Hufschmidt, Wolfgang: Meißner TeDeum
Uraufführung (26.5.1968): Gewandhausorchester Leipzig, Meißner Kantorei, B. Hoene (Sopran), H. Haenchen (Bariton), E. Schmidt (Leitung); Wiederaufführung (3.10.1997): Chor und Orchester sowie Vokal- und Instrumentalsolisten der Folkwang-Hochschule, Dirigent: Hartmut Haenchen
Cybele Records SACD 860.201 Stereo PCM, 1997
Enthaltene Werke
Hufschmidt, Wolfgang: Meißner TeDeum
Pressestimmen
sehr spannende, leider äußerst selten gespielte/gesungene/gesprochene Komposition, in ausgezeichneter Aufnahme
www.jpc.de, 27. March 2012
4 Sterne in allen Kategorien
Hufschmidt, Wolfgang:
meissner tedeum
Günter Grass deutet das 'Te Deum'
Das 'Meissner Tedeum’ von Wolfgang Hufschmidt wurde am 26. Mai 1968 im Meissner Dom uraufgeführt und kam am selben Ort am 3. Oktober 1997 zur Wiederaufführung. Angesichts des klangsprachlichen Anspruchs und des immensen Aufwands – der exakte Titel lautet: Meissner Tedeum, nach dem ‚Tedeum Laudamus’, deutsch von Martin Luther (1526) und einem antiphonischen Text von Günter Grass (1966) für Sopran, Chor und Orchester mit Orgel, Bariton, Vokalensemble, Bläserquintett, Klavier, Schlagzeug und Tonband – ist es schon erstaunlich, dass das Werk nicht das Schicksal vieler zeitgenössischer Kompositionen teilt: eben nur uraufgeführt zu werden. Darüber hinaus grenzt es schon an ein Wunder, dass es überhaupt zur dieser Uraufführung kam, denn das zum Anlass des 1000jährigen Bestehens des Meissner Doms vom damaligen Domkantor Erich Schmidt ganz bewusst beim westdeutschen Komponisten Wolfgang Hufschmidt (geb. 1934) in Auftrag gegebene Werk war sowohl den Machthabern als auch der ostdeutschen Kirche alles andere als willkommen. Daran war in erster Linie der provokante Text von Günter Grass Schuld, der eine krasse Gegenposition zum Lobgesang darstellt. Die zum Teil absurden Probleme, die sich stellten, bis hin zu als Telemann-Ausgaben getarnten Noten, heimlich produzierten und für Kontrollzwecke bereitgehaltenen Ersatztonbändern und der fast erfolgreich verhinderten Einreise des Komponisten zur Uraufführung sind im Booklet anhand einer übersichtlichen Zeittafel und einigen Textstücken anschaulich dokumentiert.
Die beiden Aufführungen – auf einer SACD!
Die Uraufführung wurde von Barbara Hoene (Sopran), Hartmut Haenchen (Bariton), der Meißner Kantorei und dem Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Domkantor Erich Schmidt bestritten. Etwa 30 Jahre später kam man zu ganz ähnlichen Ergebnissen, was die Zeitdauern angeht; das Werk dauert in beiden Fällen fast gleich lang. Ob das nun dem Umstand zu schulden ist, dass mit Hartmut Haenchen der Dirigent der Wiederaufführung bereits als Sänger an der Uraufführung teilgenommen hat, oder dass die Verwendung von Zuspielbändern den zeitlichen Ablauf stark determiniert, sei einmal dahingestellt. Es sangen und musizierten 1997 Antje Bitterlich (Sopran), Martin Lucaß (Bariton), Chor und Chor und Orchester sowie Vokal- und Instrumentalsolisten der Folkwang-Hochschule Essen. Da das sechsteilige 'Meissner Tedeum’ fast 55 Minuten dauert, kann es – so viel weiß man – nicht auf eine CD passen; zumindest nicht nacheinander, wohl aber parallel auf die verschiedenen Schichten einer SACD. Insofern stellt die Produktion des Labels Cybele, die übrigens bereits 2003 erschienen ist (und entsprechend lange auf ihre wohlverdiente Besprechung wartet) ein schönes Beispiel für den kreativen Umgang mit den Möglichkeiten des Mediums dar. Wer einen herkömmlichen CD-Spieler mit der Scheibe füttert, bekommt lediglich die Wiederaufführung angeboten. So stellt es sich auch für denjenigen dar, der die Platte im Mehrkanalmodus seines SACD-Spielers startet; im Gegensatz zum CD-Hörer bekommt letzterer das Stück aber in bestem Surround-Klang geboten, der nicht minder kreativ und effektiv eingesetzt wurde, da die Tonbandeinblendungen den hinteren Lautsprechern anvertraut wurden, was die Musik strukturell entzerrt und für ein raumfüllendes Klangerlebnis sorgt. Stellt man den SACD-Spieler auf Stereo, stehen plötzlich zwölf Tracks zur Auswahl; auf die Stereo-Variante der Wiederaufführung folgen sechs weitere Tracks mit dem Mitschnitt der Uraufführung, einer klanglich erstaunlich zufrieden stellenden Privataufnahme.
Glücksfälle
In interpretatorischer Sicht wissen beide Dokumente zu gefallen. Im Falle Neuer Musik ist es ja ein seltener Glücksfall, überhaupt einen Interpretationsvergleich anstellen zu können; umso schöner, die Möglichkeit dazu direkt mitgeliefert zu bekommen! Da die Wiederaufführung mindestens so spannungsreich musiziert wird wie die Uraufführung, einige kleinere Schwächen der Uraufführung nicht aufweist und zudem besser aufgenommen wurde, ist dieser Version der Vorzug zu geben – weswegen man sich bei Cybele wohl auch dazu entschlossen hat, dem CD-Hörer diese Fassung anzubieten. Als Glücksfall darf auch das Textheft angesehen werden, das neben oben genannter Zeittafel und Dokumentensammlung auch eine Werkeinführung des Komponisten sowie eine allgemeine Einführung in die Entstehungsumstände enthält. Obendrein gibt es noch – optisch klug aufbereitet – die vertonten Texte sowie einige Abbildungen. Ein Sonderlob gebührt dem Label aber für die besondere Art, die Möglichkeiten des Speichermediums SACD auszunutzen – ein Beispiel, das seit Erscheinen der Platte vor mehr als fünf Jahren offenbar leider wenig Schule gemacht hat.
Christian Vitalis
www.klassik.com, 07. April 2009
Meissner Gotteslob als politisches Ereignis
Das "Tedeum" von Hufschmidt und Grass
Es ist ein Dokument aus bewegter deutsch-deutscher Zeit: Das "Meissner Tedeum"
des in Essen lebenden Komponisten Wolfgang Hufschmidt und des Dichterfürsten Günter Grass liegt nun als CD-Dokumentation vor.
Es handelt sich um ein Auftragswerk zur Tausendjahrfeier des Meissner Doms. Und der stand im Jahre 1968 in der Deutschen Demokratischen Republik. Der Komponist Wolfgang Hufschmidt - jüngst auch bekannt geworden durch den viel beachteten "Brüder"-Film - kombinierte das "Tedeum Laudamus" im deutschen Text Martin Luthers mit einem antiphonischen Text von Günter Grass, der wirklich an kritischer Grundhaltung nichts zu wünschen übrig lässt. Da wird Militarismus
ebenso gegeißelt wie die Partei, die das Recht für sich gepachtet hat Die 60er Jahre eben.
Die Uraufführung wurde zum Hürdenlauf mit vielen Widrigkeiten: Dem gebürtigen Mülheimer Hufschmidt, auch als Rektor der Essener Folkwang-Hochschule eine Größe, wurde zunächst die Einreise in die DDR verweigert. Dann erlaubte Ostberlin doch noch den Aufenthalt. Vom Plakat der Uraufführung musste allerdings
der Name "Gewandhausorchester" getilgt werden. Und: Die Musikkritik hatte zu schweigen. So ist das in Diktaturen nun einmal.
Beim verdienstvollen Label "Cybele" ist nun das "Meissner Tedeum" erschienen, das Sopran, Chor, Orchester nebst Orgel der Besetzung Bariton, Vokalensemble, Bläserquintett, Klavier, Schlagzeug und Tonband gegenüberstellt. Die Idee des Antiphonischen greift auf ein altes kirchenmusikalisches Prinzip zurück. Avantgarde bedeutet hier keineswegs den Verzicht auf große
Ausdruckskraft. Die musikalischen Mittel sind sehr differenziert.
Das Werk gibt's gleich doppelt. Zum einen (nur auf SACD-Player abspielbar) als
Mitschnitt der Uraufführung, zum anderen als Spiegel der Wiederaufführung im Dom zu Meissen am 3. Oktober 1997. Diese Aufführung war auch in Essen zu erleben.
Kurios: Bei der Uraufführung sang Hartmut Haenchen die Bariton-Partie, bei der
Wiederaufführung stand der Dirigent, der jetzt in Essen Bruckners "Achte" dirigieren wird, am Pult des Orchesters.
Michael Stenger
Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 16. January 2004