Texts

Strauss, Richard: Kein „gestaltloser Brei“

Zur Aufführung von Daphne in Toulouse, Théâtre du Capitol 2014 mit den späteren Korrekturen von Richard Strauss in Dresden und Wien

Der vollständige Text ist teil des 2. Bandes "Werktreue und Interpretation", Pfau-Verlag, Saarbrücken, 2013, Seite 126 - 134.
Eine pdf mit Quellenangaben und Abbildungen ist unten am Text zu finden.

Tempo
„Und bringen Sie den braven, aber etwas langsamen Heger auf Krauss‘sche Tempi!“ Richard Strauss hat glücklicherweise sehr viele Aufnahmen seiner Werke selbst dirigiert. Diese zeigen uns, wie klassisch, strukturiert und mit flüssigen Tempi er sich die Aufführung seiner Werke vorstellte. Der obige Ausspruch verdeutlicht ebenso wie seine Bemerkung über die immer langsamer werdenden Tempi in Bayreuth, dass er sich der allgemein aufkommenden Tendenz der Verlangsamung der Tempi, deren wichtigster Vertreter Wilhelm Furtwängler war, entgegenstellen wollte . Wenn wir nur zwei beliebige Werke herausgreifen, ist diese Tendenz noch heute bis auf wenige Ausnahmen nachzuweisen.

Richard Strauss nahm „Till Eulenspiegel“ mehrfach auf. Die Aufführungszeiten zeigen auch bei ihm mit zunehmendem Alter eine minimale Tendenz zur Verlangsamung. Die schnellste Aufnahme von 1929 dauert 14‘27 Minuten, die langsamste von 1943 15‘12 Minuten. In diesem sehr flüssigen Tempo bewegen sich auch alle Dirigenten seiner Generation und die etwas Jüngeren: Fritz Reiner, Otto Klemperer, Karl Böhm, Clemens Kraus, Arturo Toscanini, Eugen Ormandy. Etwas schneller dirigieren Bruno Walter, Leopold Stokowski und Ferenc Fricsay. Weit langsamer sind mit Wilhelm Furtwängler (16‘24 Min.) Herbert von Karajan, Lorin Maazel, Semyon Bychkow, Sergiu Celibidache, Arturo Basil, Rudolf Kempe, Raphael Frühbeck de Burgos bis zum Langsamkeitsrekord von Kenichiro Kobayashi mit 16‘57. Bei einem etwas längeren Werk wie „Don Juan“ wird die Tendenz zur Verlangsamung noch deutlicher: Richard Strauss nahm es mit 15‘46 Minuten auf, die Karl Böhm übrigens exakt nachdirigiert. Mariss Jansons braucht dafür aber 17‘29 Minuten, Herbert von Karajan 18‘02 Minuten, André Previn 18‘06 Minuten, Eliahu Inbal und William Steinberg 18‘07 Minuten, Lorin Maazel 18‘08 Minuten, Neeme Järvi 18‘09 Minuten, Mark Elder 18‘27 Minuten, Rafael Frühbeck de Burgos 18‘33 Minuten und Klaus Tennstedt 18‘48 Minuten. Das sind bei diesem relativ kurzen Werk drei Minuten beziehungsweise 19 Prozent Unterschied.

Richard Strauss dirigierte im Mai 1942 in München Daphne und Salome:
„Ich habe mich redlich bemüht, in 2 vortrefflichen Vorstellungen Sie würdig zu vertreten. Mit Hilfe des braven Orchesters habe ich mich auch durch „Daphne“ leidlich durchgeschlängelt, trotzdem ich in Folge eines leichten Augenkatarrhs und dem diffusen Licht am Pult kaum Singstimme, geschweige Text lesen konnte. Auch die Sänger waren vortrefflich, der einspringende Apoll sah zwar aus wie der Hofschlächtermeister des seligen Jupiter, hat sich aber gut gehalten (es ist übrigens eine ekelhafte Gesangsrolle - für den Helden zu hoch und der Lohengrintenor hälts nicht durch - ) ich kann halt nicht für Tenor schreiben - es sei denn, daß doch einmal ein außergewöhnlicher Italiener für diese Rollen sich findet. Bis jetzt ist ein derartiges Wunder allerdings noch nicht in Sicht.
Der 1. Schäfer sang eine Zeile lang unentwegt ein Viertel vor mir her. Ich wollte nicht gleich nachgeben, da er aber unerbittlich war, mußte ich doch schließlich den Klügeren spielen.“

Balance
„Wollen Sie, wenn Sie selbst das nächste Mal „Daphne“ dirigieren, aufpassen, warum die Stimme, wenn sie in der Mittellage zu einem höher liegendem Streichorchester singt, fast unhörbar ist, während sie in den höheren Lagen wieder zu stark (sic H.H.) gegenüber der Melodie der ersten Geigen, besonders des Violinsolos ist? Liegt es am Komponisten oder an der Wiedergabe?“ Strauss beantwortet diese rhetorische Frage im Geleitwort zu Capriccio im Bezug auf Daphne: „Ich kenne Fälle, wo eine konzertierende Solovioline (Mozartarie, erste Szene der „Daphne“) gegenüber einer 'allzu viel Ton' gebenden Sängerin sich kaum behaupten kann, während umgekehrt etwas höher liegende Streicher und Holzbläser selbst im pp eine in der Mittellage sich bewegende Sopranstimme decken können.“ Strauss erachtet es als Aufgabe des Dirigenten, den entsprechenden Ausgleich zu dirigieren. An gleicher Stelle weist Strauss ausdrücklich darauf hin, dass seine Anweisung espressivo grundsätzlich auf die Balance der Stimmen untereinander beziehungsweise auf deren Hervorhebung – ähnlich wie später bei Alban Bergs „Hauptstimme“ - „Nebenstimme“ – zielt und er dessen strikte Einhaltung verlangt. Strauss fügt hinzu: „Als vor 70 Jahren in München die „Walküre“ einstudiert wurde, fragte mein alter Klavierlehrer, der Harfenist Tombo, bei Richard Wagner an, was er mit der Harfenstimme des Feuerzaubers anfangen solle: sie sei unspielbar! Wagner antwortete: „Ich bin kein Harfenist. Sie sehen doch, was ich haben will. Ihre Aufgabe ist es, die Stimme so einzurichten, daß es klingt, wie ich es mir vorstelle. Dies gilt mehr oder minder für jede Opernaufführung. Die Theater haben verschiedene Größen und Akustik. Die Singstimmen sind von verschiedener Qualität und Durchschlagskraft! Die Orchester haben verschiedene Besetzung (fast überall ist das Streichquartett zu schwach).“ Im hohen Alter sagte Strauss: „Fortissimo für das große Blech sollte (ein paar Hauptpunkte im Nibelungenring abgesehen und zwei bis drei Stellen in Elektra, Helena und Salome) aus den Partituren verschwinden.“

„Die Aufgabe von Dirigent und Regisseur (sic H.H.), ein solches Textbuch und Partitur in die der Absicht des Autors entsprechende Wirklichkeit umzusetzen, ist eine so große und vielfältige, wie sie bei einer voll gelungenen Vorstellung von Publikum und Kritik nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Noten- und wortgetreue Interpretationen und kongeniale Improvisation sind 'Bruder und Schwester wie Wort und Ton'.“

Genauigkeit
„Wie im ‚Intermezzo’ verlangt der Dialog eine sehr freie sprachliche und rhythmische Behandlung, die nicht auf den ersten Anhieb zu bewältigen ist. Eben weil es doch ein ganz neuer Stil ist und selbst für reife Wagnersänger seine Schwierigkeiten hat. So prachtvoll z.B. unser famoser Hotter unlängst hier seinen ‚Rheingold’ - Wotan vorgetragen hat, das Wagnersche Rezitativ in seiner pathetischen Plastik ist eben doch etwas anderes, viel klarer und eindeutiger als mein sich dem Secco näherndes Lustspielparlando, das eine viel freiere, individuellere rhythmische Behandlung nicht nur zuläßt, sonder sogar erfordert: ein aufgelockertes Schwimmen, wie es der vortrefflichen Lotte Lehmann von der Fee der Unmusikalität als unentbehrliches Geschenk in die Wiege gelegt worden war. Die Zwischentöne sinds, wo man nicht genau weiß, singt sie h oder c - man kann sie leider noch nicht notieren!“

Textverständlichkeit/Balance
„Ich hörte mir hier die ‚Daphne’ an: Friedrich unter aller Kanone, Reining gute Stimme, - aber an dieser Aufführung (oder ist es schon mein schlechtes, unsicheres Gehör) fiel mir ganz besonders an unsere Sängern auf, daß, ebenso wie die Meisten nicht ein plastisches, ausdrucksvolles Rezitativ beherrschen (mangelnde Sprechtechnik) - hier in ‚Daphne’, wo sie Kantilenen zu singen glauben, der Vortrag selbst - ohne jede Akzentuierung - ein verständnisloses Absingen von Noten ist und selten der richtige Ausdruck des Stärkegrades der Singstimme gegenüber der führenden melodischen Stimme (sic H.H.) gefunden wird - eine Probenarbeit, die auf der Orchesterprobe von Takt zu Takt das sorgfältigste Abhören erforderte. Ich habe mir daraufhin die ‚Daphne’ -Partitur aus der Oper kommen lassen, sie wieder sorgfältig durchstudiert, wüßte aber nicht, wie ich sie durchsichtiger und mit größerer Rücksicht auf den Sänger instrumentieren sollte, müßte sie aber doch wahrscheinlich einmal selbst probieren, um zu sehen, ob ich diesem gestaltlosen Brei, der mir jetzt beim Zuhören so schweres Unbehagen verursacht, nicht doch die Form geben kann, die meinem geistigen Ohr vorschwebt. Es ist eben doch wie oben bei meinem Dialog, auch bei meiner polyphonen Kantilene ein ganz anderer Stil! Der Teufel hole das Neuland, in das mich eine böse Fee bei meiner Geburt versetzt hat. “ Strauss war sich bewusst, dass die Textverständlichkeit in der Oper ein großes Problem ist und sorgte sich darum, dass die um Texte auch gesungen immer noch verständlich sein sollten: „Und vergessen Sie nicht, daß in der Oper das Publikum kaum ein Drittel des Textes überhaupt versteht und, wenn es nicht folgen kann, sich sofort mopst.“ Später sprach er gar von einem Fünftel, da Gregor noch immer nicht seinen Wünschen bei der Klarheit des Textes entsprach.

Bühnendarstellung im Einklang mit der Musik
„Das Unerhörteste aber war, daß Herr P. nicht einmal gemerkt hat oder merken durfte und wollte, was das eigentlich Entscheidende des Daphneabends durch Ihre vorbildliche Zusammenarbeit mit den großen Künstlern Hartmann und Sievert incl. der Herren Beleuchter war - das Neue und so schwer zu lösende, die vollendete Lösung aller szenischen Probleme von der zauberhaften Dekoration, dem wirklichen Mitspielen der Sonne bis zur endlich erreichten sichtbaren Baumwerdung Daphnes - war. Über all dies: die Verbindung von Innen- und Außenregie mit jeder seelischen Regung des Taktstockes könnte man 3 Artikel schreiben; dies mit ein paar billigen Schlagworten abzutun ist mehr wie Ignoranz, das ist wohl Böswilligkeit. Möge Sie und Ihre ausgezeichneten Mitarbeiter die große Dankbarkeit trösten, die ich als glücklicher Autor für Euch empfinde...“
Strauss wollte die Vorgänge auf der Bühne deutlich und schrieb an Krauss: „Meine ganze Musik hat doch keinen Sinn, wenn der Zuschauer sich alles denken soll!“
Und wie Wagner strebte er das Gesamtkunstwerk an: „Erst mit der Erfindung und der äußersten Differenzierung des modernen Orchesters ist das Welttheater zur höchsten Vollendung emporgestiegen.“

Entstehung des Daphne-Textes
Stefan Zweig, mit dem Richard Strauss für Die schweigsame Frau gern und erfolgreich zusammengearbeitet hatte, empfahl Strauss für die weitere Zusammenarbeit Joseph Gregor, der sich durch sein Buch Weltgeschichte des Theaters profiliert hatte. Das NS-Regime blockierte die Verbindung von Strauss und Zweig in Deutschland und fing den Briefwechsel. Obwohl dies erst nach Ende des zweiten Weltkrieges bekannt wurde, ahnte es Strauss aber wohl und sprach jetzt gegenüber Gregor nur noch von „unserem Freund“. Strauss schrieb also an Gregor, was dieser mit Zweig besprechen sollte. Und so war ohne Namensnennung Stefan Zweig lange in den Entstehungsprozess des Textes einbezogen. Gregor wiederum nutzte aus Stolz und falschem Vertrauen keine Umschreibung, als er über die Reaktion auf seinen Textentwurf an Strauss berichtet: „Stefan Zweig, der sich gegenwärtig in Wien aufhält, war von diesem Text geradezu begeistert und schrieb mir darüber einen langen Brief, den ich Ihnen beilege. Ich selbst habe schon im Manuskript der Daphne Stellen vermerkt, die Zweig noch ausgedehnter haben möchte.“ Strauss teilte diese von Gregor weitergegebene Meinung wenig und schrieb zunächst sehr vorsichtig an Gregor: „Daphne gefällt mir recht gut, wenn ich auch noch straffere dramatische Conzentration in Handlung und Sprache gewünscht hätte. Wir sprechen darüber ... mündlich. Die Vorschläge unseres Freundes bitte dringend zu beachten.“ Im weiteren Arbeitsprozess wurde Strauss in seiner Kritik weit heftiger: „Inzwischen habe ich mich noch intensiver mit Daphne beschäftigt und muß, entgegen der Meinung unsres Freundes, leider gestehn, daß, je öfter ich sie lese, sie mir desto weniger gefällt. Es ist ein völliges Nacheinander, keine Spur von irgend einer Schürzung des dramatischen Knotens, es fehlt ständig eine große Auseinandersetzung zwischen Apollo, Leukippos und Daphne, in der Daphne ihre jungfräuliche Stellung beiden gegenüber ausdrücklich darlegt.. “ Schließlich antwortet Gregor nach langer Geduld bei vielen weiteren kritischen Anmerkungen: „Und da muß ich Ihnen doch sagen, daß ihr Urteil, das mir nichts anderes darüber gesagt hat als: „schlecht imitierter Homerjargon“ und „Weltanschauungsbanalitäten“ - mich aber schon sehr geschmerzt hat. “ Worauf Strauss noch drastischer antwortet: „Seien Sie mißtrauisch gegen diese gefährliche „wahre und echte Begeisterung“ in der Sie das Stückchen (sic H.H.) geschrieben haben wollen. Solche Produkte halten weder dem nüchternen Kunstverstand stand, noch erwecken sie dieselben Empfindungen beim Zuhörer.“
Schließlich nähert sich der Text Strauss‘ Vorstellungen, nachdem die beiden auch in tagelangen persönlichen Gesprächen daran gearbeitet haben: „Der Schluß ist vortrefflich geworden, besten Dank.“ Und: „Daphne verspricht, wenn die beiden Hauptscenen gelingen, ausgezeichnet zu werden. Gratuliere.“ Und eine Woche später, nachdem die Figur der Gäa eingeführt worden ist: „Daphne ist vortrefflich - nur so fort!“ Aber er schickt - während er bereits an der Komposition ist, den Entwurf noch einmal zurück und bittet nachdrücklich um weitere Änderungen: „Mehr Gleichmaß im Versbau, möglichstes Vermeiden weiblicher Endsilben, Vermeidung der kleinen, meist überflüssigen Füllwörter, Vermeidung von Nebensätzen, die mit indem und während etc. beginnen - Sie sehen ja, wie ich es meine - ich deklamiere mir Alles, wie es am besten zu componieren wäre. ... Verbessern Sie selbst nach dem von mir angegebenen Schema!“ Am gleichen Tag vermeldet er etwas später, dass Nr. 1 in der Skizze fertig ist und in zwei Wochen in der Reinschrift erstellt sein wird. Und an Eigenlob fehlt es nicht: „Der Schlußhymnus ist mir, glaube ich, besonders gut geraten.“ Inzwischen hat Gregor versucht die Forderungen von Strauss umzusetzen, und dieser reagiert zufrieden: Dass dies der richtige Weg ist „der Daphnefigur das Zwielicht zu geben, das sie braucht, um ihr schicksalhaftes Verbundensein mit der Natur und ihr Versagen den Menschen und dem in menschlicher Gestalt mit menschlichen Gefühlen entgegentretenden Gotte gegenüber anschaulich zu machen.“ Gregor antwortet, dass Daphne „den Frieden in der Natur“ besingt. Schließlich bekommt Strauss die angeblich endgültige Fassung des Textbuches und reagiert ungehalten: „Aber mein Lieber - da fehlt es noch weit zu einem brauchbaren Operntext - das ist alles noch um die Hälfte zu lang.“ Um ganz konkret dramaturgische Schwächen aufzuzeigen: „am „Bruder“-kuß des Apollo merkt Daphne sofort die Erotik, warum nicht auch am „Schwester“-kuß des Leukippos? ... Wenn sie auch menschliche Liebeslust nicht kennt oder verabscheut, der Kuß des Gottes müßte doch andere Gefühle in ihr erwecken als das einfache des Hasses.“ „Ein Naturwesen wie Daphne muß überhaupt unfähig sein zu hassen. Die Gefühle, die Apollos Kuß in ihr hervorruft, können nur Schrecken, Staunen und Schmerz sein, daß sie das Licht, das sie anbetet und dessen Entschwinden sie noch soeben nachtrauert, das sie bisher nur gesehen - nunmehr in sich als Glut fühlt! Also nach dem Kuß - beinahe ohnmächtig - „das Licht - die Sonne - weh mir! Ich ertrag es nicht! ... Also nichts von Betrug! Vielleicht sogar nicht bei Leukippos! Dieser darf Daphne auf keinen Fall küssen!“
Da Strauss sich mit Gregor immer noch nicht am Ziel seiner Libretto-Vorstellungen sieht, greift er selbst zur Feder, schreibt den Eingangsmonolog der Daphne selbst in Gedichtform und schickt ihn an Gregor. Der Text wird von Gregor weitgehend übernommen. Eliminiert wurde eine - für die Musik - wichtige Zeile „Warum lieber Vater, lockst du heute mit deines Hornes Gewalt die Menschen..“ Hier wird erklärt, warum Strauss im Anfang das Alphorn einsetzt. Es ist im feinen Gespinst der Strauss‘schen Musik als roher Klang eingesetzt, die der Angst Daphnes um die Zerstörung der Natur entspricht. Als Figur der Daphne suchte Strauss immer wieder nach Giovanni Lorenzos Berninis Plastik „Apollo und Daphne“, schrieb Postkarten mit dieser Abbildung und wollte sie als Titelblatt für Partitur und Textbuch benutzen .

Schlusslösung: Die Verwandlung als Erfüllung des Künstlertraumes
Nach Strauss können die Frage des „Bruderkusses“ oder die Verkleidungen nicht das Hauptmotiv des Stückes sein. „Ein solches kann nur sein, daß das Göttliche, wo es sich den Menschen nähern will, immer nur schwache Wesen findet, die es nicht ertragen - es sei denn im Genie des Künstlers, wovon wir etwas in Peneios legen könnten, der am Schluß nicht ein alter, kranker Mann sein darf, sondern in dem Symbol der Verwandlung Daphnes in den schönen, vollkommenen Baum erst die wahre Erfüllung seines Künstlertraumes sieht.
In einem bekannten Mailänder Restaurant bespricht er diese Frage mit dem Regisseur und Oberspielleiter der Wiener Staatsoper, Lothar Wallerstein, und kommt zu dem Ergebnis, dass sie lieber auf den Gegensatz von apollinisch (Ordnung) und dionysisch (rauschhaft) zurückgeführt werden soll . Apollo töte mit dem Mord an Leukippos in sich sein dionysisches Element und Daphne werde als Symbol der Läuterung Daphne in den Lorbeer verwandelt. Schließlich kommen er und Clemens Krauss, zu dieser Zeit Generalmusikdirektor der Münchner Staatsoper, überein, „daß nach Apollos Abgesang außer Daphne kein menschliches Wesen mehr auf der Bühne erscheinen darf, kein Peneios, keine Solostimmen - kein Chor - kurz kein Oratorium: alles wäre eine Abschwächung.“ Die Idee, am Ende alles zu verbrennen, bestätigt Strauss gegenüber Gregor, der die Musik des Schlusses bewunderte. Strauss tat dies etwas sarkastisch ab: „Geh - das ist doch nur der Feuerzauber mit anderen Noten.“

Leukippos
„Über die sehr heikle Figur des Leukippos in Mädchenkleidern - an sich schon sehr peinlich - haben wir viel nachgedacht.“ Apollo als allwissender Gott hat sie ohnehin durchschaut: „Auch Daphne muß ihn sofort, jedenfalls bald nach der ersten Berührung ... erkennen und ablehnen. Leukippos muß die Verkleidung augenblicklich selbst abwerfen und sich dem Gott zum Kampf um die geliebte Daphne stellen, die natürlich keinem von beiden - ihrer Wesensart nach - angehören kann.“

Uraufführung zusammen mit Friedenstag
Die Dresdner Zeitung berichtet über die Generalprobe: „Es ergab sich für den musikalischen Leiter, Professor Dr. Böhm, während der Dauer der Vorführung, die eine Stunde und fünfzig Minuten beträgt (die Zeiten stimmen nicht mit den Einzeichnungen der Musiker in den Stimmen überein, dort sind 96 Minuten in der Viola-Stimme und 102 Minuten in der Klarinetten-Stimme - mit zwei Sprüngen - vermerkt, H.H.), nicht eine einzige Notwendigkeit zur Unterbrechung, und am Schluß stand man unter erhebenden Eindrücken.“ Friedrich von Schuch widerspricht diesem schönen Bild: „In schönem Vertrauen zu seiner altbewährten Uraufführungsstätte erschien Strauss erst zur letzten Probe. Da gab es allerdings eine kleine Überraschung. Böhm ließ das herrliche Melos des Werkes, das recht eigentlich den Altersstil des Meisters einleitet, ungehemmt vorüberströmen, aber Strauss, der sich ja mit den Jahren immer mehr verfeinert und vergeistigt hatte, war nicht recht zufrieden. Es war ihm zu laut, die Stimmen zu sehr gedeckt. Eine weitere Probe mußte eingeschoben werden, um diesen Bedenken Rechnung zu tragen. Die Aufführung verlief dann ganz nach seinen Wünschen. Böhms feinem Ohr für Qualitätsstimmen war es ja gelungen, ein erlesenes Ensemble zu schaffen, das den von ihm geleiteten Aufführungen einen besonderen Glanz verlieh.“
Nach der „prachtvollen“ Uraufführung, die nach Strauss‘ Worten „wunderbar gewirkt“ hat, stellte der Uraufführungsdirigent Karl Böhm fest, dass die Kombination mit „Friedenstag“ ein Irrtum war und er das nie mehr wiederholen würde. Schuch bestätigt dies , und nachdem auch Clemens Krauss sich dieser Meinung anschließt, erklärt auch Strauss, dass die Zusammenstellung mit „Friedenstag“ nicht funktioniere. Der Komponist schlug später vor, „Friedenstag“ mit etwas „Calderon-Ähnlichem “ und „Daphne“ mit seiner Couperin-Suite zu kombinieren. Später schrieb er dann noch den Chor-Epilog „An den Baum Daphne“, an dessen Aufführung in diesem Rahmen er aber selbst nicht glaubte. Er meinte, das Werk sei nur eine „Handgelenksübung zum Zeitvertreib, dann in die Schublade damit, zum übrigen Nachlaß.“

Die „vollendete“ Partitur
Die Partitur von „Daphne“ wurde am 24.12. 1937 fertiggestellt. Bereits zwei Monate später berichtet Strauss, dass er „manche Striche und Zusammenziehungen “ angebracht habe. Da dies also bereits vor der Uraufführung am 15.10. 1938 in Dresden geschah, ist davon auszugehen, dass die beiden von Karl Böhm immer vorgenommenen Striche auf Strauss selbst zurückgehen. Der oben genannte Bericht von Schuch verdeutlicht auch, dass noch nach der Generalprobe zahlreiche Retuschen von Strauss selbst angeordnet wurden. Diese finden sich in dem in der Dresdner Semperoper erhaltenen Uraufführungsmaterial, das liebevoll restauriert ist und bis heute genutzt wird. Vermutlich hat Karl Böhm auch Strauss‘ Retuschen von den Wiener Aufführungen - Böhm war ab 1943 Generalmusikdirektor der dortigen Staatsoper - für Dresden übernommen, da das Material eine frühe zweite Schicht der Korrekturen enthält. An Clemens Krauss schrieb er: „Die von mir in Wien ausgedachten Retouchen haben sich gut bewährt. Sehen Sie sich bitte vor der nächsten Aufführung Ihre Partitur genau an, damit Sie nicht vor Schreck vom Stuhle fallen, wenn plötzlich im Orchester so Manches - „nicht kommt.“ Dies bezieht sich auf Instrumentationsdetails, in denen er das Klangbild leichter gemacht hat und Doppelungen vor allem aus den Bläsern, gelegentlich auch aus den Streichern, herausgenommen hat. Die gedruckte Partitur gibt also durchaus nicht den endgültigen Willen von Richard Strauss wieder. Für unsere Aufführung haben wir alle späteren Korrekturen von Strauss einbezogen, der eben ein viel klassischeres Klangbild, ohne „gestaltlosen Brei“, anstrebte.

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