Es gibt das Textbuch, das Particell und die Reinschrift der Partitur von Richard Wagners Hand, es gibt die von Engelbert Humperdinck erstellte Druckvorlage (mit Wagners Änderungen gegenüber dem Autograph), es gibt in Bayreuth im Siegfried-Haus die von Ernst Hausburg geschriebene Uraufführungspartitur, die Hermann Levi gebrauchte. In jedem Stadium der Partitur gibt es Veränderungen.
Das Material, aus dem man seit etwa 120 Jahren in Bayreuth spielt, sind handgeschriebene Bläserstimmen und Streicherstimmen nach dem Erstdruck. Die originalen Stimmen der Uraufführung sind im Archiv der Bayreuther Festspiele und werden für weitere Aufführungen 2017 von Hartmut Haenchen ausgewertet.
Die Druckfehler des Erstdruckes wurden im Laufe der mehr als 100 Jahre nur partiell verändert oder zum Teil nach Gutdünken verbessert, z.B. nach dem Klavierauszug von Josef Rubinstein.
Inzwischen gibt es die von Dr. Egon Voss herausgegebene Partitur im Rahmen der Neuen Gesamtausgabe (1972), die sich auf das Autograph und nicht auf den Erstdruck, der von Wagner nie autorisiert wurde, bezieht. Dazu ist nie ein entsprechendes Orchestermaterial erschienen.
Da alles Menschenwerk ist, ist der Neudruck auch nicht ganz frei von Irrtümern und Druckfehlern (ein gravierendes Beispiel der Götterdämmerung-Druckfehler-Liste ist in „Werktreue und Interpretation“ Band 2 veröffentlicht.) Mit Dr. Voss steht Hartmut Haenchen seit Jahren im Kontakt und viele der von Hartmut Haenchen festgestellten Druckfehler sind inzwischen bei der Eulenburg-Edition korrigiert worden. Für fragliche Stellen hat Hartmut Haenchen auch jetzt Dr. Voss befragt, weil im Bayreuther Material z.B. Töne verändert wurden, die eben nicht auf Wagner zurückgehen, sondern auf den Geschmack der späteren „Verwalter des Werkes“.
Entscheidende Parameter für die Erstellung des neuen Orchestermaterials sind an folgenden Beispielen deutlich zu machen:
- Die Stricharten stellen durch Mischfassungen der Striche, die teilweise gegeneinander laufen, die ursprünglichen langen Bögen wieder her und korrigieren Bogenfehler in den Streicherstimmen.
- Im Erstdruck ist der entscheidende Unterschied zwischen Staccato-Punkt (leicht und kurz) und Keil (akzentuiert und kurz) nicht berücksichtigt, weil es damals drucktechnisch zu schwierig war. Allein in der Stimme der 1. Violine bedeutet das 72 Artikulationsunterschiede im 1. Akt. Insgesamt sind z.B. in der 1. Violinstimme über 300 Veränderungen gegenüber dem Bayreuther Material ohne die Stricharten dabei mit zu zählen.
- Diese Veränderungen beziehen sich auch darauf, dass Hartmut Haenchen alle Überlieferungen der Beteiligten an der Uraufführung (Heinrich Porges – nach Hermann Levi „der gestrenge“ -, Julius Kniese, Alois Burgsteller (Parsifal), Marianne Brandt (Kundry) und vor allem Hermann Levi sowie später auch Franz Beidler und Felix Mottl) zusammengetragen hat. Aus diesen Aufzeichnungen wird übereinstimmend deutlich, was Wagner sich musikalisch und szenisch letztendlich vorgestellt hat und dies geht weit über die Originalpartitur hinaus oder korrigiert sie.
- Wagners Anweisungen, die aufgezeichnet wurden, beinhalten eine sehr große Zahl an Tempoänderungen, die nicht in der Partitur stehen, beinhalten sogar konträre Anweisungen gegenüber der Partitur (z.B. schneller werden, anstatt langsamer), dynamische Anweisungen und gravierende Retuschen, Textänderungen, Notenänderungen, Instrumentationsänderungen, hinzugefügte und weggelassene Instrumentation, Artikulationsänderungen, Ausdrucksanweisungen. Also sämtliche denkbaren Änderungen.
Schätzungsweise sprechen wir über ein paar tausend Änderungen gegenüber dem herkömmlichen Material.