarts in dem Programm darstellen.
Wie halten Sie es denn mit dem Mozartjahr?
Hartmut Haenchen: Als Dirigent mache ich natürlich viel V Mozart. Ich versuche dabei, nicht nur die großen Meisterwerke zu spielen, sondern ihn auch von anderen Seiten zu beleuchten, also Vorher und Nachher, Mozart und Zeitgenossen oder unbekannte Werke aufzuführen, um das Bild abzurunden.
Das Konzert in Suhl findet in einer großen Konzerthalle statt. Funktioniert dort überhaupt geistliche Vokalmusik?
Hartmut Haenchen: Die Größe ist nicht das Problem, aber es bleibt die Frage, wie weit Kirchenmusik in einer Konzerthalle funktioniert. Das ist durchaus nicht unkompliziert, denn die Komponisten der Zeit haben ihre Werke für bestimmte Räume geschrieben.
Wie versuchen Sie diesen Spagat zwischen Kirchenmusik und Konzertsaal zu meistern?
Hartmut Haenchen: Jeder Saal hat eine Auswirkung auf die Interpretation. Ich kenne den Saal nicht gut genug, um schon zu sage, was ich genau tue. Aber ich werde bei der Probe die Differenzen finden, die sinnvoll sind.
Der MDR will in Suhl regelmäßige Konzerte etablieren, macht das aber von der Publikumsresonanz abhängig. Ist deshalb eine so gute Besetzung gewählt?
Hartmut Haenchen: Ich kenne den Plan nicht. Ich weiß aber, dass der MDR an anderen Orten Konzertreihen etablieren wollte und die wegen mangelndem Publikum wieder abgesetzt hat.
Wie stehen Sie zu solch einer Aussage? Muss nicht ein Sender, der durch Gebühren finanziert wird, das tun?
Hartmut Haenchen: Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat andere Aufgaben als ein Konzertorchester. Aber sicherlich hat das MDR-Sinfonieorchester auch den politischen Auftrag, nicht nur in Leipzig zu spielen, sondern in die Länder hinein zu gehen. Ich denke, dass sich Qualität immer durchsetzt. Man muss am Anfang sicherlich einen langen Atem haben, um Publikum zu gewinnen. Aber der Sender sollte das probieren.