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Der Spiegel, 04. June 2011
Der Spiegel, 4. Juni 2011

Operninszenierungen im DVD-Format können leicht auf langweilige Bilderfolgen zusammenschnurren. Wie man es besser macht, zeigt eine Aufnahme von Richard Wagners "Fliegendem Holländer" aus Amsterdam. Allerdings schippern die Seemänner hier in ungewohnten Regie-Wassern.

Das Meer! Gleich rauschen uns die Wellen entgegen, wenn die DVD von Richard Wagners "Der fliegende Holländer" startet. Bei der Menüwahl und der Ouvertüre tost und braust es, allerdings schwarz-weiß verfremdet, es regnet und stürmt, und das Orchester erscheint erst einmal nur fragmentarisch in den schnell geschnittenen Bildern. Das wird kein "Holländer" von der DVD-Stange, so viel ist schnell sicher.

Kein Wunder, denn die Oper inszenierte Martin Kušej 2010 in Amsterdam, und der bürstet Opernstoffe gerne gegen den Strich. Da mussten sich auch die Produzenten dieser Fassung (Joost Honselaar, Coby Van Dijck) Kušej anpassen. Kušej wäre ja vor Jahren fast einmal in Bayreuth gelandet, doch seine technisch ausgefallenen Regie-Ideen verschreckten den damaligen Chef Wolfgang Wagner derart, dass man lieber auf seine Dienste verzichtete. Keinen Kušej-"Parsifal" gab es 2004, dafür holte man Schlingensief.
Im Amsterdam stellte Martin Kušej einen "Holländer" auf die Bühne, der wenig mit Seefahrer-Romantik und den märchenhaften Zügen des Stoffes zu tun hatte, sondern eher nach tieferen Seelen-Schichten und aktuellen Bezügen buddelte. Das geht bunt los: Erst einmal kein Schiff, kein Riff, kein Segel, dafür so etwas wie eine gestrandete Kreuzfahrt-Besatzung, grelle Klamotten und Reisetaschen, alle nass, frisch und forsch. Ein Matrosen-Chor wie eine Reisegesellschaft unter Stress. Dazu ein Kapitän Daland, der mit Sonnenbrille und weißem Anzug ganz auf eine Mixtur aus Traumschiff-Kapitän und Yacht-Millionär gestylt ist. Das Ganze wirbelt auf einer in ihrer Tiefe zweigeteilten Bühne herum, deren Mitte der Eingang eines Bürohauses teilt. Glastüren als Weltentrenner von Daland und Holländer. Wasser taucht später nur als Pool-Befüllung auf, mehr Meer gibt es nicht - erst ganz am Schluss, als monochromes Panoramabild.

Meer ist nicht drin

Die Bühne baute wieder Martin Zehetgruber, ein langjähriger Mitstreiter von Kušej, der sich bestens auf die Ideen seines Kompagnons versteht. (Beide verbindet auch die 1989 von ihnen gegründete Produktionsgemeinschaft "My Friend Martin.")

Auch Kostümbildnerin Heide Kastler gehört zu diesem festen Team, und ihre Entwürfe prägen die Amsterdamer Inszenierung ebenso wie Regie und Musik. Die schwarze Crew des Holländers streift wie eine Ghetto-Gang in Hoodies über die Bühne, der düstere Chef auf der Suche nach seiner Erlösung trägt ebenso Schwarz, was den statuesken, riesigen und für diese Rolle idealen Juha Uusitalo noch bedrohlicher erscheinen lässt: ein trauriger, böser Riese mit mächtiger Stimme. Der finnische Bassist erfüllt die Rolle buchstäblich nach Maß, ein Wagner-Sänger aus dem Bilderbuch, auch seine Wotan-Interpretation gilt als Weltklasse.

Für die vom Vater als Holländer-Erlöserin eingeplante Senta ließ sich Kastler eine gleichfalls schwarze, lange Robe einfallen, deren edle Schlichtheit sogleich die Beziehung zum Holländer unterstreicht, die ja eben nur oberflächlich von ähnlichen Motiven getragen wird. Auch Senta ist ein Fremdkörper in ihrer Welt, sie kontrastiert optisch und gestisch heftig zur biederen Bürgerlichkeit ihrer Gesellschaft, die Kušej als Wellness-Spa darstellt. Da wird gebadet, massiert, gecremt und gestylt. Spinnstube ade - man vermisst sie nicht wirklich.

Allein wie die US-Amerikanerin Catherine Naglestad diese herbe, melancholische Senta singt, das hat fast Ibsen-Zuschnitt. Sie macht mit glänzendem Sopran und einfühlsamer Gestaltung aus ihrer Rolle eine bewegende, manchmal abgründige Studie.

Liebes- und Lebensqualen

Zu jeder Minute der DVD besticht hierbei die Kameraführung, die nicht allein der Dramaturgie, sondern dem Geist und Stil der Inszenierung folgt und die Leistungen der Akteure besser sichtbar macht, als es jede Theatervorstellung kann. Robert Lloyd bleibt mit seinem sauber gesungenen Daland darstellerisch etwas zurück, aber dafür windet sich der abgewiesene Senta-Verehrer Erik, Marco Jentzsch, unterkühlt und überzeugend in allen Liebes- und Lebensqualen, ganz wie in einer Kušej-Theaterinszenierung.

Mit dem in Dresden geborenen Hartmut Haenchen steht nicht nur ein Amsterdam-erfahrener Dirigent am Pult (er leitete das dortige Opernorchester von 1986 bis 1999), sondern auch ein Kenner des deutschen Bühnenrepertoires. Er studierte in seinen Jugendjahren Wagner-Interpretationen in Bayreuth und begann seine Karriere in Halle und Dresden. Sein "Holländer" strotzt vor Kraft, doch bei allen Druckwellen des Orchesterklanges schafft Haenchen stets klare Konturen und differenzierte Dynamik. Ein solcher, Kušej-geprägter "Holländer" ist sicher nicht jedermanns Sache, aber allein als Dokument einer gelungenen Zusammenarbeit lohnt sich diese DVD schon - und als Beispiel für vorbildlichen Umgang mit dem Medium.
Werner Theurich