Opera

Sächsische Zeitung, 05. October 2000
So fern und doch so nah

Von Joachim Lange

Hartmut Haenchen entdeckt Karol Szymanowskis "König Roger" für Amsterdam

Von einem Ereignis ist wieder einmal aus Amsterdam zu berichten. Der langjährige musikalische Chef des dortigen Opernhauses und möglicher Intendant der Dresdner Musikfestspiele ab 2003, Hartmut Haenchen, machte, nach Richard Strauss` spätem "Capriccio" zum Saisonstart, nun Karol Szymanowskis (1882 - 1937) mysterienartige Oper "König Roger" (1926) zu einem Abend von Rang.

Die Musik ist auf eine betörende Weise fremd und europäisch zugleich. In die Welt des normannischen Königs Roger bricht der Künder einer fremden dionysischen Religion ein. Er verunsichert und fasziniert durch den offensichtlichen Gegensatz zur herrschenden erstarrten Orthodoxie zunächst die Frau des Königs, Roxane, bis schließlich auch Roger sein Amt und sein bisheriges Leben verlässt.

In Johannes Schaafs Inszenierung in Amsterdam endet die existenzielle Verunsicherung Rogers sogar mit Selbstmord. Er hat keine Chance zur Suche nach einer neuen Lebensmitte.

Das Aufeinandertreffen der verschiedenen Kulturen, das auf Euripides Bakchen zurückgeht, aber nicht in einem so blutrünstigen Exzess wie in den in Dresden auch zu sehenden "Bassariden" von Henze mündet, ist bei Szymankowski vor allem zu hören. Und die atmosphärischen Klangfarben sind von der mediteranen Gefühlslage des europäischen Polen Szymanowski genauso geprägt wie von der Faszination des nachhallenden Klangrausches des 19. Jahrhunderts.

Fremdartig schillernde Musik mit Sogwirkung

Es ist wohl mehr die oratische, fast pathetische, sich nur gelegentlich aufbäumende Geste, die der Oper das Bühnenleben schwer macht. An der Originalität und Verführungskraft des Klangsoges und der fremdartig schillernden und doch vertraut wirkenden Farbigkeit der Musik kann es kaum liegen. Und die entfaltet Haenchen, diesmal nicht mit "seinem" Philharmonischen Orchester, sondern mit dem Residenz Orchester, das eines der holländischen Orchester ist, die die Oper bespielen. Er entfaltet die Sogwirkung der zelebrierenden Geste des Rituals mit all der farbigen Klangfülle, homogen und doch irrisierend umspielt. Er ist dabei gezügelt und hochkultiviert auch noch im Auftrumpfen des Orchesters. Dazu ein mit Sorgfalt bis in die kleinen Rollen hinein besetztes Sängerensemble. Als König Roger steht James Johnson die stimmliche Kraft einer existenziellen Verzweiflung mühelos zu Gebote. Stets an seiner Seite der skeptisch wache Berater Edrisi des eloquenten Douglas Nasrawian. Einen geradezu betörend sinnlich weiten Klang bis in die entschwindenden Vokalisen hinein verströmt Brigitte Hahn als Roxane, und der zunächst wie Johann aufkreuzende Verkünder der neuen Lehre erhält durch Piotr Beczalas tenoralen Schmelz ein höchst glaubwürdiges Verführungspotenzial.Im Grunde zeigt Schaaf nah an der erzählten Geschichte entlang, das Aufeinandertreffen der verschiedenen geistig atmosphärischen Kreise und die existenzielle Lebenskrise Rogers. Er markiert das Zeitlose von Zweifeln durch gegenwärtigen Anzüge, in die er Roger und Edrisi steckt. Die Dionysosfigur des Hirten sieht am Ende aus wie der König. Sie ist sein Alter ego. Als der verschwindet, setzt der König seinem Leben auf einer Plattform aus Grabsteinen ein Ende.