Herr Haenchen, Sie gelten als Wagner-Spezialist. Wie gut kennen Sie den "Parsifal“?
Ich habe nicht nur 34 komplette Ring-Zyklen dirigiert (die auch auf Medien vorliegen), sondern mich auch ständig mit Parsifal beschäftigt: In der DDR war Parsifal verboten. Herbert Kegel brach dieses „Verbot“ mit einer konzertanten Aufführung. Ich war der zweite Dirigent, der eine szenische Aufführung als Chefdirigent der Mecklenburgischen Staatskapelle durchsetzen wollte. Die szenische Aufführung wurde dort verboten, es wurden konzertante Aufführungen. Dann inszenierte Harry Kupfer Parsifal an der Berliner Staatsoper. Ich dirigierte dort zwei Vorstellungen, die an Stasimitarbeiter ausverkauft waren, damit das normale Publikum nicht hineinkonnte. (Natürlich erfuhr ich dies erst viele Jahre später.) Dann dirigierte ich die Götz Friedrich-Produktion in Stuttgart. Danach kamen Produktionen in Amsterdam zweimal mit Michael Grüber, Paris mit Warlikowski, Kopenhagen (Keith Warner) und Brüssel (Romeo Castelucci). Diese Aufführung erschien auch als DVD. Also nach 54 Parsifal-Aufführungen kenne ich das Stück ganz gut, untersuche aber Details immer noch. Auch jetzt wieder bin ich im Kontakt mit dem Herausgeber der Neuen Wagner-Ausgabe Dr. Egon Voss.
Sie springen für Andris Nelsons ein, der sehr plötzlich gekündigt hat. Hatten Sie gerade nichts zu tun oder haben Sie eine andere Produktion dafür sausen lassen?
Ich hatte in dieser Zeit meinen üblichen Arbeitsurlaub mit den Vorbereitungen für die nächste Saison geplant.
Was sind die größten Herausforderungen, eine solche Riesenproduktion drei Wochen vor der Premiere zu übernehmen?
Den richtigen Weg zwischen den Ergebnissen der Probenarbeit meines Vorgängers und meinen eigenen Erkenntnissen zu diesem Stück zu finden.
Sie sind als akribischer Vorbereiter bekannt. Nun müssen Sie eine von anderen durchgeplante Produktion stemmen. Sehen Sie das als Problem?
Zunächst habe ich es gut, weil in meiner Orchesterbibliothek u.a. sämtliche Wagner-Opern in meiner Einrichtung liegen. Die musste ich nur ins Auto packen. Natürlich ist das keine normale Produktion, aber alle Mitwirkenden und Mitarbeiter sind hochmotiviert, um mich zu unterstützen und so viel wie möglich meiner Auffassungen umzusetzen. Als junger Dirigent habe ich auch Opern selbst ohne Proben auf den Abend übernommen. Das sollte man auch können.
Sie stehen von jetzt auf sofort im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit, so weit sie sich für Wagner interessiert. Der "Parsifal " ist als einzige Neuinszenierung die herausragende Produktion dieses Festspieljahrgangs. Brauchen Sie solchen Druck, um Höchtleistung zu bringen oder hemmt er eher?
Ich brauche keinen Druck für Höchstleistungen.
Dem Musikdirektor der Festspiele, Christian Thielemann, wurde in Verbindung mit dem Abgang von Andris Nelsons nachgesagt, er würde sich in die Produktionen der Kollegen über Gebühr einmischen. Thielemann hat das vehement zurückgewiesen. Wie ist ihr Kontakt zu ihm?
Wir haben unsere sehr spartanischen Garderoben direkt nebeneinander und haben einen guten Kontakt soweit dies unser sehr enges Zeitschema zuläßt.
Sie sind 73 Jahre alt, ein später Debütant in Bayreuth. Sie waren immer mal wieder im Gespräch, doch wirklich nahegekommen sind sich Hartmut Haenchen und die Bayreuther Festspielleitung doch nie. Woran hat's gelegen?
Wolfgang Wagner hatte mich bereits einmal eingeladen. Die Einladung hat mich in der DDR nie erreicht.
Kann aus dem "Parsifal" 2016 mehr werden als ein Gastspiel für eine Saison?
Dazu kann ich im Moment nichts sagen.