06. November 2011 · Stuttgart, Liederhalle, 11.00 Uhr
Richard Wagner: Tannhäuser-Ouverture; Bernd Alois Zimmermann: Sinfonie in einem Satz; Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 3
Staatsorchester Stuttgart
Pressestimmen
Sperrig und so richtig schön widerborstig
Hartmut Haenchen ist kein Dirigent, der es sich leicht macht mit der Musik, mit dem Musikbetrieb, mit dem Publikum. In einem Interview sagte er einmal: Ich habe ganz bewusst wesentliche Grundsätze der älteren Dirigenten-Generation für mich bewahrt, die heute schon den Charakter einer ausgestorbenen Spezies haben: an einem Platz, zu arbeiten, zu formen, aufzubauen und Klangkörper mit eigenem Charakter zu gestalten. Obwohl Haenchen also nicht den rasenden Roland gibt, von Podium zu Podium flitzend, mit dem Rollkoffer in der einen und dem Handy in der anderen Hand, ist er ein unermüdlicher, ein rastloser Arbeiter. Auch das ein unerschütterliches Prinzip dieses Dirigenten: Haenchen pflegt die spannungsreiche Kunst, dem Bekannten stets so zu begegnen, als sei es das Neue, das noch immer Unerhörte. Jetzt war Hartmut Haenchen am Pult des Staatsorchesters Stuttgart zu Gast, nach langer Zeit einmal wieder. Auf dem Programm, des Konzerts nur Musik, wie sie kontrastreicher kaum sein könnte, schöner sperrig und widerborstig aber auch nicht, schaut einer so klar und unerschrocken in die Partituren wie Hartmut Haenchen, prinzipienfest, aber nicht Prinzipien hätschelnd um ihrer selbst willen. Also hörte man die Ouvertüre zu Wagners "Tannhäuser'“ nicht als irgendwie harmonisch schwüles, lasziv verschwiemeltes Opus. Haenchen verlangte vom Staatsorchester äußerste Disziplin in der Ausgestaltung der bipolaren Anlage des Werks, das auf der einen Seite geprägt ist von einem kirchenmusikalisch verinnerlichten;
fast asketischen Tonfall, auf der anderen Seite ins Dionysische explodiert. Das geht zusammen, wenn dieser enorme Spannungsbogen eben so konsequent gehalten wird wie hier, jenseits von Detailverliebtem Pasticcio-Dirigieren und schlicht unanständig verharmlosender Warmingup-Performances.
Es folgte Bernd Alois Zimmermanns Sinfonie in einem Satz, in der zweiten Fassung aus dem Jahr 1953. Das Werk ist zugleich Retrospektive auf eine totgeglaubte Werkgattung und Abbild einer schmerzhaften intellektuellen Arbeit von
Zimmermann, der die Sinfonie nicht der Historie überantworten wollte. Wie der Komponist hier aus dem anfangs ins Offene schießenden Orchestertutti das schier katastrophisch zerfetzte Tonmaterial in Formprozesse zwingt, wie er all sein konstruktivistisches Können auf den Schliff von passgenauen musikalischen Formelementen verwendet, all das fordert in jedem Musiker den reinen Ästheten heraus. Haenchen und das Staatsorchester haben diese Herausforderung angenommen, mit akribisch schön polierten, fein ziselierten Klangflächen. Doch der Versuchung, einfach nur schön zu spielen, auch in den grimmig rhythmisierten Fortissimo-Passagen, mit denen Zimmermann seine nachgetragene Liebe zur sinfonischen Form auskomponierte, dieser Versuchung haben sie widerstanden.
Dann Bruckners dritte Sinfonie, in der dritten Fassung (1889), und also auch das Ergebnis einer langen schmerzhaften Auseinandersetzung mit dem Problem der Sinfonie. Was Zimmermann retrospektiv in etwa 17 Minuten verhandelt, umfasst bei Bruckner epische sechzig Minuten, einen ungeheuren Zeitraum, den Haenchen mit Verve und seinen Prinzipien treu gestaltete. Die Form war hier kein Ruhe-, sondern ein Spannungsbegriff und Melodie ist eine Folge des Rhythmus und nicht umgekehrt. Haenchen und das Staatsorchester Stuttgart verwendeten dafür ein mehr als nur sorgsam aufgefächertes dynamisches Spektrum sowie eine Klangfarbenpalette, wie sie schillernder kaum sein könnte. So faszinierend leicht wie tiefberührend wird dieser Klangmonolith nicht jeden Tag zur Aufführung gebracht.
Annette Eckerle
Stuttgarter Zeitung · 09. November 2011
Esslinger Zeitung, 7.11.2011 (wortgleich Cannstatter Zeitung)
Transzendierter Eros
Hartmut Haenchen musiziert Wagner, Zimmermann und Bruckner mit dem Stuttgarter Staatsorchester
Stuttgart - „Mönch als Dionysos“ lautet eines der originellen Mottos für die Sinfoniekonzerte des Staatsorchesters in dieser Spielzeit. Vordergründig bezieht es sich beim 2. Saisonprogramm auf Richard Wagners „Tannhäuser“-Ouvertüre. Wie die Musik hier zwischen frommem Pilgerchoral und Venusberg-Ekstasen zur Charakterisierung des Helden hin- und herschwingt, reißt die Spannung auf zwischen beiden Welten. Folgt man Hartmut Haenchens Wiedergabe im Beethovensaal, so ist er stark auf der Seite des französischen Dichters Baudelaire, der unter dem Eindruck der Pariser Aufführung „von Fieber und Angstanfällen zerrissene Wonnen“ diagnostizierte. Auch bei der Wiederkehr des Pilgerthemas flackert das Dionysische gewaltig, Wagners eigener Analyse eines „Jubels des aus dem Fluche der Unheiligkeit erlösten Venusberges“ mag man bei dieser Interpretation nicht so recht trauen.
Mit einem dionysischen Aufschrei des ganzen Orchesters setzt auch Bernd Alois Zimmermanns „Sinfonie in einem Satz“ von 1953 ein. Es ist ein faszinierend gewalttätiges Stück mit einem meditativen Andante im Zentrum, welches über zwei grelle Märsche von Schostakowitsch‘scher Expressivität ausstrahlt in kurze, apollinische Episoden, in denen Zimmermann einen irisierenden, fast statischen Klang erzeugt - vielleicht ein Reflex auf seine Philosophie der „Kugelgestalt der Zeit“, die sich in solchen Augenblicken zusammenfügt, während kaleidoskopartig spiegelbildlich zerstörte Vergangenheit und apokalyptische Zukunft sich davor und danach in erregter, explosiver Zerrissenheit mit äußerst effektvollen Kontrasten darstellen. Von Dirigent und Staatsorchester eine hoch differenzierte, überwältigende Wiedergabe, in der Zimmermanns „Soldaten“ schon wetterleuchteten.
In Anton Bruckners 3. Sinfonie sind die Gegensätze von einfachen melodischen Gedanken bis zu hoch komplexen Entwicklungen bis zum Extrem gespannt.
Untrüglicher Sinn für Proportionen
Die gipfelstürmenden Apotheosen sind hier noch nicht so geschichtet wie in seinen späteren Sinfonien. Doch schon das mächtige Unisono-Fanfarenthema zu Beginn des Kopfsatzes, das sich sofort prismatisch aufspreizt, die aufsteigende Chromatik und die choralartige Verklärung der folgenden Themenblöcke erzeugen ungeheure Kontrastwirkungen, die von Hartmut Haenchen mit untrüglichem Sinn für die Proportionen ausgeführt werden. Haenchens Fähigkeit, die Vielfalt der Orchesterstimmen in Bruckners epische Dramaturgie einzubinden, zeigt den Dresdener Dirigenten, der neben seiner umfangreichen Opern- und Konzerttätigkeit seit vielen Jahren das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach leitet, auch hier als differenzierenden Klanggestalter.
Zwischen Stillstand und Bewegung entfaltet sich, in immer neuen Aufschwüngen, das Andante, sehr tänzerisch nimmt Haenchen das Scherzo, dessen Ländler im Trio er gegenüber dem motorischen Kreisel des Hauptthemas breiter ausspielt. Schön, welche melodieselige Grazie er hier den Geigen entlockt, im umso schärferen Kontrast zu den um Taktbruchteile versetzten Unisono-Tutti der ekstatisch strahlenden Blechbläser. Von grandioser Geschlossenheit schließlich das Allegro-Finale, eine letzte Steigerung und Apotheose. Haenchens Bruckner-Interpretation hatte großes Format.
Dietholf Zerweck
Esslinger Zeitung · 07. November 2011
Stuttgarter Nachrichten, 7.11.2011
..."Hartmut Haenchen... musizierte diese Fassung (von Bruckners 3.) in ruhiger Klangentfaltung mit viel Liebe für dynamische und artikulatorische Details. Gleichwohl hielt der gebürtige Dresdner Haenchen auf geschmeidigen Fluss, Durchhörbarkeit und verzichtete zusammen mit dem souverän seinen strapaziösen Part absolvierenden Staatsorchester auf allen klanglichen Bombast.
Großer, dankbarer Applaus .....
Helmuth Fiedler
Stuttgarter Nachrichten · 07. November 2011