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25. July 2017 · Hojothoho! Das Bayreuther Festspielmagazin. Seite 46-47.

Forscher nach Wagners wirklichem Willen

Hartmut Haenchen feierte mit Jahrzehnten Verspätung sein Debüt bei den Bayreuther Festspielen, nachdem ihm das DDR-Regime eine Einladung von Wolfgang Wagner verschwiegen hatte, kam es erst 2016 dazu. Der Dirigent, der längst internationale Karriere gemacht hatte, übernahm quasi in letzter Minute die musikalische Leitung der Premierenproduktion von „Parsifal“ in der Regie von Uwe Eric Laufenberg. „Ich möchte Parsifal nochmal richtig machen“, sagte er am Ende der vergangenen Saison. 2017 ist Hartmut Haenchen (74) wieder im berühmten Graben - und auf der Bühne. Denn er dirigiert nicht nur „Parsifal“, sondern auch den Festakt zum 100. Geburtstag von Wieland Wagner am 24. Juli.

In diesem Jahr haben Sie eine längere Vorlaufzeit. Konnten Sie

diese nutzen?

 

Ich habe die Zeit genutzt und habe komplett neues

Orchestermaterial angefertigt.

 

Wieso das?

 

Ich konnte im letzten Jahr die Uraufführungsstimmen, die hier im

Haus liegen, einsehen. Sensationell! Es haben sich noch einmal viele Details

ergeben, die mich veranlasst haben, für die Streicher und Bläser neues Material

herzustellen bzw. jede Bläser-Stimmeeinzeln zu

korrigieren.

 

Wozu war das erforderlich?

 

Beim Uraufführungsmaterial

handelte sich um handgeschriebene Stimmen, die später, ich vermute um 1898, als

Stichvorlagen für den Druck vorbereitet wurden,

korrigiert wurden. Da sieht man genau, was passiert ist. Das, was Wagner noch

an Hermann Levi (Dirigent der Parsifal-Uraufführung 1882) an Änderungen gegeben

hatte, wurde bei der Stichvorlage auf das Autographvon

Wagner zurückverändert.

 

Das Autograph ist…

 

… die Reinschrift der Partitur von

Wagner. Und nicht der letzte Stand der Dinge. Autograph und Orchestermaterial,

woraus man in Bayreuth seit 1902 gespielt hat, stimmten zwar weitgehend

überein, stimmten aber nicht mit dem überein, was Wagner nach dem Autograph

geändert hat. Und diese Situation habe ich jetzt wieder

hergestellt.

 

Das bedeutet?

 

Ich habe nun alle verfügbaren Quellen, dazu gehört natürlich auch

die Uraufführungspartitur, die im Siegfried-Haus liegt, noch einmal auf

relevante Bemerkungen durchgesehen. Und ich fand ein paar tausend Details.

 

Oh. Bleibt da noch etwas übrig, vom gewohnten Parsifal?

 

Natürlich. Es bleibt Parsifal, da muss man keine Angst haben. Es

gibt einige neue Tempoanweisungen. Zum Beispiel im Vorspiel zum dritten Akt

steht im Autograph‚ "zurückhaltend", während Wagner ganz klar gesagt hat, dort

muss es "vorwärts" gehen. Bei der Dynamik gibt es sehr viele Änderungen für die

Sänger - etwa 700 Änderungen gegenüber dem, was normalerweise im Klavierauszug

steht.

 

Worum geht es da?

 

Zum Teil ist der Text anders, zum Teil der Rhythmus, zum Teil

andere Noten, manchmal auch sehr konkrete Anweisungen. Zum Beispiel gibt es

eine Stelle, wo Wagner schreibt, dass Parsifal im Falsett singen soll. Ich

finde das alles spannend. Und insofern wird sich der Parsifal gegenüber dem vom

letzten Jahr noch unterscheiden.

 

Was sagen die Sänger, das Orchester, der Regisseur zu den

Neuerungen?

 

Es gibt natürlich Diskussionen über den Sinn. Das muss auch sein.

Zum Beispiel hat Wagner das Wort Kühnheit in Klugheit umgeändert hat, was auch

dramaturgische Konsequenzen hat. Es war sicher kein sängerischer Grund, weil

sich Kühnheit besser singen lässt als Klugheit. Das muss natürlich auch

interpretatorisch umgesetzt werden. Ich habe das mit Herrn Laufenberg

abgesprochen und wir haben absolut Konsens erreicht. Es gab von den Sängern

niemanden, der abgelehnt hat. Es kann natürlich sein, dass man es vergisst,

weil man es anders gewohnt ist.

 

Also hört man in diesem Jahr 2017 Parsifal in Bayreuth so wie er

hier bei der Uraufführung zu hören war?

 

So kann ich das natürlich nicht sagen. Es hat sich so viel

verändert, auch die Art zu singen und die Art, im Orchester zu spielen.

Insofern würde ich nicht sagen, es ist wie zur Uraufführung. Es gibt ein

Detail, das wir in unserer Premiere hier nicht hören werden.

 

Welches?

 

Die Verwandlungsmusik. Wagner hat von Engelbert Humperndinck

(Anm. der Komponist war Wagners Assistent zur Uraufführung von Parsifal)

gefordert, etwas dazu zu komponieren, weil die

Verwandlung (damals ein rollender Prospekt) nicht schnell genug funktionierte.

Das hat Humperdinck dann auch gemacht. Die

Partitur liegt ebenfalls im Siegfried-Haus. Beim Festakt, wo wir die

Verwandlungsmusik auch spielen, wird diese von Humperndinck erweiterte Version

gespielt. Das voluminösere Stück - es dauert drei Minuten länger - eignet sich

gut für ein Festkonzert.

 

Für den Festakt für Wieland Wagner hört man also Musik, die sonst

nicht im Festspielhaus zu hören ist — Rienzi, Wozzeck, Otello und die drei

Minuten längere Verwandlungsmusik. Wie kam es zur Auswahl der Stücke?

 

Zunächst fand ich es toll, dass hier auch einmal andere

Komponisten zu Wort kommen. Mit der Auswahl soll gezeigt werden, dass Wieland

Wagner auch außerhalb Bayreuths sehr viele wichtige Inszenierungen verantwortet

hat. Die Auswahl wurde zusammen mit Nike Wagner getroffen.

 

Wie kam es dazu, dass Sie das Konzert dirigieren?

 

Katharina Wagner hat mich gefragt, ob ich das machen möchte. Und

natürlich habe ich gerne Ja gesagt. Denn das ist sehr spannend und eine große

Ehre für mich. 

 

Sie haben  als Hospitant bei Pierre Boulez den

Bayreuther Festspielen beigewohnt. Mittlerweile ist aber bekannt, dass Sie schon

Wolfgang Wagner als Dirigent hier haben wollte. Wie erfuhren Sie davon?

 

Durch Wolfgang Wagner, der

mich später in Amsterdam besuchte, wo ich die „Meistersinger“ leitete. Er

sagte, er habe es sehr bedauert, dass ich damals die Einladung nicht angenommen

habe. Da habe ich gesagt: „Welche Einladung?“

 

Was sollten Sie dirigieren?

 

„Der fliegende Holländer“ in

der Regie von Harry Kupfer. Ich habe den Vorgang auch später in meinen

Stasi-Akten gefunden. Die Künstleragentur der DDR hatte entschieden, mir die

Einladung von Wolfgang Wagner erst gar nicht mitzuteilen. Das war zu einer

Zeit, als ich sowieso Dirigierverbot hatte in der DDR.

 

Fühlen Sie sich im Nachhinein

um eine Karriere betrogen?

 

Meine Karriere ist schon

anders verlaufen, als sie verlaufen wäre, wenn ich nicht in der DDR gewesen

wäre. Die Dirigiersperre, die ich bekam, geschah zu einer Zeit, in der ich sehr

leistungsfähig war. 1986 habe ich dann den Schlussstrich gezogen und die DDR

verlassen.

 

Sie hatten letztes Jahr

gesagt, Sie würden gerne nochmal kommen, um Parsifal besser zu machen. Ist das

gelungen?

 

Ich würde sagen, es kommt

Wagners Willen näher. Insofern bin ich sicher, dass es besser ist.

 

Mein Streben ist es immer,

den Ideen des Komponisten so nahe wie möglich zu kommen.