Interview-Verzeichnis Presse

25. Juli 2016 · Berliner Zeitung

Parsifal in Bayreuth

Über Vergangenes und Gegenwärtiges mit "Parsifal"

Wo

hat Katharina Wagner Sie denn erreicht?

 

Ich war an der Ostsee in Vorpommern, um mich

zwei Wochen auf die kommende Saison vorzubereiten. Diesen Koffer habe ich

unausgepackt nach Bayreuth mitgenommen. Die Arbeit werde ich teilweise zwischen den

Vorstellungen erledigen.

 

Die

Süddeutsche Zeitung hat Sie als "Erlöser" betitelt

Als Zitat aus Parsifal. Es gibt doch immer 

irgendeinen Kollegen, der es machen kann oder will. Auch ich musste schon mal Dirigate absagen und jemand

anderes ist eingesprungen. Ich kenne solche Situationen, auch wenn ich jetzt

nicht über Herrn Nelsons nachdenken will. Natürlich werde ich hier mit dem

Geschehen konfrontiert oder auch eingeweiht, aber das ist nicht mein Thema.

 

Wie

bewältigen Sie die Klangproblematik zwischen Orchestergraben und Saal? 

 

Ich habe Parsifal schon  an einigen großen

Häusern in Europa gemacht. Mein Assistent gibt mir hier per Telefon aus dem Saal ein Feedback wie es klingt. 

 

Haben

Sie vorher Bedingungen gestellt?

 

Ja, dass aus meinem

von mir nach neuesten Erkenntnissen eingerichtetes Orchestermaterial gespielt

wird und mein Assistent Walter Althammer mit mir arbeitet. Ich

weiß was ich will. Ich weiß wie mein Parsifal klingen soll und da kann mir

keiner reinreden. Ich bin aber auch nicht so, dass ich die Erfahrungen, die man hier in Bayreuth hat, in den

Wind schlage. Ich weiß natürlich durch meinen Assistenten, dass Herr Thielemann

mehrmals in meinen Proben war. Ich habe Kontakt mit ihm, unsere Garderoben

liegen nebeneinander. Wir haben ein paar Mal ganz kollegial miteinander über

prinzipielle Probleme des Hauses gesprochen.

 

Wie

viel konnte Sie denn in der kurzen Zeit noch verändern?

 

"Ich hatte zwölf Tage Probenzeit, an denen wir von früh bis spät

gearbeitet haben. Davon allerdings nur zwei Orchesterproben ohne Bühne. Dann waren wir schon auf

der Bühne mit den Sängern. Aber ich konnte zum Glück weiter mit den Solisten

arbeiten, um zu verfeinern."

 

Sie

dirigieren ja wohl mit mehr Tempo?

 

Ich habe eine andere Herangehensweise, die sich

auf die originalen Quellen

stützt. Das ist wie ein Puzzle aus 5000 Einzelteilen. Allein in der 1.

Violinstimme gibt es bei mir 300 Differenzen zu der hier üblichen Ausführung. Das ergibt ein anderes,

durchsichtigeres Klangbild. 

 

Das

stieß wohl bei den Musikern nicht nur auf Begeisterung?

 

Für die Musiker, die das Stück teilweise seit

20 Jahren hier spielen, ist es auch

eine Umstellung der Bewegungsabläufe.  Da muss ich natürlich Zugeständnisse

machen, aber wir sind auf einem guten Weg.  

 

Ist

das Engagement in Bayreuth ein Ritterschlag für Sie?

 

Die Königin der

Niederlande hat mich zum Ritter geschlagen. Ohne Bayreuth. Ich

habe den Parsifal schon an vielen

großen Opernhäusern in Europa dirigiert. Das besondere ist ja, dass Wagner den

Parsifal ausdrücklich für Bayreuth komponiert hat. Seine unglaubliche

räumliche Klangvorstellung, hat er

bis zum äußersten ausgekostet  Das macht es natürlich ganz besonders. 

 

Und

da kommt ausgerechnet in diesem Jahr die Kanzlerin nicht!

 

Die VIP-Liste ist für mein Dirigat nicht so

entscheidend. Im übrigens kommt Frau Merkel aber zu einer anderen Vorstellung.

 

Der

Spiegel hat sie abfällig als "Kapellmeister" bezeichnet. 

 

Für mich ist Kapellmeister eine Auszeichnung.

Das ist ein erstrebenswerter Titel. Es ist ja nur die Übersetzung

von Maestro di Capella. Ich finde es nicht schlecht wenn man sein Handwerk

kann.  Man kann mich mit Kapellmeister nicht beleidigen.

 

Wie

dürfen wir uns Ihren "unsichtbaren" Auftritt vorstellen?

 

Für mich mit 1,83 Meter ist der Deckel über dem

Dirigenten mit 20 Zentimeter Freiraum zu niedrig. Deshalb habe ich meinen

Spezialstuhl aus Amsterdam holen lassen. Der bewegt sich mit und bewahrt mich

vor den üblichen Rückenschmerzen unter denen Dirigenten oft leiden. Ansonsten

trage ich ein Hemd an Stelle des Frackes,

denn im Orchestergraben kann es

bis zu 37 Grad werden und

mich sieht ja niemand. 

 

Stimmt

es, dass der Parsifal in der DDR verboten war?

 

Die Partei wollte so einen christlichen Stoff

nicht auf dem Spielplan sehen. Erst Ende der 70er gab es in der Berliner

Staatsoper zwei Vorstellungen, die ich dirigieren durfte. Im Publikum saßen

aber nur Stasi-Leute, damit der normale Bürger nicht mit dem Parsifal in Berührung

kam.

 

Warum

hatten Sie Dirigierverbot?

 

Ich war Chefdirigent in Schwerin und sollte auf

einem Parteitag der SED von

Schostakowitschs 2. Sinfonie nur den Schlussteil mit dem Lenin-Text dirigieren.

Ich wollte aber die ganze Sinfonie spielen. Das hat mich meine Position

gekostet. Mein Vertrag mit der Komischen Oper, den ich schon geschlossen hatte,

wurde gekündigt und alle anderen Orchester der DDR sagten mir ab. Außerdem

wurde mein Pass eingezogen. 

 

Wovon

haben Sie dann gelebt?

 

Ich habe das Spielzeug meiner Kinder verkauft,

den Großteil meiner Bücher. Denn offiziell arbeitslos durfte man ja nicht sein.

Das ging von 1979 bis '83 so. 1986 durfte ich dann mit meiner Frau und den

Kindern ausreisen."