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20. October 2012

Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach beendet 2014 seine Arbeit

10-CD Jubiläumsausgabe "30 Jahre - Hartmut Haenchen und das Kammerorchester C.Ph.E. Bach"

Frankfurter Rundschau /Berliner Zeitung, 13. Mai 2013

2014 ist Schluss – nach 45 Jahren Enthusiasmus

Das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach löst sich am 1. Mai 2014 auf. Wer die Musiker einmal erleben möchte, hat dazu noch viermal Gelegenheit.
Das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach steht vor seiner letzten Saison. Nach 45 Jahren freier Existenz ist am 1. Mai 2014 Schluss. Schon lange verzichten die Instrumentalisten, meist Mitglieder Berliner Orchester, und ihr Chefdirigent Hartmut Haenchen auf Honorar. Doch sind die Kosten für die Säle in letzter Zeit stark gestiegen und so die Schmerzgrenze auch für den größten Enthusiasten erreicht.
Haenchen, der am 21. März 70 wurde, ist ein Enthusiast detaillierten Probens. Mit dem Kammerorchester führt er Stücke des klassischen Repertoires auf, die man auch nach einmaligem Durchspielen im Konzert anbieten könnte. Aber dafür ist Haenchen zu skrupulös. Er gräbt sich durch die originalen Quellen, ist bestens informiert über Spielweisen und Stilfragen. Und weil man bei ihm so viel lernen kann, spielen enthusiastische Musiker auch ohne Gage unter ihm.
Haenchens Aufführungsstil steht quer zur interpretatorischen Willkür, wie sie aus Überdruss am längst Bekannten das Musikleben dominiert.
Er verfolgt ein Ideal von Objektivität, das zur Sorgfalt verpflichtet. Auch am Mozart-Abend am Freitag im Konzerthaus war wieder zu erleben, wie ungeheuer sauber und scharf artikuliert das Kammerorchester spielt. Man hört bekannte Stücke wie die A-Dur-Sinfonie KV 201. Vergleicht man Haenchens Interpretationen mit dem, was man im Ohr hat, stellt man meist fest, dass es mit diesem Kammerorchester präziser, deutlicher und gespannter klingt.
Dabei entsteht ein eigentümlich gläserner Mozart, funkelnd und transparent, aber auch hart und kalt – im besten Sinne! Peter Rösel ist im letzten Klavierkonzert in B-Dur ein Solist ohne Einfühlungspose, und auch das Kammerorchester wahrt Distanz zu expressiven Klischees. Umso schroffer wirken dann die unharmonischen Einsprengsel der Instrumente zu Beginn der Mittelteils – kein nur subjektiver Ausdruck des Entsetzens, sondern die zuvor heile Form springt entzwei. Auf diese Art wird das Kammerorchester auch seinem Namenspatron gerecht.
Die Musik des Bach-Sohns wird gern auf die expressiven Abbrüche oder Zuspitzungen hin gespielt, gegen die der Rest als Konversationsmusik abfällt. Haenchen zeigt dagegen, dass die vermeintlich konventionellen Momente bei Bach durchaus Interesse verdienen, weil sie unkonventionell strukturiert sein können – erst dann bekommen die Einbrüche echtes Gewicht, statt als schräge Harmoniefolge lediglich die Sensationslust zu kitzeln. Wer derart durchdachte Interpretationen schätzt, hat noch viermal Gelegenheit, das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach zu hören.
Peter Uehling

Der Tagesspiegel, 12. Mai 2013

Effektverzicht

Das Bach-Kammerorchester im Berliner Konzerthaus.

Es ist ein Jammer, dass sich das Kammerorchester „Carl Philipp Emanuel Bach“ nach Ablauf der kommenden Spielzeit auflösen wird. Im Konzerthaus gibt man neben der F-dur-Sinfonie des Namenspatrons Werke Mozarts, darunter dessen letztes Klavierkonzert mit dem Pianisten Peter Rösel. Das Ensemble und sein künstlerischer Leiter Hartmut Haenchen, sicherlich einer der vielseitigsten Dirigenten unserer Zeit, stehen für einen ganz eigenwilligen Zugriff auf die Werke der Früh- und Hochklassik.
Das Orchester versteht sich auf die überfallartige Forte-Attacke, die Mittelstimmen, besonders die Bratschen, sind wunderbar präsent, und in der Abstimmung von Streichern und Bläsern ergeben sich aparte Mischungen, wobei gerade die ausgezeichneten Flötistinnen auf sich aufmerksam machen.
Haenchens Klangvorstellungen wirken zunächst dennoch etwas fremd, vor allem, weil auf modernen Instrumenten gespielt wird und der Dirigent vom Vibratoverzicht schon aus historischen Gründen wenig hält. Spätestens aber mit Mozarts frühlingsfrischer A-Dur-Sinfonie, deren letzter Satz als Zugabe gleich noch einmal wiederholt wird, hat man sich in diesen Interpretationsansatz hineingehört.
Peter Rösels effektabstinenter Mozartstil erinnert an Maurizio Pollini. Das dynamische Spektrum wirkt schmal, Akzentsetzungen findet man fast ausschließlich am Beginn der Phrasen, denn im stark an der Oberstimme orientierten Klang soll keine Note aus der melodischen Linie hervorstechen. Damit wird der Pianist der lyrischen Gesamtanlage von Mozarts B-Dur-Konzert gerecht, die harmonischen Kühnheiten des ersten Satzes bleiben aber unterbelichtet. Bezaubernd wirkt das Understatement, mit dem im Finalsatz das Rondothema stets wieder einsetzt, als sei zuvor nichts geschehen.
Benedikt von Bernstorff



Heute, am 20. Oktober 2012 startet im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie das Kammerorchester Carl Philip Emanuel Bach um 20 Uhr mit einem „Italienischen Abend“ in seine Konzertsaison – die vorletzte nach 45 Jahren. Am Ende der übernächsten Saison legt der künstlerische Leiter Prof. Hartmut Haenchen sein Amt nieder und das Ensemble beendet seine Konzerttätigkeit.
Haenchen hat in den letzten 30 Jahren mit seinem Kammerorchester Musikgeschichte geschrieben. Nicht nur, dass das Orchester erstmalig sämtliche Sinfonien des Namenspatrons auf CD eingespielt hat und so wieder in das heute durchaus gängige Repertoire eingeführt hat: Mit „seinen“ Musikern hat er in Berlin über 120 Konzerte ohne Honorierung gegeben, um die Berliner Musikgeschichte wieder ins Bewusstsein zu rufen. Daneben reicht das Repertoire von mehr als 60 Wiedererstaufführungen, zahllosen Berliner Erstaufführungen und Uraufführungen bis zu den großen Klassikern und in die Moderne. Zur Zeit befindet sich das Kammerorchester in der Mitte des Zyklus „Sämtliche Sinfonien von C.Ph.E. Bach“, der bis zum 300. Geburtstag des Bach-Sohnes am 8. März 2014 beendet sein wird. Das letzte der noch neun bevorstehenden Anrechtskonzerte in Berlin wird mit „Die drei letzten Sinfonien“ von Wolfgang Amadeus Mozart am 1. Mai 2014 im Konzerthaus stattfinden. Und wie es sich für einen Künstler gehört, der in das Zentrum seiner Arbeit die Vorklassik stellte, verabschiedet er sich, frei nach Joseph Haydn, mit einem Paukenschlag.
Unter dem Titel „30 Jahre – Hartmut Haenchen und das Kammerorchester Carl Philip Emanuel Bach“ erscheint eine Jubiläumsausgabe von zehn CDs mit bislang unveröffentlichten Liveaufnahmen. Die Reihe wird von Bach und seinen Söhnen über die Wiener Klassik bis ins 20. Jahrhundert führen.
„Diese Jubiläumsausgabe ist ein typischer Querschnitt aus 30 Jahren gemeinsamen Musizierens. Eine Art Vermächtnis neben unseren bisher über 50 veröffentlichten CD und DVD-Aufnahmen. Von den gemeinsamen Anfängen, nahezu historischen Aufnahmen bis zu aktuellen Mitschnitten reicht das Spektrum. Neben weltberühmten Werken von Titanen wie Bach, Beethoven, Mozart werden auch zahlreiche, bislang noch nie veröffentlichte Entdeckungen aus der Musikgeschichte stehen. Ich bin sehr froh, dass wir die Möglichkeit haben, die gesamte Serie begleitend zu unserer letzten beiden Spielzeiten herausbringen zu können“, so Hartmut Haenchen.

Hartmut Haenchen:
Eine eingeschworene Gemeinschaft
Eine Art „Perlenhochzeit“... Ein Grund um ein wenig zurückzuschauen:
1978 dirigierte ich – damals noch Chefdirigent am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin – das „Kammerorchester Musica Nova der Deutschen Staatsoper Berlin“ – so hieß es offiziell – erstmalig. Die Verbindung entstand durch eine lange Reihe von Gastdirigaten an der Staatsoper und in Konzerten der Staatskapelle seit 1971. Ein Dirigent mit viel Erfahrungen in Uraufführungen und ein in moderner Musik (wie der Name des Orchesters schon sagt) spezialisiertes Orchester trafen aufeinander. Wir versuchten neuen Werken den Weg zu ebnen. Dies war nicht einfach, da wir die Werke, die wir aufführen wollten aus politischen bzw. Valuta-Gründen nicht spielen durften, und die, die wir spielen sollten, nicht spielen wollten. Inzwischen ereignete sich in Schwerin ein politischer Eklat zwischen der SEDBezirksleitung und mir als Chefdirigenten des Staatstheaters, der zur unmittelbaren Kündigung führte. Nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass es sich nicht nur um einen Bruch
mit Schwerin handelte, sondern dass alle nachfolgenden Verträge (z.B. Chefdirigent der Komischen Oper Berlin, Auslandsreisen, Gastdirigate im Land) auch annulliert wurden. Mir wurde bewusst, dass ich plötzlich „Berufsverbot“ hatte. Lediglich Prof. Hans Pischner, damaliger Intendant der Deutschen Staatsoper, unterstützte die Idee des Kammerorchesters mich als Künstlerischen Leiter in Nachfolge von Dieter-Gerhard Worm zu berufen. Das Kammerorchester war sich der Tatsache bewusst, dass man mit mir eine in Ungnade gefallene Person zum Leiter machen wollte. Wie für alle Verträge das Kammerorchester – gleich ob Musiker oder Dirigent – galt hier ein Wort als Vertrag. Dieses Wort hält nun mehr als 30 Jahre. Eine Zeit, in der das Profil des Orchesters vollständig verändert wurde.
Aus den oben beschriebenen Erfahrungen entstand die Idee, Entdeckungen in der Berliner Musikgeschichte zu suchen. So lag es auf der Hand, den Kammercembalisten Friedrich II. Carl Philipp Emanuel Bach zum Namenspatron zu machen, denn in den 80er Jahren, war er weitgehend in Vergessenheit geraten und seine Musik war die Avantgarde des 18. Jahrhunderts. Inzwischen kann das Kammerorchester mit einigem Stolz sagen, dass seine Werke wieder zum Repertoire in der ganzen Welt gehören. In den folgenden Jahren entstanden wichtige CD’s und DVD‘s (insgesamt 45 unter meiner Leitung), die das Orchester in der ganzen Welt bekannt machten. Dadurch wurden Tourneen möglich und damit auch mein „Berufsverbot“ langsam wieder aufgehoben. Inzwischen haben wir alle wichtigen europäischen Festivals besucht, in einem großen Teil der europäischen Länder und vielfach in Japan gastiert. Mit der Eröffnung des Konzerthauses bekamen wir eine neue „Heimat“. Die Jahre 1989/90 brachten dann Veränderungen die den Weiterbestand des Orchesters in Frage stellten, da die Kosten einer eigenen Reihe mit den Einkünften durch ein vollständig anderes Preisgefüge nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen waren. Nur durch die übereinstimmende, noch immer anhaltende Bereitschaft von Orchester, internationalen Solisten und Dirigent – unsere Konzertreihe ohne Honorar aufrecht zu erhalten, ist dieses Kleinod erhalten geblieben und hat vielerlei Ausgrabungen aus der Berliner und Brandenburgischen Musikgeschichte zu klingendem Leben erweckt. Insgesamt sind es etwa 90 Werke, die so wieder den Weg in die Musizierpraxis gefunden haben. Insgesamt haben wir gemeinsam ein Repertoire von mehr als 600 verschiedenen Werken aufgebaut und ständig kommen neue Werke dazu. Mir bleibt nach so langer, in heutiger kurzlebiger und auf materiellen Erfolg gerichteter Zeit nur meinen tiefen Dank auszudrücken. Dank an die Musiker und die mit uns arbeitenden Solisten, die die besondere Arbeitsweise und die ungewöhnlichen Qualitäten des Orchesters schätzen und so eine ungewöhnliche Konzertreihe in Berlin erhalten haben. Dank auch meinem treuen und neugierigen Publikum und denjenigen, die das Orchester immer wieder unterstützen.

BERLIN CLASSICS begann mit der Serie JubiläumsLIVEEdition in der wichtige Live-Mitschnitte aus den letzten Jahrzehnten dokumentiert werden.
Die Serie begann mit der Weltpremiere von Johann David Heinichens "La Gara degli Dei". (siehe auch die aktuelle Meldung "Wiederentdeckung(en)"
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