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Das Opernglas, 20. July 2007
Das Opernglas 7/8 2007
Wagner-Tipps

Bei der Uraufführung von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ 1876 in Bayreuth haben dem Komponisten 4 Assistenten zur Seite gestanden: Porges, Levi, Mottl und Kniese. Jeder hat minutiös in seinem Notenmaterial Anmerkungen und Interpretationsanweisungen des Meisters notiert, die längst nicht alle in die Drucklegungen des Notenmaterials eingeflossen sind. Ohnehin war Wagner sehr sparsam mit Anweisungen zur Dynamik, Artikulation und Phrasierung. Er wollte einen Dialogstil, deutlich in der Artikulierung und den Einsatz von Portamenti, wie er beispielsweise Hundings markante Frage „Du labtest ihn?“ noch bedrohlicher erscheinen lässt, nur in bestimmten sinnhaften Situationen. Ansonsten weisen die Eintragungen der Mitarbeiter übereinstimmend vor allem immer wieder ein bestimmtes Ziel auf: den Bezug von Dynamik, Agogik, Tempo und Ausdruck zu schaffen. Am besten zu erreichen, durch peinliches Vermeiden von zu langsamem und schleppendem Singen. Leichter gesagt als getan, wenn man sich einmal Sieglindes erklärtermaßen tief und unbequem für einen Sopran liegendes „ein Greis im grauen Gewand“ aus dem ersten Akt der „Walküre“ ins Gedächtnis ruft, aber durchaus nachvollziehbar, wenn man sich Hartmut Haenchens Ausführung in den Booklets zu der ersten auf dieser neuen Wagner-Gesamtausgabe basierenden „Ring“-Einspielung widmet.
Allein für die „Walküre“ und „Siegfried“ sind 715 Bemerkungen überliefert, 208 davon verlangen schnellere Tempi, als sie vom Uraufführungsdirigenten Hans Richter realisiert wurden. Dass der im „Super Audio Surround System“ 2004 und 2005 produzierte und in vier reich bebilderten und optisch sehr aparten Boxen (Vertrieb: Codaex Deutschland oder www.dno.nl) neue „Ring“ aus Amsterdam diesen theoretischen Ansatz auch praktisch umsetzt, wirkt recht glaubhaft mit dem Ergebnis einer mit Tributen wie flüssig, kompakt oder ähnlichem nur sehr unzureichend nahezukommenden Klassifizierung. Vielleicht hatte sich auch nur alles sehr gut gefügt, waren doch Haenchens Dirigat von Pierre Audis ungewöhnlicher szenischen Lösung (das Bühnenbild umrahmt sozusagen den Orchestergraben und ist in das Parket des Het Muziektheater Amsterdam hineingebaut) und die inzwischen gesammelten Aufführungserfahrungen von zyklischen Aufführungen mit einer versierten Besetzung (eine ältere DVD-Produktion mit teilweise abweichender Besetzung war bereits vorangegangen) nicht die schlechtestes Grundlage für die Aufnahmen. Musikalische Sorgfalt herrscht, wo man hineinhört: ein brillantes Nederlands Philharmonisch Orkest und ein tolle Besetzung. Bayreuths aktuelle Brünnhilde Linda Watson wirkt souverän, farben- und abwechslungsreich in allen drei Opern. Albert Dohmen ist ein herrlicher Wotan, Stig Andersen ein stimmlich wendiger Siegfried. Auch die weiteren Rollenbesetzungen sind prominent: Michaela Kaune als Freia, Chris Merrit als Loge, Doris Soffel als Fricka, Frode Olsen (Fasolt), Kurt Rydl (Hunding und Hagen) oder Charlotte Margiono (Sieglinde) – Wagners Riesenopus narrativ und kompakt, dem Medium alle Ehre machend.
M.Lehnert