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Wagner, Richard: Der Ring des Nibelungen

Das Pausenloch vor dem Liebeserlösungsmotiv

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Das Pausenloch vor dem Liebeserlösungsmotiv

In der Bayreuther Aufführungs-Tradition lässt sich unter der Leitung von Cosima Wagner seit 1927 nachweisen, dass eine Pause, wie oben ausgeführt, vor dem letzten Liebeserlösungsmotiv in Götterdämmerung entgegen allen originalen Wagner-Quellen eingeführt wurde, um das Motiv von Beginn an hörbar zu machen, was der ganzen inhaltlichen Idee von Wagner diametral gegenübersteht, denn dort entsteht die Neue Welt unhörbar bereits im Versinken der Alten. Anders ausgedrückt: Beim Fortissimo des Weltunterganges schreibt Wagner gleichzeitig (sic) das piano des Liebeserlösungsmotivs.

Aus dem Particell Wagners geht eindeutig hervor, dass es keine Pause gibt, sondern das ff und das p des Liebeserlösungsmotivs inhaltlich ganz logisch überlagert sind und nicht nebeneinander (oder besser nacheinander) platziert sind. Noch deutlicher wird es im Autograph, wo die einzelnen Instrumente die Dynamik und das übereinander liegen noch deutlicher zeigen. Die autographe Partitur der Götterdämmerung, die Wagner am 21. November 1874 in Wahnfried vollendet hat und der Klavierauszug von Klindworth, den Wagner selbst durchgesehen hat, belegen (unabhängig voneinander) die Richtigkeit der Auffassung des Autors.

1.) Zur autographen Partitur
Die autographen Partitur ist in der Neuen Gesamtausgabe - völlig korrekt - als Primärquelle betrachtet worden, da Wagner die Überwachung des Erstdrucks Hermann Levi überlassen hatte (vgl. den Brief vom 9. Juni 1876). Die Schlussseite des Autographs gibt auf 30 Systemen die Takte 1594 [Etwas zurückhaltend]-1600 wieder. In Takt 1594 stößt man im 3. System von oben (Flöte 2 und 3) auf eine aufschlussreiche Korrektur: Hier bezeichnete Wagner ursprünglich (und vermutlich versehentlich) auch die beiden ganzen Noten in Flöte 2 und 3 zunächst mit p, eine dynamische Anweisung, die dann aber wieder gestrichen ist. In Flöte 2 und 3 gilt so ganz eindeutig nicht p sondern der Einsatz des diminuendo mit gleichzeitiger Decrescendo-Gabel wie in allen anderen Bläserstimmen auch. Eine p-Bezeichnung findet sich in Takt 1594 demnach nur zum 2. System von oben (Flöte 1), zum 7.-10. System von unten (Harfen 1 und 2), zum 5. System von unten (Viol. I) und – obschon gar nicht ausnotiert – zum 4. System von unten (Viol. II). Wagners autographe Korrektur der Dynamik belegt sehr deutlich, dass an dieser Stelle außer in Flöte 1 die Bläser definitiv nicht piano spielen dürfen und auch keine Pause gemacht werden darf.

2) Zum Klavierauszug
Diesen Befund bestätigt der Blick in den Klavierauszug von Karl Klindworth. Komponist und Arrangeur sind ja im Klaviersatz zur Reduktion auf die wesentlichen Momente gezwungen. Die dynamischen Anweisungen entsprechen hier genau jenen der autographen Partitur. In den Takten 1592-1593 im Klavier stehen die absteigenden Violinen und Violen, zunächst vertreten durch die rechten Hand im ff, um dann Takt 1594 mit der Eins leiser werdend, in der linken Hand ihre Fortsetzung zu finden. Dem entgegen beginnt in Takt 1594 das „Liebeserlösungsmotiv“ im p zur nach oben behalsten ersten Note im System der rechten Hand und steigert seine Dynamik erst ab der Taktmitte. (In Felix Mottls Klavierauszug, der im Gegensatz zu Klindworth Klavierauszug von Wagner nicht korrigiert wurde, fehlt dagegen dieses p auf der Eins bereits, was vielleicht zu der heutigen Bayreuther Praxis geführt hat oder diese - allerdings ohne Pause – widerspiegelt.)

Frau Dr. Christa Jost, Herausgeberin in der Richard-Wagner-Gesamtausgabe schrieb dem Autor zu dieser Frage:
„Eine Zäsur habe ich an dieser Stelle in keiner Quelle finden können - lediglich der Wechsel des Metrums ist angezeigt, was aber nicht zur Zäsur berechtigt. Zäsuren werden von Wagners Assistenten oft in den Klavierauszügen eigens vermerkt. Ich habe an dieser Stelle bislang keinen Hinweis darauf entdeckt.“

3) Zur Bayreuther Rezeption
Zu der heute verbreiteten Auffassung könnte der (vielleicht missverständliche) Schlusssatz aus Heinrich Porges’ Ausführungen zu den Bühnenproben von 1876 beigetragen haben. Er lautet: „Sowohl im Gesange, wie namentlich auch im Orchester sind die Takte: [es folgt ein Notenbeispiel der Takte 1481-1482 etc] bei aller tief beseelten Wärme mit grosser Ruhe auszuführen. Die Wiedergabe des symphonischen „Alles sagenden“ Schlusses dieses Weltdramas, in dem der Geist der antiken Tragödie und der Shakespeare’s sich die Hand gereicht zu haben scheinen, erheischt von Seite des Dirigenten einen eisernen Griff, gleich Cyklopenmauern müssen da die Themen und Melodien sich vor uns aufbauen.“ Diese, ausdrücklich auf die Takte 1481f bezogene Beschreibung von Porges findet sich in einem Erstdruckexemplar des Klavierauszugs aus dem Besitz von Glasenapp dann auf die Takte 1561-1600 ausgedehnt, sagt aber trotzdem in keiner Weise etwas von einer Pause. Wenn man die Anweisung genau liest (und der Autor hält sehr viel von Porges Aufzeichnungen, die für mich weit wichtiger sind, als die gedruckten Mottl-Anweisungen), bestätigt sie genau meine Auffassung. Auch ein Blick auf die Orchesterskizze könnte ihren Beitrag zu der verbreiteten (falschen) Aufführungstradition geleistet haben. In der Skizze nämlich taucht in Takt 1593 ein - allerdings wieder gestrichenes – dim. sowie einmal auch ein p in den Bläsern (über Flöte 1 hinaus) auf. Es scheint daher, als habe sich Wagner an den Vortrag der Stelle erst nach und nach herangetastet. Das könnte auch seine mehrfache Korrektur der beiden Anweisungen über dem 1. oberen System in der autographen Partitur signalisieren: „Im Zeitmass“ stand ursprünglich in Takt 1598 erst zu Zählzeit 2; Wagner rückt diese Bezeichnung durch ein Winkelzeichen auf die Takteins. Die vorher positionierte Vorschrift „Etwas zurückhaltend“, ursprünglich beginnend auf Zählzeit 4 in Takt 1596, rückt demzufolge dann an den Taktbeginn bzw. vor dem Taktstrich vor, um nochmals gestrichen zu werden und dann ab Takt 1594 endgültig Platz zu finden. Bei genauem Studium schließen aber Wagners Änderungen eben genau die Pause aus, die eben auch inhaltlich Wagners Ideen vollständig zuwiderlaufen würden.

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