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taz, 30. April 2014
Elegantes Leiden
Der 300. Geburtstag Carl Philipp Emanuel Bachs war zwar schon am 8. März, wirkt aber immer noch nach. An genau dem Tag entstand nämlich die Aufnahme eines Konzerts, mit dem das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach und der Rias-Kammerchor dieses Jubiläum gemeinsam im Konzerthaus begingen. Mit einem Werk des Bach-Sohns, der ganz allmählich wieder etwas an seinen früheren Ruhm anknüpft, der zu Lebzeiten größer war als der seines Vaters Johann Sebastian.
"Die letzten Leiden des Erlösers" ist eine Passionskantate in der Tradition der großen Barock-Passionen, die man in erster Linie mit dem Namen Johann Sebastian Bach verbindet. Doch bei Carl Philipp Emanuel wird, für diese Art Chormusik untypisch, kein Bibeltext aus einem der vier Evangelien vertont, stattdessen gibt es rein "zeitgenössische" Poesie des 18. Jahrhunderts, in diesem Fall der Dichterin Anna Louisa Karsch.
Passionen nach dem Muster seines Vaters hatte Bach in seiner Zeit als Hamburger Musikdirektor und Kantor zu Ostern ebenfalls liefern müssen. Mehr als 20 Passionsmusiken verfasste Carl Philipp Emanuel, wobei er darin oft nicht nur sich selbst, sondern auch die Stücke geschätzter Kollegen verwendete. Eine Art Proto-Sampling - selbst ein "Originalgenie" geht mitunter pragmatisch vor.
In der abendfüllenden Kantate "Die letzten Leiden des Erlösers" gestattete er sich diese Arbeitserleichterungen nicht. Bach schrieb eine elegante Passionsmusik, in der man nur wenig dicht gewirkten Kontrapunkt, dafür umso mehr schlanke Orchesterpassagen und federnde Melodien hört. Sowohl Chor als auch Orchester wahren den feinen Charakter der Musik mit perfekter Intonation und transparenten Stimmen. Unter den stark besetzten Solisten ragt besonders die Sopranistin Christina Landshamer heraus.
Diese Einspielung, von Deutschlandradio Kultur aufgezeichnet, dokumentiert zugleich eines der letzten Konzerte des Kammerorchesters Carl Philipp Emanuel Bach, das der Dirigent Hartmut Haenchen fast 35 Jahre leitete. Zunächst als Orchester für Neue Musik in der DDR gegründet, spezialisierte es sich mit der Zeit vornehmlich auf seinen Namengeber und die Barockmusik. Förderung erhält das Ensemble keine, und jetzt können die Beteiligten die anfallenden Kosten nicht mehr tragen. Ein letztes Konzert findet am 1. Mai im Konzerthaus statt.
TIM CASPAR BOEHME