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26. May 2008 · Dresdner Neueste Nachrichten

Bilanz und Ausblick

Bilanz von 6 Jahren Intendanz der Dresdner Musikfestspiele

Interview mit Kerstin Leiße

 

Gestern Abend hat der Schlussakkord in der Kreuzkirche gewissermaßen den Punkt unter Ihre Amtszeit gesetzt. Wie ist Ihre persönliche Bilanz?

 

Hartmut Haenchen: Das ist wie mit dem halbvollen und dem halbleeren Glas. Es gibt sehr viele Dinge, die mich glücklich machen. Dass das Konzept funktioniert hat, dass das Publikum neugieriger geworden ist, dass ich Dinge machen kann, die so vor sechs Jahren nicht funktioniert hätten und die jetzt gut besucht sind. Dass ein Vertrauen entstanden ist in die Dinge, die wir anbieten. Der andere wichtige Punkt ist, dass sich das Publikum strukturell verändert hat: Wir haben älteres Publikum nicht verloren und neues hinzugewonnen.

 

Aber die Gesamtbesucherzahl hat sich gravierend verringert – durch die Reduzierung der Veranstaltungszahl…

 

Ja, die ist effektiv geringer als vor fünf Jahren. Der Erfolg des Festivals sind nicht die großen Namen, die da waren und die sich sehen lassen können, sondern dass wir als Festival etwas getan haben, was ich immer als Pflicht empfinde: Nämlich die großen Namen erst mit entwickeln zu helfen.

 

Und Ihre negativen Erfahrungen?

 

Natürlich die ganze Schließungsdiskussion 2004. Das Absenken des städtischen Zuschusses um 500 000 Euro die entsprechende Kürzungen von Stadt und Land nach sich zogen. Am Anfang meiner Amtszeit haben wir sehr erfolgreich im Großen Garten musiziert, das wurde uns später untersagt. Wir dürfen nicht mehr auf der Freitreppe im Pillnitzer Schloss musizieren, seit diesem Jahr dort nicht einmal mehr ein Plakat aufhängen. Oder wenn die Stadt unsere 300 Plakathängeplätze auf 150 reduziert… Dann fehlt von diesen Partnern in der Stadt wirklich das Bewusstsein, was die Musikfestspiele eigentlich sind.

 

Als Sie Ihre Amtszeit begannen, hatten Sie Dinge wie Carte Blanche, Musikmarathon in Meißen, Reihen, Stadtteilfeste, Musikmarkt etc. als Bestandteile eines sehr umfänglichen Programms. Davon ist heute nur noch ein kleiner Teil übriggeblieben… Wie haben Sie die Entscheidung getroffen, wovon man sich verabschieden musste?

 

Das ist leider ganz einfach: Ich habe eine staatliche Anweisung, dass ich Veranstaltungen wie open air, wofür keine Einnahmen erzielt werden, nicht mehr veranstalten darf. Mit Ausnahme des Abendkonzertes von „Dresden singt & musiziert“.

 

2004 wurde von der Stadtspitze vorgeschlagen, die Musikfestspiele nach dem Jubiläum 800 Jahre Dresden 2006 zu schließen…

 

Die Ankündigung des Aus für die Festspiele, die 2004 durch die überregionalen und internationalen Medien gegangen ist, hat uns noch im selben Jahr die Füße weggeschlagen. Bis 2006 konnten wir uns langsam wieder auf das Niveau von 2003 bewegen. Dann aber kam die radikale Kürzung. Ich gebe gern zu, als OB Roßberg 2004 die Schließung verkündete, war ich kurz davor aufzugeben, denn unter den sich dann abzeichnenden Bedingungen, also zum Beispiel der gravierenden Reduzierung des Etats, hatte ich keinen Vertrag als Intendant geschlossen. Was mich besonders gehalten hat, waren die Dresdner. Eine solche Verbundenheit mit der Kultur ist etwas Besonderes. Dass die Dresdner auf die Straße gegangen sind, um auf vielfältigste Art gegen die Beschneidung der Kultur, und das waren ja beileibe nicht nur die Festspiele, zu protestieren.

 

Auch die Summe des Sponsoring ist nach 2003 eklatant zurückgegangen…

 

Sponsoren investieren nicht in eine Institution, die geschlossen werden sollte. Im Osten ist es ohnehin schwieriger, Sponsoren zu gewinnen. Das Rheingau Festival ist ein Beispiel, dort ist viel Geld, aber dadurch haben die Sponsoren auch großen Einfluss.

 

Angenommen, Sie hätten prophetische Gaben und gewusst, was in dem Amt auf Sie zukommen würde, hätten Sie es auch dann angetreten?

 

Mit Sicherheit nicht. Denn die Stadt hat mit bestimmten Vorgaben in meine Entscheidungen hineindirigiert. Aber das ist nicht mein Stil. Man muss bei finanziellen und künstlerischen Fragen Entscheidungsfreiheit haben.

 

Haben Sie die sieben Jahre verändert?

 

Ich habe viele glückliche Erfahrungen gemacht, zum Beispiel der Respons des Publikums. Auf der anderen Seite empfinde ich tiefe Depression über die Kurzsichtigkeit der Politik und darüber, dass diese kein Vertrauen zu Fachleuten hat.

 

Hat Ihre dirigentische Tätigkeit gelitten unter dem Intendantenamt?

 

Ja, ganz klar. Ich wollte nicht dem Beispiel des Intendanten folgen, der lediglich 18 Tage im Jahr da war. Erst in der letzten Spielzeit habe ich meine normale Dirigententätigkeit wieder aufgenommen, weil ich ja keine Festspiele mehr vorbereiten musste. Für die nächsten Jahre bin ich ausgebucht.

 

Wenn Sie Ende September die Tür hinter Ihrem Intendantenbüro zumachen, wird dann auch Ihre Frau aufatmen?

 

Ja, Sie hat mir sehr den Rücken gestärkt, bei sehr vielem geholfen. Immerhin: Für meine Dirigententätigkeit habe ich seit kurzem eine Agentur in London.

 

Und was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?

 

Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, das es ihm gelingt, wieder eine Basis zu haben, die zumindest der von 2003 entspricht (von den Geldentwertung durch Inflation haben wir ja bisher gar nicht gesprochen). Dresden braucht ein Festival solch internationalen Zuschnitts.