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Wagner, Richard: Der Ring des Nibelungen, Wotan und seine Vögel

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Wotan und seine Vögel

In allen Mythologien spielen Vögel eine große Rolle. Dabei werden die verschiedensten Vogelarten als Gleichnis für unterschiedlichste Funktionen beziehungsweise deren Bild gebraucht.

Jedem Kenner des Ring ist natürlich die Rolle des „Waldvogel" ein Begriff. Eine Rolle die Wagner ursprünglich einer Knabenstimme zugewiesen hat, auch wenn die Aufführungspraxis seit Wagners Zeit fast ausnahmslos aus Gründen der außerordentlichen sängerischen und musikalischen Schwierigkeiten dazu geführt hat, die Rolle von Frauenstimmen singen zu lassen. Es steht aber außer Zweifel, dass Wagner, nicht nur auf Grund seiner autographen Anweisung, ein Experiment machen wollte. Aus der musikalischen Dramaturgie in Siegfried ist deutlich ablesbar, dass die erste Frau, die auf der Bühne sichtbar und hörbar werden darf, Brünnhilde ist, die Siegfried das Fürchten lehrt. Überdies wissen wir natürlich auch, dass Wagner in seiner Dresdner Schulzeit mit den Knabenstimmen des Dresdner Kreuzchor in direkten Kontakt kam, die für einen bleibenden Eindruck bei ihm sorgten, was sich auch in anderen Werken widerspiegelt (Tannhäuser und Parsifal).
Auf Grund Wotans - aus der Emotion des Abschieds von Brünnhilde geborenen -„Willen zum Untergang“ und seiner Idee vom freien Helden, der von ihm unbeeinflusst sein soll, muss er doch nach einer Möglichkeit suchen, Siegfrieds (seines Enkels) Weg zu beeinflussen, um seine Macht an eine neue Generation von Menschen weiterzugeben. Musikalisch lässt sich das verfolgen an dem einzigen Leitmotiv, dem Wagner selbst einen Namen gegeben hat, dem Welterbschaftsmotiv. Es erklingt erstmalig im Dialog zwischen Wotan und Erda am Anfang des dritten Aktes von Siegfried. Die Musik spricht aus, was Wagners Text nur andeutet: „Um der Götter Ende grämt mich die Angst nicht, seit mein Wunsch es will. Was in des Zwiespalt’s wildem Schmerze verzweifelnd einst (in Walküre) ich beschloss, froh und freudig führe frei ich nun aus". Danach erklingt das Welterbschaftsmotiv, Wotans Idee, die Herrschaft über die Welt an eine neue Generation von Menschen, nicht Göttern, weiterzugeben. Danach wird auch der Text deutlicher „...dem herrlichsten Wälsung (Siegfried) weis´ ich mein Erbe nun an." Mit diesem Motiv endet die Oper Siegfried auch noch optimistisch. Um aber seinen Enkel bis zu diesem Punkt zu führen, muss Wotan zu Mitteln greifen, die die Freiheit von Siegfried nicht beeinträchtigen. Da Vögel im allgemeinen als Symbol der Freiheit angesehen werden und der Vogel auch singen muss, ist natürlich ein Waldvöglein naheliegend, welches Wotan als Führer für Siegfried ausersieht. Da erscheint es verwirrend, dass er in seiner Begegnung als Wanderer mit seinem sehr pubertären Enkel singt, nachdem Siegfried der Waldvogel entschwunden ist „Es floh dir zu seinem Heil. Den Herrn der Raben errieth es hier: weh´ ihm, holen sie´s ein!" Zunächst erklärt Wotan damit noch einmal indirekt, dass er ja Siegfried nicht direkt beeinflussen darf und dass er deswegen verbalen Abstand zu dem Waldvogel nehmen muss. Außerdem führt er gleichzeitig zwei neue Vögel ein, die in den meisten Produktionen unbeachtet bleiben, da sie nicht als Rolle aufgeführt sind, sondern nur im Text und den Regieanweisungen erwähnt werden: Zwei Raben. Zunächst stehen die Raben in der mythologischen Rangordnung als Symbol für Klugheit weit über dem Waldvogel, der nur nachsprechen kann, was man ihm (in dem Fall Wotan) vorgesagt hat. Gleichzeitig werden zwei Figuren in den Kosmos des Ring eingeführt, die im weiteren Verlauf der Götterdämmerung die Rolle des Gottes Wotan übernehmen.

In der Erzählung der Waltraute (eine der Walküren) im ersten Akt von Götterdämmerung tauchen sie im Zusammenhang mit Wotan wieder auf „Seine Raben beide sandt’ er auf Reise kehrten die einst mit guter Kunde zurück, - dann noch einmal - zum letzten Mal! - lächelte ewig der Gott." In der Edda, einer der Quellen die Wagner für den Ring benutzte, werden die Raben sogar mit Namen bedacht: Hugin (Gedanke) und Munin (Erinnerung). Es geht also nicht nur um die Erinnerungen, die den Gott - zum letzten Mal! - lächeln machen, es geht auch um die Gedanken, die Wotan hegt. Hatte er in Siegfried seinen Untergang beschlossen, mit der Hoffnung ein neues Geschlecht aufgebaut zu haben, zeigt sich in Götterdämmerung die moralische und geistige Unfähigkeit Siegfrieds und er beschließt nicht nur, alle Vorbereitungen zu treffen, sein Haus mit allen Göttern zu verbrennen, sondern er schickt seine Raben aus, um Siegfried zu zwingen, diesen nachzuschauen und damit seine einzige verwundbare Stelle seinem Feind Hagen preiszugeben. Die originale Regieanweisung lautet: „Zwei Raben fliegen aus einem Busche auf, kreisen über Siegfried und fliegen dann, dem Rheine zu, davon." Worauf Hagen singt: „Errätst du auch dieser Raben Geraun´?" danach folgt die Regieanweisung „Siegfried fährt heftig auf und blickt, Hagen den Rücken zukehrend, den Raben nach" und Hagen singt „Rache rieten sie mir" und stößt den Speer in Siegfrieds Rücken. Hagen hat also Wotans Zeichen verstanden. Es ergibt sich wie so oft im Ring die Parallele einer schon gehabten Situation: In Walküre lässt Wotan seinen Sohn Siegmund durch Hunding ermorden, hier gibt er Hagen das Zeichen zum Mord an seinem Enkel Siegfried. Seine Idee vom „freien Helden" ist gescheitert.

Dass Wotan das alles selbst vorbereitet hat und nach der Erzählung von Waltraute im ersten Akt offensichtlich doch noch einmal Walhall verlassen hat ist aus einer beiläufigen Bemerkung von Siegfried am Anfang des dritten Aktes zu entnehmen: „Ein Albe führte mich irr, dass ich die Fährte verlor.-" und Siegfried redet sogar mit ihm „He, Schelm! In welchem Berge barg´st du so schnell mir das Wild?". Natürlich kommt keine Antwort, da er ja seine Absicht erreicht hat: Siegfried jagte dem Bären nach, den der Albe verschwinden ließ, um Siegfried zu den Rheintöchtern zu führen, da diese ihm die Bedeutung des Ringes sagen müssen um ihm somit die spirituelle Kraft des Ringes zu geben, damit allerdings auch den Fluch, auf Grund dessen Hagen sein Werk tun kann. Aus Siegfried wissen wir, dass sowohl Alberich als auch Wotan als Albe bezeichnet werden, damit auf eine in den Urgründen liegende Gemeinsamkeit der beiden hinweisend. Es ist unwahrscheinlich, dass Alberich dies inszeniert haben sollte, da er befürchten müsste, dass Siegfried den Ring an die Rheintöchter zurückgibt. Um die Fragen spiritueller Bedingungen des Ringes hat er sich niemals Gedanken gemacht, da sie ihm zu Eigen waren. Wotans „großer Gedanke" aus dem Rheingold, bei dem erstmalig das Schwertmotiv erklingt, zerfällt hier auch musikalisch. Nur das Anfangsintervall, die Quarte, die ebenfalls mit dem Anfang des Siegfried-Motivs gleichgesetzt werden kann, erklingt hier noch, dafür aber gleichsam in eine Pause hinein und das zweite Mal nur noch gestopft, wie verzweifelt mit sforzato. Der verlorene Rest einer „großen Idee".

Schließlich ist das mystische Moment, in dem die Hand des toten Siegfrieds sich plötzlich noch einmal mit dem Ring „drohend empor" hebt und so die Übernahme des Ringes durch Hagen verhindert, auch nur mit einer göttlichen Macht zu erklären. Wer anders als Wotan kann diese letzte Handlung lenken, um zu verhindern, dass der Ring in die Hände des „Bösen" gelangt, in die Hand dessen, dem der Ring durch „erzwungene Eide" scheinbar zusteht? Musikalisch lässt sich diese Theorie einfach untermauern: In dem beschriebenen Moment erscheint noch einmal „ - zum letzten Mal -" das Schwertmotiv, welches erstmals im Rheingold bei Wotans „großem Gedanken" als seine Idee des „freien Helden" auftaucht. Hier verbindet Wagner dieses glanzvolle Motiv unmittelbar mit dem Götterdämmerungsmotiv: Wotans große Idee ist gescheitert und zum Untergang verurteilt und Wotan ruft diesen Untergang herbei. Interessant dabei ist, dass er das Götterdämmerungsmotiv hier mit einer Triole variiert. Wenn wir die wesentlichen „weiblichen" Motive im Ring betrachten, so fällt auf, dass sie fast ausnahmslos in ungeraden Taktarten stehen, während die männlichen nahezu alle in geraden Taktarten stehen. (Nur Mime macht logischerweise eine Ausnahme, wenn er den Mutteranspruch an Siegfried deutlich machen will). Möglicherweise wollte Wagner damit auch die unmittelbar danach auftretende Brünnhilde als diejenige musikalisch umschreiben, die mit ihrem Opfer- und Liebestod als Hoffnungsfigur aus dem Untergang hervorgeht. Im Schlussgesang der Brünnhilde wird das Ganze noch deutlicher. Sie hat nicht nur den Ring von Siegfried zurückgeerbt, sondern auch ihr göttliches Wissen, was sie wie wir aus Siegfried wissen, mit der Liebe gleichsetzt. Sie singt „Alles weiß ich, - Alles ward mir nun frei. Auch deine Raben hör´ ich rauschen mit bang ersehnter Botschaft send´ ich die beiden nun heim. -" Sie erkennt die Raben, nachdem sie ihr Wissen zurückgeerbt hat, aber eben erst jetzt, als die Vögel Wotans und beschreibt in ihrer Formulierung, was Wotan mit zwiespältigem Gefühl nun erwartet: Er hat die Scheite aus der Weltesche um Walhall für das große vernichtende Feuer aufschichten lassen, den Brand kann und soll aber nur derjenige als endgültigen Schluss unter seine Herrschaftsgedanken legen, der gleichzeitig eine andere Alternative für das Weiterbestehen der Welt anbietet: Brünnhilde, die durch das Zeichen der Liebe im Tod nicht nur den Ring von seinem Fluch erlöst, der die Macht durch Unterdrückung und Mord symbolisiert, sondern auch die Macht Wotans, die auf Verträgen beruhte. Er selbst hatte sich dem Siechtum und absehbaren Tod bereits ergeben, da er die lebensverlängernden Äpfel von Freia nicht mehr zu sich nimmt. Brünnhilde singt, wenn sie das Feuer entzündet, welches sie mit Siegfried im Tod in Liebe vereinen wird und gleichzeitig ganz Walhall mit vernichtet, dann auch folgerichtig: „Fliegt heim, ihr Raben! Raunt es eurem Herren, was hier am Rhein ihr gehört! -" Dass die Raben als Augen Wotans das Geschehen bis zu Brünnhildes Sprung mit ihrem Pferd Grane in die Flammen beobachten, zeigt eine kleine Regieanweisung: „Zwei Raben sind vom Felsen am Ufer aufgeflogen und verschwinden nach dem Hintergrunde." Nur die Liebe ist die Alternative zu Macht und Verträgen und kann die Welt von ihrem Leid befreien. So beschreibt Wagner musikalisch genau, was viele Interpreten allerdings nicht beachten, da sie es im Gegensatz zu Wagners Willen nicht ineinander verweben sondern gegeneinander absetzen: Aus dem Götterdämmerungsmotiv erscheint zunächst unhörbar das Liebeserlösungsmotiv. Die Hoffnung ist zart und blüht aus dem Untergang hervor. Der Untergang war notwendig, um mit Brünnhildes Liebe und Weltkenntnis etwas Neues aufzubauen. Mit dieser Hoffnung bleibt der Hörer zurück.

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