Hartmut Haenchen ist ein vielbeschäftigter Mann. An der Mailänder Scala hat er gerade Wagners „Fliegenden Holländer“ dirigiert. Und in Amsterdam, wo er 13 Jahre Generalmusikdirektor der Nederlandse Opera war, steht wieder der legendäre „Ring“ von 1999 in der Regie von Pierre Audi auf dem Programm. Mitten in die „Walküre“-Proben fiel am 21. März der 70. Geburtstag des gebürtigen Dresdners.
Trotz seiner zahlreichen Gastdirigate von London bis Tokio nimmt sich Haenchen aber auch mehrmals im Jahr Zeit, mit seinem Berliner Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach zu arbeiten. Seit 1982 leitet er das Ensemble, mit dem er vor allem Werke des Bach-Sohns und Kammercembalisten Friedrichs II.
sowie weiterer Barockkomponisten aufführt, die Haenchen teils selbst in Archiven ausgegraben hat. Im April erscheint beim Label Berlin Classics die Ersteinspielung der Serenata „La Gara degli Dei“ von Johann David Heinichen, der einst Kapellmeister am Hofe Augusts des Starken in Dresden tätig war. Doch mit dieser Pionierarbeit soll demnächst Schluss sein: Das 1969 gegründete Orchester hat angekündigt, dass es sich 2014 auflösen wird.
Auf die Frage nach dem Warum antwortet Hartmut Haenchen: „Wir erhalten keine finanzielle Unterstützung, weder von Berlin noch vom Bund oder von großen Sponsoren. Selbst mithilfe unseres Freundeskreises können wir die Kosten einfach nicht mehr decken. Nicht nur ich, sondern auch alle Musiker und Gastsolisten verzichten auf ihre Gagen, sonst wären die Auftritte längst nicht mehr möglich.“ Dietrich Fischer-Dieskau, Anne-Sophie Mutter, Swjatoslaw Richter, Christine Schäfer, Peter Schreier sind nur einige Künstler von Weltrang, die das Orchester über die Jahre begleitet haben. Haenchen sagt ohne Bitterkeit, dass sich das Ensemble auf höchstem musikalischen Niveau von seinem Publikum verabschieden wolle. Leicht aber sei ihm die Entscheidung nicht gefallen.
Der Dirigent ist dem Orchester nicht nur in künstlerischer, sondern auch in menschlicher Hinsicht tief verbunden. Denn die Musiker wählten ihn zu ihrem Chef, als er bei den DDR-Behörden in Ungnade gefallen war und in seinem Land keine Arbeit mehr fand. Haenchen, der seine Laufbahn im Dresdner Kreuzchor begann, geriet schon als Teenager ins Visier der Stasi. Als Dirigent bekleidete er später wichtige Ämter in verschiedenen Städten und arbeitete mit allen Berliner Opern- und Sinfonieorchestern zusammen. Dennoch wurde er weiter schikaniert, so legte ihm etwa die SED in Halle Ende der sechziger Jahre zur Last, bei der Aufführung von Brahms’ Deutschem Requiem „die Riten der Kirche“ in den Konzertsaal übertragen zu haben. Haenchen hatte das Publikum gebeten, nach der Aufführung nicht zu applaudieren.
Jahre später wurde ein bereits unterschriebener Vertrag als Chefdirigent der Komischen Oper in Berlin annulliert, es folgten ein Reise- und de facto auch ein Dirigierverbot.
In dieser Zwangslage erfuhr Hartmut Haenchen große Unterstützung von seinem C.-P.-E.-Bach-Orchester, das zunächst als Spezialensemble für Neue Musik der Berliner Staatsoper gegründet worden war. Um nicht ständig Stücke von linientreuen, künstlerisch aber wenig überzeugenden Zeitgenossen aufführen zu müssen, verlagerte Haenchen den Schwerpunkt des Orchesters in eine für die DDR relativ ideologiefreie Zeit. „Ich hatte das Glück, dass Hans Pischner, der damalige Intendant der Staatsoper, in seinem Haus eine schützende Hand über mich hielt. Das Dirigierverbot konnte er zwar nicht aufheben, aber ich bekam die Möglichkeit, das Orchester zu leiten.“
1986 konnte Haenchen als „Selbstfreikäufer“ in die Niederlande ausreisen. Die DDR ließ ihm seinen Pass, im Gegenzug musste er 20 Prozent der Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Musikchef der Amsterdamer Oper abführen. „In den Niederlanden wurde ich damals ständig bespitzelt“, erzählt er. „Der letzte Eintrag in meine Stasi-Akte datiert vom 10. Oktober 1989.“
Mit dem C.-P.-E.-Bach-Orchester trat Haenchen auch während seines Exils auf. Inzwischen sind viele jüngere Musiker nachgerückt, nicht nur aus der Staatskapelle, sondern auch aus anderen Berliner Orchestern. Ihr nächster Auftritt, am 10. Mai im Konzerthaus, ist Mozart gewidmet, als Solist wird der Pianist Peter Rösel dabei sein. Endgültig verabschieden wird sich das Orchester dann im Frühjahr 2014, mit einem Oratorium zum 300. Geburtstag des Namenspatrons und mit den letzten drei Mozart-Sinfonien.