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12. May 2004 · mdr (D)

FIGARO trifft ........ Hartmut Haenchen

Hartmut Haenchen im großen Gespräch mit Alexander Mayer Live bei mdr "Figaro"

1 Stunden-Sendung mit Musikauswahl und Gesprächen zur Biographie, zu den Dresdner Musikfestspielen und kulturpolitsichen Themen:

Einige Auszüge:

 

"SAGENHAFTES"

 

Bis 6. Juni 2004

 

"Sagenhaft" soll das Festival 2004 werden. Als Ehrengäste kommen

Weltklasse-Pianist Murray Perahia und Dirigent Kurt Masur. Als

Intendant Hartmut Haenchen das Motto für die rund 170 Veranstaltungen

auserkor, war nicht abzusehen, wie "sagenhaft" der Steit um die Zukunft

des traditonsreichen Festivals geraten würde. Über Programm und Zukunft

sprach MDR FIGARO mit ihm.

 

Was ist der Stand der Dinge, wie geht es weiter mit den Dresdner Musikfestspielen?

 

Das wüsste ich auch sehr gern. Es ist so, dass der Stadtrat im März

beschlossen hat, dass die Musikfestspiele erhalten bleiben sollen, mit

reduziertem Etat. Aber diesen Beschluss hat das Regierungspräsidium in

Frage gestellt. Das Gesamtpaket der Sparmaßnahmen wurde als nicht

zureichend zurückgewiesen, insofern sind wir wieder bei Null. Ich weiß

nicht, was der tatsächliche Stand der Dinge ist. Es finden keine

Gespräche zwischen der Politik und der Leitung der Musikfestspiele

statt.

 

Dass Hartmut Haenchen nicht weiß, wie es weiter geht, kann man ziemlich "Sagenhaft" finden, womit wir beim Motto der Musikfestspiele wären, auch wenn das ein bisschen anders gemeint war...

 

Ich finde die Doppelbedeutung auch ganz gut. Aber Spaß bei Seite. Es

ist so, dass wir hier mittlerweile das größte Musikfestival in

Deutschland haben. 2003 kamen 150.000 Besucher, davon 44 Prozent

auswärtige. Die bringen sehr viel Geld in die Stadt, das sind auch

Steuern. Das sieht eine Politik nicht, die kurzfristig, in

Legislaturperioden denkt. Aber um die Negativ-Berichte etwas zu

relativieren, bis 2006 sind die Musikfestspiele gesichert, bis dahin

gibt es exakte Pläne und auch darüber hinaus bestehen bereits Verträge.

Ich tue alles, um diese Musikfestspiele, die es als Institution nun 27

Jahre gibt, zu erhalten.

 

Zum Programm: Sie eröffnen die Musikfestspiele mit der Aufführung der 3. Sinfonie von Mahler, der Ihnen ja sehr am Herzen liegt?

 

Als Chefdirigent der Niederländischen Philharmonie habe ich sämtliche

Mahler-Sinfonien aufgenommen. Dieses Projekt, das drei Jahre dauerte

und 140 Konzerte umfasste, war einer der wichtigsten Meilensteine

meiner Arbeit in Amsterdam. In Dresden eröffne ich das Festival mit der

3. Sinfonie in der Kreuzkirche. Das Besondere daran ist, dass wir

versuchen ? das ist auch eine Aufgabe der Dresdner Musikfestspiele -

eine Breitenwirkung zu erreichen. Wir starten die Festspiele seit

letztem Jahr mit einem Mitsingkonzert, d.h. wir haben

hochprofessionelle Orchester und Chöre, dazu können sich aber weitere

Sänger anmelden. Das ist etwas ganz anderes, als nur im Publikum

zuzuhören.

 

Mit Murray Perahia kommt einer der weltweit gefragtesten Pianisten. Ist das denn für die Dresdner Musikfestspiele in Konkurrenz zu anderen europäischen Musikfestivals, das sind ja nicht wenige, d i e Frage: Wer schafft es, die Stars einzuladen oder die abzufassen, die sowieso gerade unterwegs sind in diesem großen Wanderzirkus?

 

Ich versuche gerade, die einzuladen, die nicht in diesem Wanderzirkus

sind. So kommt Murray Perahia extra aus Amerika zu uns, mit der Academy

of St. Martin in the Fields aus London. Genauso ist es mit Kurt Masur,

dem anderen Ehrengast. Auch sein Orchestre National de France kommt

extra für die Musikfestspiele nach Dresden. Mir geht es darum, die

großen Namen durch die "Carte Blanche" auf eine andere Weise

vorzustellen. So kann man Perahia am Sonnabend bei einer öffentlichen

Probe und freiem Eintritt im Palais im Großen Garten erleben, abends

dann sein Mozart-Konzert in der Semperoper oder sein Recital. Letztlich

geht es mir nicht um die großen Namen, das sieht man auch an unserer

Broschüre, darin werden Sie nicht ein Foto eines ausübenden Künstlers

sehen.

 

Sie wollen sich also dem Trend zum Event und den entsprechenden Marketing-Gepflogenheiten verweigern, die ja dazu führen, dass man immer etwas gleißnerisch Ereignisse erfinden muss; das ist nicht Ihr Weg?

 

Das ist gar nicht mein Weg, ich will über die Inhalte, die Dramaturgie,

das Netzwerk der Themen und Reihen wie "Dresden & Europa" oder "Dresden

singt & musiziert" dem üblichen Festival-Betrieb etwas entgegen setzen.

Wir haben 178 Veranstaltungen, 110 bestreiten die Musikfestspiele, der

Rest findet im Netzwerk mit Dresdner Künstlern statt. Und daran sieht

man, dass die Musikfestspiele mehr sind, als nur ein Festival, das

durchreisende Künstler einlädt.

 

Eine Festival-Reihe heißt "Dresden, Geschichte & Musik", was bieten Sie hier?

 

Es gehört zu meiner Konzeption, Dresdner Musikgeschichte in den

Mittelpunkt zu rücken. Und "La Gara degli Dei" von Johann David

Heinichen gehört dazu, das ist eine "Ausgrabung", die ich mit dem

Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach an dem Ort, für den das Stück

komponiert wurde, wieder aufführe, nämlich am 22. Mai im Pillnitzer

Schloss. Anschließend gibt es ein großes Barockfeuerwerk.

 

Das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach haben Sie 1980 als künstlerischer Leiter übernommen, das war die Zeit, als die wirklichen Schwierigkeiten in der DDR begannen, wieso?

 

Dieses Kammerorchester war als einziges in DDR keine staatliche

Einrichtung, deswegen konnte ich dort arbeiten - in der Zeit meines

Dirigierverbotes. Dazu führte verschiedenes, zuletzt war es meine

Weigerung als Leiter des Schweriner Theaters und Orchesters, also der

Staatskapelle bei einer Parteiveranstaltung einen einzelnen Teil einer

Schostakowitsch-Sinfonie zu dirigieren. Es war die 2. Sinfonie mit dem

berühmten Lenin-Text am Schluss. Ich habe gesagt, ich mache die ganze

Sinfonie, die am Anfang übrigens zwölftönig ist, oder gar nichts. Das

führte zu meiner Entlassung. Das war der Punkt, wo man gesagt hat, wenn

da einer so widerspenstig gegen die Partei auftritt und das öffentlich,

dann ist er in so einer staatliche Leiterfunktion, und das waren ja

Chefdirigenten, nicht mehr tragbar.

 

Sie wurden 1943 in Dresden geboren, 1953 wurden Sie Mitglied des Kreuzchores. Wie war das - acht Jahre nach dem Krieg?

 

Die Stadt war völlig zerstört, und ich musste meist zu Fuß vom einen

Ende ans andere Ende laufen. Die Aufnahmeprüfung fand übrigens am 17.

Juni 1953 statt. An diesem Tag bin ich durch die ganze Stadt gelaufen,

24 Kilometer, zu dieser Aufnahmeprüfung. Daher kommt eine meiner

schrecklichsten Kindheitserinnerungen. Ich habe gesehen, wie die

russischen Panzer in die Demonstranten hineingefahren sind. Das wird

man ein Leben lang nicht los, und das hat sicher auch etwas mit meiner

prinzipiellen Haltung zu tun.

 

Ihre Stasi-Akte beginnt mit einem Eintrag über Sie als 16-Jährigen, was war passiert?

 

Die Stasi ermittelte gegen mich, weil ich Flugblätter gegen die so

genannten Wahlen in der DDR gedruckt und verteilt habe. Das war der

Anfang meiner Bekanntschaft mit der Staatssicherheit und die endete am

10. Oktober 1989 in Amsterdam. Dass ich überhaupt noch mein Studium in

Gesang und Dirigieren an der Hochschule in Dresden absolvieren konnte,

ist rückschauend für mich ein Wunder.

 

Ihre Karriere nach dem Studium ging kreuz und quer durch die DDR; Halle, Zwickau, Berlin, dann Mecklenburg und schließlich wieder Berlin, was waren die künstlerischen Höhepunkte dieser Zeit?

 

In Halle hatte ich als junger Dirigent die Chance, mit einem sehr

offenen Orchester alles zu machen, was gut und teuer war, von der

Brahms-Sinfonie bis zum Verdi-Requiem. Nach Halle war Zwickau für mich

die Station, wo ich Oper gelernt habe. Ich lernte, mich im

Gleichgewicht zwischen Oper und Konzert zu bewegen, also vom Ring, bis

zur Mozart- oder Mahler-Sinfonie bis Carl Philipp Emanuel Bach, so das

ich alles, was mir nahe steht, dirgieren konnte. Mit der Dresdner

Philharmonie konnte ich auf Tourneen internationale Erfahrungen

sammeln. Und dann als Chef in Schwerin, da war immerhin Kurt Masur

einer meiner Vorgänger ...

 

Warum haben Sie 1986 kapituliert und sich aussiedeln lassen?

 

Weil es schließlich so war, dass drei Chefpositionen, wo ich schon

unterschrieben hatte, von der Partei nicht genehmigt wurden. Ich sah

keinen Ausweg mehr. Und um meine künstlerische Laufbahn über das

Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach hinaus verwirklichen zu

können, habe ich dann das Angebot aus Amsterdam angenommen, die

Niederländische Philharmonie und später auch die Niederländische Oper

zu leiten.

 

Wie nah ist Ihnen die niederländische Kultur oder Lebensart gekommen, in all den Jahren?

 

Sehr nah. Ich fühle mich da ausgesprochen wohl. Es gibt natürlich auch

da Probleme, schließlich habe ich meine Chefposition aufgegeben wegen

Einschnitten bei den Geldern, d.h. 15 Musiker meines Orchesters sollten

entlassen werden, und das wollte ich nicht mittragen. Ich denke

übrigens, ich habe dort durch meine Arbeit auch etwas für Deutschland

erreicht.

 

Sie sind der erste Deutsche, der in den Niederlanden zum Ritter geschlagen wurde, was schon etwas heißen will. Kann es sein bei all den Problemen, die Sie jetzt mit den Musikfestspielen in Dresden haben, dass es hier auch Menschen gibt, die mit Ihrer Biografie Probleme haben?

 

Ja, die gibt es offenbar. Aber, was das Publikum anlangt: Als ich das

Sonderkonzert als Ouvertüre zu meinen ersten Musikfestspiele im

September 2002 dirigierte, war der Empfang der großen Mehrheit so, dass

ich mir gesagt habe, diese Entscheidung nach Dresden zurückzugehen, war

richtig. Das dachte ich auch, als ich die Demonstrationen für den

Erhalt der Musikfestspiele auf dem Theaterplatz gesehen habe.

 

(Auszug aus dem Interview mit Hartmut Haenchen am 12. Mai 2004, in:

FIGARO trifft. Moderation: Alexander Mayer)