Opera

Leipziger Volkszeitung, 25. March 2002
Wagner mit fabelhaft filigranem Orchester

Einen anderen "Tristan" hatte Hartmut Haenchen, designierter Intendant der Dresdner Musikfestspiele, für die sonntägliche Wiederaufnahme in Leipzig versprochen. Und er hat Wort gehalten. Seine Rückbesinnung auf des Komponisten eigenhändige Korrekturen, die kaum Einzug in die Praxis fanden, wirkt Wunder. Die wuchernde Chromatik, das dichte Geflecht der Leitmotive, beides normalerweise zugekleistert mit pastosem Getöse, liegt mit einem Mal offen, durchhörbar, differenziert, dynamisch ausgefeilt, verständlich vor dem Ohr des Zuhörers.

So mit lieb gewonnenen Dirigier Spiel-, Hörerfahrungen zu brechen, ist für sich schon aller Achtung wert. Bedenkt man aber die wenigen (sechs) Orchesterproben und den Krankenstand des Gewandhausorchesters, wird diese Leistung zum kleinen Wunder. Keine Frage: Da steht ein Dirigent im Graben, der Kompromisse scheut wie der Teufel das Weihwasser. Und die im Graben viel gescholtene Kapelle zieht mit. Beinahe kammermusikalisch fächern sich da die Motive auf. Und fehlt die emotionale Wucht nicht. Aber Haenchen teilt sie ein, streng die Großarchitektur dieser gigantischen Vokalsinfonie in drei Sätzen achtend.

So bekommt das immer wieder gern zerschmachtete Vorspiel ganz andere Statur. Weil es eben nur einen Höhepunkt gibt und nicht deren kleine im Dutzend. Und diese Klarheit im Wollen und im Klingen zieht sich durch die ganzen knapp fünf Stunden. Dafür springt das Publikum am Ende von den Stühlen, und schon nach den Pausen ist den zunächst rund 800 Klatschern im Saal klar, dass in diesem "Tristan" Dirigent und Orchester Hauptpersonen sind.

Die Inszenierung Willy Deckers, der sich in Wolfgang Gussmanns Bühne und Kostümen von mittelalterlicher Zaubertrank-Naivität über den emotionalen Überschwang des 19. zur expressionistischen Tödlichkeit des 20. arbeitet, hat in den knapp fünf Jahren seit der Premiere nichts von seiner bedeutungsschweren Ereignislosigkeit verloren. Muss man nicht gesehen haben aber gehört haben sollte man ihn unbedingt, diesen so neuen alten "Tristan".

Peter Korfmacher