Opera

Die Zeit, 28. July 2017
... Donnernder Applaus vor allem für die Sänger und die Musiker unter Dirigent Hartmut Haenchen.
Ganze Rezension
Die Zeit, 26. July 2016
"...während es hoffentlich ein Wiederhören mit dem Pult-Einspringer Hartmut Haenchen gibt. Haben die tragischen Umstände in diesem Jahr das "Fest" aus Wagners Bühnenweihfestspiel getilgt, streicht der 73-jährige Maestro von sich aus komplett die "Weihe". Sein Dirigat zielt auf keinen esoterischen Gewinn, es ist stark und eigensinnig ganz dem dramatischen Erzählen verpflichtet, nicht der kontemplativen Ausdeutung des Geschehens.
Für einen Regisseur, der weiß, was er tut, wäre Haenchen der ideale Partner. Er schleppt nie und hält dabei engsten Kontakt zum phänomenalen Gurnemanz von Georg Zeppenfeld, der dieser oft betulichen Rolle eine neue Dimension an Vergegenwärtigung abgewinnt. Vieles macht Haenchen hörbar, doch die feine Balance macht nicht vergessen, dass er auch an die dynamischen Grenzen seines tiefen Orchestergrabens stößt. Wie der hochgewachsene Dirigent selbst zuerst an Wagners Schalldeckel. So befreiend dieser konsequente Ansatz klingt, mit der Zeit wird deutlich, dass die Übernahme nach dem Abgang von Andris Nelsons schon sehr schnell gehen musste. Richtig spannend würde es, wenn Haenchen mit den Sängern und Musikern nun die Stellen findet, an denen sich auch einmal Emotionalität in der Musik zeigen darf. Das würde Lust darauf machen, diesem Parsifal wieder zu begegnen.
Ulrich Amling
Ganze Rezension
Die Zeit, 06. February 2011
Gefesselt im Aquarium
Der skandalumwitterte italienische Theatermacher Romeo Castellucci hat Wagners "Parsifal" in Brüssel als surrealen Alptraum auf die Bühne gebracht.

Wenn sich Regisseure unter die erhabene Kuppel von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal wagen, kann es ihnen leicht passieren, dass sie Beklemmungen kriegen. Sie fühlen sich dann wie umstellt von der Gralsrittergemeinschaft und den Objekten ihres Reliquienkults. Sie sollen erklären, was es mit dem Gral und dem Liebesmahl unter keuschen Männern auf sich hat, sollen Bilder finden für Kelch und Speer, sollen sich zu ominösen Rätselworten verhalten wie der Schlussformel »Erlösung dem Erlöser!« und Theater und Ritual in Einklang bringen. Da kann man den Impuls nachvollziehen, den ganzen hochheiligen Symbolplunder einfach mal abzuräumen. Zumal es Wagners Musik gibt, die sich in ihrer Weite des Denkens über alle Bühnenkonkretion erhebt. In einem Zustand immerwährender Verwandlung und Umwälzung bewegt sie sich wie ein Bewusstseinsstrom, der von Erinnertem, Gegenwärtigem und Zukünftigem gleichzeitig zu erzählen scheint
Radikale Parsifal -Entleerungen gab es in der Inszenierungsgeschichte des Stücks immer wieder, von Wieland Wagner in Neu-Bayreuth bis zu Bob Wilson. Die Erlösungssehnsucht, die der Musik innewohnt, lässt sich eben auch auf das Theatralische beziehen. Schließlich hat Richard Wagner selbst einmal davon geträumt, nach dem unsichtbaren Orchester auch noch das unsichtbare Theater zu erfinden. Am Brüsseler Opernhaus ist nun erneut ein Regisseur angetreten, »den Parsifal zu vergessen, um ihn neu zu finden«. Er heißt Romeo Castellucci und versucht sich zum ersten Mal an der großen Opernform. Dem von der bildenden Kunst kommenden Italiener eilt mit 51 Jahren immer noch der Ruf eines skandalumwitterten Theatermachers voraus. Vor zwei Jahren hat er eine hochgelobte Inszenierung von Dantes Comedia auf die Bühne des Freilichttheaters von Avignon gebracht, in der er in der Eröffnungsszene an die Rampe trat, sich mit seinem Namen vorstellte – und anschließend von zwanzig zähnefletschenden Hunden anfallen ließ.
Im Programmheft erklärt er: »Auge in Auge mit Parsifal, habe ich versucht alles zu vergessen, was ich weiß. Ich habe die Augen geschlossen und die Musik einmal, zwanzigmal, hundertmal gehört. Dann habe ich geschlafen und Parsifal in einem Zustand totaler Amnesie neu geschaffen.«
Castellucci hat in seinem Parsifal -Traum nicht des »höchsten Heiles Wunder« gesehen, sondern eine flackernde Untergangsvision – angstbesetzte Männer in einem Urwald, Naturzerstörung, Quällustfantasien und die Einsamkeit des Einzelnen in der Masse. Manchmal hat Castellucci auch gar nichts gesehen. So identifikatorisch begibt er sich in die Position des reinen Regie-Toren, dass er Gurnemanz wörtlich nimmt, der auf die Frage, was der Gral sei, antwortet: »Das sagt sich nicht.« Zu den feierlichen Klängen der Gralsenthüllung fährt ein weißer, leuchtender Bühnenvorhang herab, auf dem als Sinnbild des Verschweigens nichts als ein großer Apostroph zu sehen ist.

Parsifal taugt nicht zum Erlöser, er bleibt am Ende einsam zurück
Es gibt auch einen Schäferhund in seiner Inszenierung, der unverwandt, gleichsam im Zustand heiligen Nichtwissens auf der Bühne umherblickt – ein reiner Tor. Und es gibt eine weiße, lebende Schlange, die eklig an Kundrys Arm sich windend und züngelnd Metapher genug ist für alle Sündengefahr, die den Gralsbezirk bedroht.
Castelluccis Bilder sind von fiebernder Intensität. Der erste Aufzug spielt im undurchdringlichsten Walddickicht, das man je auf einer Bühne gesehen hat. Ein düsterer Dschungel, in dem die Gralsritter in ihren Tarnmonturen allenfalls schemenhaft zu erkennen sind. Es scheint, als sängen die Bäume und Blätter selbst. Von dieser Urnatur, die Parsifal als moderner Alltagsmensch betritt, ist am Ende des Aktes nichts mehr übrig. Sie weicht vor einer sich grausam von oben herabsenkenden Neonlichtwand zurück. Schließlich stehen nur noch Waldarbeiter in orangefarbener Arbeitskleidung mit langen Kettensägen im leeren Raum.

Der Klingsor-Akt spielt in einem milchig- weißen Giftaquarium. Schriftzüge auf dem Gazevorhang referieren die toxische, tödliche Wirkung der ausgeströmten Substanzen. Wie Kopffüßler von Hieronymus Bosch trippeln artistisch verbogene Kreaturen umher. Der impotente Klingsor, der die apokalyptische Szenerie als Maestro im Frack dirigiert, lebt seine perverse Lust in Form von Bondageritualen aus. Er lässt die Gliedmaßen nackter Frauen verrenken und fixieren. Kopfunter schweben sie bizarr verschnürt im Raum. Tief schneiden die Schnüre ins Fleisch. Somnambul taumelt Parsifal durch diesen Horrortrip und beginnt nach dem welthellsichtig machenden Kuss den Frauen die Fesseln zu lösen.

Der letzte Akt vollzieht sich beinah bildlos. Parsifals Weg führt von der untergegangenen Natur und der Hölle der Triebe in eine große Leere. Der Bühnenkasten ist nun schwarz und kahl. Lediglich eine auf den Kopf gestellte Großstadtsilhouette lädt als optisches Zeichen den Raum noch mit Bedeutung auf. Castellucci setzt über den ganzen Akt hinweg nur noch eine einzige obsessive Idee in Szene: Eine anonyme Menschenmenge formiert sich und beginnt (mit dem Anheben des Karfreitagszaubers) endlos zu schreiten. Zeitweise hat man als Zuschauer das Gefühl, einem hoffnungsvollen Marsch ins Offene beizuwohnen, wenn die Menschen – Parsifal, Gurnemanz, Amfortas und Kundry sind unter ihnen – mit erhobenem Kinn und festem Blick in die Ferne sich an der Rampe bewegen. Aber am Ende steht doch nur eine Geste der Vergeblichkeit. Parsifal taugt nicht zum Gemeinschaftsstifter. Die Menge verläuft sich. Alleine und einsam bleibt er zurück.

Man kann gegen diesen Brüsseler Parsifal gewiss alles Mögliche einwenden: dass sie sich von Wagners Intention zu weit entfernt, , dass die Visionen insgesamt zu statisch und tableauhaft sind und nur sich selbst genügen. Dennoch kann man sich dem Sog dieses Abends nicht entziehen. Da kann Hartmut Haenchen das Brüsseler Opernorchester noch so ordentlich dirigieren und die Sängerbesetzung mit Anna Larsson als Kundry, Jan Hendrik Rootering als Gurnemanz und Andrew Richards als Parsifal noch so respektabel ausfallen. Es sind Castelluccis Traumaquarien, die man nicht so schnell vergisst.
Die Zeit, 14. September 1990
Die Musik muß also nicht alles, aber sie kann vieles übernehmen. Und auch hier existiert die Alternative. Wer will, mag sich an Hartmut Haenchens Bereitschaft zu sehr gelassenen Tempi halten und den romantischen Klang genießen des in jeder einzelnen Stimme sichtbaren und, in den Solopassagen von Holzbläsern wie Pauken, exzellenten oder, in den Gruppen von Blech und Streichern, sehr schön homogenen Orchesters; kann die sonoren Töne von Wolfgang Schöne (Amfortas) und Jan-Hendrik Rootering (Gurnemanz) goutieren oder befriedigt registrieren, daß mit Barry McCauley die knappe Reihe von Parsifal-Stimmen verjüngt aufgebessert wird. Aber auch hier sind die Zwischentöne entscheidend für unser erlebendes und vorstellendes Hören: die das kultisch-triumphale Pathos vermeiden; die sich nicht eindeutig assoziativ vordrängen; die Raum und Zeit lassen zu internationalem Hören auf horizontale wie vertikale Klang-Ereignisse; die Zitate erkennbar machen und Parallelen, Verweise auch auf synästhetische Bezüge und Gedankensprünge.