Unter seiner Leitung baute das Orchester seine eigene Konzertreihe in Berlin auf, gastierte auf allen wichtigen Festivals in Europa und Japan und nahm 40 CD's auf, die vielfach preisgekrönt wurden. Zahlreiche Rundfunkaufnahmen und Fernsehübertragungen machten das Orchester weltweit bekannt.
Vor 25 Jahren wählte das Kammerorchester (damals noch Kammerorchester Musica Nova der Staatsoper Berlin) Hartmut Haenchen nach zahlreichen Gastdirigaten zu seinem künstlerischen Leiter. Unter seiner Leitung fand der Profilwechsel zur Musik des Preußischen Hofes und der Vorklassik statt.
Hartmut Haenchen schreibt:
Eine Art „Silberhochzeit“... Ein Grund um ein wenig zurückzuschauen:
1978 dirigierte ich – damals noch Chefdirigent am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin – das „Kammerorchester Musica Nova der Deutschen Staatsoper Berlin“ – so hieß es offiziell – erstmalig. Die Verbindung entstand durch eine lange Reihe von Gastdirigaten an der Staatsoper und in Konzerten der Staatskapelle seit 1971.
Ein Dirigent mit viel Erfahrungen in Uraufführungen und ein in moderner Musik (wie der Name des Orchesters schon sagt) spezialisiertes Orchester trafen aufeinander.
Wir versuchten neuen Werken den Weg zu ebnen. Dies war nicht einfach, da wir die Werke, die wir aufführen wollten aus politischen bzw. Valuta-Gründen nicht spielen durften, und die, die wir spielen sollten, nicht spielen wollten.
Inzwischen ereignete sich in Schwerin ein politischer Eklat zwischen der SED-Bezirksleitung und mir als Chefdirigenten des Staatstheaters, der zur unmittelbaren Kündigung führte. Nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass es sich nicht nur um einen Bruch mit Schwerin handelte, sondern dass alle nachfolgenden Verträge (z.B. Chefdirigent der Komischen Oper Berlin, Auslandsreisen, Gastdirigate im Land) auch annulliert wurden. Mir wurde bewusst, dass ich plötzlich „Berufsverbot“ hatte. Lediglich Prof. Hans Pischner, damaliger Intendant der Deutschen Staatsoper, unterstützte die Idee des Kammerorchesters mich als Künstlerischen Leiter in Nachfolge von Dieter-Gerhard Worm zu berufen. Das Kammerorchester war sich der Tatsache bewusst, dass man mit mir eine in Ungnade gefallene Person zum Leiter machen wollte. Wie für alle Verträge das Kammerorchester – gleich ob Musiker oder Dirigent – galt hier ein Wort als Vertrag. Dieses Wort hält nun mehr als 25 Jahre. Eine Zeit, in der das Profil des Orchesters vollständig verändert wurde.
Aus den oben beschriebenen Erfahrungen entstand die Idee, Entdeckungen in der Berliner Musikgeschichte zu suchen. So lag es auf der Hand, den Kammercembalisten Friedrich II. Carl Philipp Emanuel Bach zum Namenspatron zu machen, denn in den 80er Jahren, war er weitgehend in Vergessenheit geraten und seine Musik war die Avantgarde des 18. Jahrhunderts. Inzwischen kann das Kammerorchester mit einigem Stolz sagen, dass seine Werke wieder zum Repertoire in der ganzen Welt gehören.
In den folgenden Jahren entstanden wichtige CD’s (insgesamt 43 unter meiner Leitung), die das Orchester in der ganzen Welt bekannt machten. Dadurch wurden Tourneen möglich und damit auch mein „Berufsverbot“ langsam wieder aufgehoben. Inzwischen haben wir alle wichtigen europäischen Festivals besucht, in einem großen Teil der europäischen Länder und vielfach in Japan gastiert. Mit der Eröffnung des Konzerthauses bekamen wir eine neue „Heimat“. Die Jahre 1989/90 brachten dann Veränderungen die den Weiterbestand des Orchesters in Frage stellten, da die Kosten einer eigenen Reihe mit den Einkünften durch ein vollständig anderes Preisgefüge nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen waren. Nur durch die übereinstimmende, noch immer anhaltende Bereitschaft von Orchester, internationalen Solisten und Dirigent – unsere Konzertreihe ohne Honorar aufrecht zu erhalten, ist dieses Kleinod erhalten geblieben und hat vielerlei Ausgrabungen aus der Berliner und Brandenburgischen Musikgeschichte zu klingendem Leben erweckt. Insgesamt sind es etwa 70 Werke, die so wieder den Weg in die Musizierpraxis gefunden haben. Insgesamt haben wir gemeinsam ein Repertoire von mehr als 500 verschiedenen Werken aufgebaut und ständig kommen neue Werke dazu. Mir bleibt nach so langer, in heutiger kurzlebiger und auf materiellen Erfolg gerichteter Zeit nur meinen tiefen Dank auszudrücken. Dank an die Musiker und die mit uns arbeitenden Solisten, die die besondere Arbeitsweise und die ungewöhnlichen Qualitäten des Orchesters schätzen und so eine ungewöhnliche Konzertreihe in Berlin erhalten haben. Dank auch meinem treuen und neugierigen Publikum und denjenigen, die das Orchester immer wieder unterstützen.
(pdf auch unter "Texte")
Porträt Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach
Vorgestellt von Gerald Felber
„Das vibratoarme Spiel der Streicher produziert feine, zarte Töne, welche auch die graziösen Verzierungen und Nuancen nicht im Streichereinheitsbrei untergehen lässt. Fast lässt sich die Stimme eines einzelnen Instrumentes verfolgen, so präzise man auch zusammenspielt. Überhaupt die Orchester-Kultur: Derart genau und diszipliniert, dabei voller Konzentration und Engagement, das machte schlichtweg staunen. Jedes einzelne Mitglied des Ensembles besticht durch herausragende solistische Fähigkeiten, die jedoch immer dem Ganzen gewidmet werden.“ – So zu lesen in der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung nach dem Gastspiel des Kammerorchesters „Carl Philipp Emanuel Bach“ zu den Schwetzinger Festspielen. Mittlerweile sind für die Berliner solche glanzvollen Kritiken nichts Außergewöhnliches mehr. Spätestens nach der Verleihung des Deutschen Schallplattenpreises für die umfangreiche Edition mit den Werken ihres Namenspatrons (das „Fono-Forum“ formulierte: „An diesen gelungenen Aufnahmen werden sich künftige Einspielungen messen lassen müssen“ und sprach von „maßstabsetzenden Repertoirenovitäten“) sind die Musiker auch international stark im Gespräch.
Der Weg dahin verlief durchaus nicht geradlinig. Das Ensemble besteht seit 36 Jahren und setzte sich zuerst ausschließlich aus Musikern der Berliner Staatskapelle zusammen. Diese bilden auch heute noch den größeren Teil des „Stammes“, doch sind im Zuge der stilistischen Profilierung versierte und „akklimationsfähige“ Instrumentalisten anderer Berliner Klangkörper hinzugekommen. Denn spätestens seit der Zusammenarbeit mit Hartmut Haenchen, die 1980 begann – die programmatische Benennung nach Carl Philipp Emanuel Bach, ein weiterer „Wendepunkt“ in der Geschichte des Kammerorchesters, erfolgte vier Jahre später –, geht es nicht mehr darum, schlechthin ein guter Streicher zu sein, um die begehrte Mitgliedschaft in diesem Klangkörper zu erlangen. Das Eingeschworensein auf die spezifische Stilistik des Ensembles und letztlich neben dem künstlerischen auch das menschliche Verständnis untereinander sind entscheidende Kriterien, um in den „Kern“ der 16 Streicher des Bach-Kammerorchesters vorzustoßen.
Solch spezifische Anforderungen aber haben mit Entwicklungen zu tun, die sich erst in den letzten zehn Jahren begaben. Ging die Orientierung des Staatsopern-Kammerorchesters in den Anfangsjahren eher in Richtung eines Spezialensembles für neue Musik – immerhin kommen fast ein halbes Hundert Uraufführungen auf sein Konto –, so trat mit dem dirigentischen Wirken Haenchens ein musikgeschichtlicher Abschnitt in den Mittelpunkt, dessen Renaissance im Bewusstsein von Interpreten wie Hörern momentan immer noch im Wachsen erscheint: die Übergangsperiode von der Epoche der strengen Kontrapunktik zur frühen Wiener Klassik, in Jahreszahlen gefasst etwa das Halbjahrhundert zwischen 1730 und 1780. Diese Musik, lange Zeit nur als „Zwischensenke“ zwischen den „Gipfeln“ Johann Sebastian Bach einerseits und Mozart/Beethoven andererseits betrachtet, wird in unseren Tagen gerade ob ihres Umbruchcharakters, ihrer Schroffheiten, Ungeglättetheiten, emotionalen Extreme wegen zunehmend geschätzt. Die Resonanz, die der Klangkörper und sein Repertoire eben nicht nur bei den Fachleuten, sondern auch beim „normalen“ Publikum findet, spricht für sich.
Wobei übrigens Spezialisierung nicht Repertoire-Purismus bedeutet: nach wie vor sind auch Werke unseres Jahrhunderts in den Programmen. Strukturell-analytisches Denken im interpretatorischen Nachvollzug ist eine verbindende Qualität, hier wie dort gefragt. Ein bestimmtes Feld klangsatter Hochromantik freilich – die Streicherserenaden Tschaikowskis oder Dvoráks mögen als Beispiel stehen – wäre dem Orchester momentan nicht mehr zugänglich, ohne seinen „Sprachcharakter“ gänzlich zu ändern, worauf man konsequenterweise verzichtet. Kein Streben also danach, ein Allround-Ensemble zu sein wie viele andere Kammerorchester, sondern konsequentes Ausloten der langjährig erarbeiteten eigenen Klangspezifik. Die Felder für lohnende Entdeckungen sind dabei immer noch weit genug: 18 teilweise wenig bekannte Haydn-Sinfonien wurden einstudiert und eingespielt, Mozart ist umfänglich im Repertoire, und der Zeitpunkt, wo man in Richtung des frühen Beethoven „ausholt“, war nicht mehr fern ... Immer wieder dabei aber „CPhE“, der Namenspatron; nicht nur, weil der Bachsohn so etwas wie einen Extrempunkt jener atemberaubenden musikalischen Entwicklungen verkörpert, deren Nachvollzug sich das Orchester verpflichtet fühlt, sondern auch, weil es bei ihm überdies einen „lokalpatriotischen“ Bezug gibt – wirkte er doch viele Jahre am königlichen Hofe in Berlin und Potsdam. In welcher Weise sucht das Orchester dem selbstgestelltem Spezialauftrag gerecht zu werden? Hartmut Haenchen nennt als sein Klangideal eine „warme Klarheit“, gesättigt in der Tongebung, aber durchsichtig. Dabei bedient sich das Ensemble moderner Instrumente, nach Meinung des Dirigenten ein akzeptabler Weg schon allein deshalb, weil die „totale Authentizität“ ohnehin nicht mehr herstellbar ist – denn zumindest Hörerfahrungen und Hörverhalten des Publikums haben sich ja seit dem 18. Jahrhundert irreversibel geändert.
Entscheidend aber ist die ausgesprochen sorgfältige aufführungspraktische Vorbereitung jeder Einstudierung, die Haenchen vornimmt. Schon seit dem Studium, also lange vor Beginn der Zusammenarbeit mit dem Klangkörper, haben ihn aufführungspraktische Fragen interessiert.
Umfangreiche Studien erfassten nach und nach alle entscheidenden Schulwerke des 18. Jahrhunderts, auf über 5000 Karteikarten sind die dabei gewonnenen Erkenntnisse niedergelegt und jederzeit verfügbar. Dies schlägt sich in der Einrichtung der Stimmen hinsichtlich Verzierungstechnik, differenziertester dynamischer Schattierungen (nochmals geschieden in Spielweisen mit und ohne Vibrato) und ungewöhnlicher Stricharten nieder, die in der Anfangszeit der Zusammenarbeit für die Musiker teilweise völlige Novitäten darstellten. Entsprechend hoch war zunächst der Probenaufwand; vor der Einspielung der „Berliner Sinfonien“, dem „Start“ der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Edition, wurde außerordentlich viel Zeit investiert, um hinter die wirkungsvollsten Vermittlungsmöglichkeiten der empfindlichen, diffizilen und technisch außerordentlich anspruchvollen Klangwelt des Komponisten zu kommen.
Entsprechend wurden dann die einzelnen Takes im ganzen Kollektiv abgehört – beides Ausdruck einer hohen Motivation, des Bewusstseins, etwas Neues, Ungewöhnliches und Aufregendes in Angriff zu nehmen. Diese Identifikation mit der Sache ist geblieben, auch wenn im Laufe der Zusammenarbeit mit Hartmut Haenchen ein – nach Ansicht beider Seiten! – nahezu perfekt funktionierendes „Fernverständigungssystem“ entwickelt wurde, das mittels minutiös eingerichteter Stimmen ein eigenständiges Heranarbeiten der Instrumentalisten an die jeweils aktuellen Werke ermöglicht, so dass dann unter Umständen zwei Proben mit dem Dirigenten genügen, um den spezifischen „Ton“ des Orchesters wieder zur Konzertreife zu qualifizieren.
Die Notwendigkeit solchen Verfahrens ergibt sich einerseits daraus, dass sich Haenchens Hauptwirkungsfeld mittlerweile nach Amsterdam verlagert hatte, wo er als Generalmusikdirektor der Niederländischen Oper und Chef des Niederländischen Philharmonischen Orchesters wirkte, so dass die Zeiten seiner Anwesenheit in Berlin relativ kurz sind. Andererseits gestaltet sich das Probenregime auch dadurch schwierig, weil die Ensemblemitglieder mittlerweile aus fünf Berliner Orchestern mit unterschiedlich gelagerten Diensten kommen, was höchste Effektivität und Ökonomie der künstlerischen Arbeit herausfordert.
Hier wird, von einer anderen Seite her, wieder das Problem der notwendigen – auch menschlichen – Homogenität des Kammerorchesters deutlich. Von großer praktischer Bedeutung ist diese Frage besonders hinsichtlich der Nachwuchsentwicklung. Musiker, die Interesse hätten, bei den nunmehr sehr renommierten „Bachs“ mitzuspielen, gibt es zwar mehr als genug; de facto aber bedarf es auch für einen versierten Streicher geraume Zeit und beträchtliche Flexibilität, um in die spezifische Klangwelt dieses Orchesters hineinzuwachsen. Um dem gerecht zu werden, gibt es einen Kreis von Musikern, die zwar nicht zum Stamm des Orchesters gehören, aber relativ regelmäßig in Konzerte und Aufnahmen einbezogen werden, um sich mit dessen Spielweise vertraut zu machen, eine Art Reservisten also, meist junge Leute, die die momentane Operativität ebenso wie die weitere Perspektive des Klangkörpers sichern helfen. Zunehmend wurden solch feste Bindungen auch mit Bläsern entwickelt, deren Mitwirkung die Repertoirepalette natürlich enorm zu erweitern vermag. Die Ansprüche des Orchesters an sich selbst wie an alle Kooperationspartner sind hoch – das betrifft ebenso die Verpflichtung von Solisten und die Zusage zu Konzertangeboten; Qualität geht in jedem Falle vor Quantität, und die weitgehende „Selbstverwaltung“ des Klangkörpers sorgt dafür, dass hier die Maßstäbe nicht heruntergeschraubt werden.