29. Mai 2008 · München, Gasteig, 20.00 Uhr
Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 80 d-moll; Béla Bartók: Herzog Blaubarts Burg
Münchner Philharmoniker
Lioba Braun (Mezzosopran), Rudolf Rosen (Bariton), Imre Kulcsár (Sprecher)
Pressestimmen
Süddeutsche Zeitung, 31.5./1.6.2008
Eindringlich
Philharmoniker/Haenchen
Dass konzertante Opernaufführungen oft nicht befriedigen können, liegt auf der Hand – der Bühnenhandlung beraubt, bleibt oft manches unverständlich. Sehr zu begrüßen waren da die bei der Aufführung von „Herzog Blaubarts Burg“ in der Philharmonie über dem Orchester angebrachte Übertitel. Diese Praxis sollte Schule machen.
Zwar verzichtet Béla Bartóks kurzes Stück weitgehend auf die äußere Handlungsentwicklung eine normalen Oper. Umso mehr spielt sich aber im Inneren der Protagonisten ab, wie die ausgesprochen intensiv musizierte Aufführung eindrucksvoll vorführte. Bariton Rudolf Rosen (Blaubart) und Mezzosopran Lioba Braun (Judith) deuteten das düstere, von der Entdeckung der Psychoanalyse beeinflusste Drama subtil aus und zeichneten das Verstörend-Beängstigende mit einer Vielzahl von Ausdrucksmöglichkeiten; den kurzen Prolog rezitierte eindringlich der ungarische Schauspieler Imre Kulcsár. Sie wurden ideal unterstützt von Dirigent Hartmut Haenchen, der Bartóks suggestive musikalische Bilder mit Detailgenauigkeit umsetzte und die gut aufgelegten Münchner Philharmoniker an den emotionalen Höhepunkten der Partitur mächtig auftrumpfen ließ.
Sebastian Werr
Süddeutsche Zeitung · 31. Mai 2008
Münchner Abendzeitung, 31.5./1.6.2008
Béla Bartóks einaktige Oper „Herzog Blaubarts Burg“ (1911) ist ein Werk von hinreißend suggestiver Kraft, in seiner Symbolik vergleichbar mit Debussys „Pelléas et Mélisande“, musikalisch aber ungleich aggressiver. Dirigent sowie Orchester blieben dieser vibrierend spannende Jugendstil-Musik nichts schuldig. Und auch die ausgezeichneten Solisten Lioba Braun (Judith) und Rudolf Rosen (Blaubart) sowie der ungarische Schauspieler Imre Kulcsár, der den pathetischen Prolog sprach, trugen dazu bei, dass sich am Ende wohl manch begeisterter Zuhörer gefragt haben mag, warum diese Oper nicht öfter zu hören ist.
Volker Boser
Münchner Abendzeitung · 31. Mai 2008
Münchner Merkur, 31.5./1.6.2008
Schillerndes Licht
Bartóks Sog packt wieder. Auch bei seiner einzigen, 1918 uraufgeführten Oper „Herzog Blaubarts Burg“, die Donnerstag im Abo-Konzert der Münchner Philharmoniker erklang, erliegen die Zuhörer unweigerlich seiner musikalischen Sprache und der psychologisch-symbolisch hoch befrachteten Geschichte um Blaubart und Judith.
Obwohl die Philharmonie am Gasteig ein für Sänger unwirtlicher Ort ist und die Aufführung in ungarischer Sprache stattfand, gelang der famosen Lioba Braun und ihrem jungen Baritonkollegen Rudolf Rosen eine intensive, dunkel glühende Interpretation des Beziehungsdramas. Der ungarische Schauspieler Imre Kulcsár stimmte mit den kryptischen Worten des Prologs ein, wobei die tiefen Streicher aus dem Halbdunkel dazutraten.
Hartmut Haenchen spürte am Pult der Philharmoniker den geheimnisvollen Klängen, die Béla Bartók mit zahlreichen Andeutungen ungarischer Volksweisen bestück hat, nach, ließ feingliedrig die Holzbläser in ihrer ganzen Bandbreite hervortreten, unterstützte mit imperativen Akkorden die Forderungen der Protagonisten und tauchte mysteriöse Welten hinter den Türen von Blaubarts Burg in schillerndes Licht, das im Garten an Debussy erinnerte.
Gabriele Luster
Münchner Merkur · 31. Mai 2008
tz, 31.5./1.6.2008
Die wahren Schrecken von Herzog Blaubarts Burg lauern nicht hinter ihren versperrten Türen. Sie sind schon immer in den Herzkammern ihrer Bewohner beschlossen. Und das hörbar, fühlbar zu machen, war die größte Qualität dieser konzertanten Aufführung (mit Übertiteln) von Bartóks Einakter. Das war keine Horror-Diashow, sondern ein genau gezeichnetes psychologisches Drama mit mythisch-rituellem Schimmer.
Das Verdienst zu allererst von Hartmut Haenchen, der die Münchner Philharmoniker eng an der Kandare hatte, zu Konzentration zwang und ihnen noch im heftigsten Ton-Tsunami Klangsinn abgewann. (Bereits zuvor bei Haydns 80. Symphonie hatten sie detailfreudig gespurt.....)
Schwere Kost bei Sommerschwüle – ein umso ehrlicheres Zeichen der Begeisterung der verdient große Applaus danach.
Thomas Willmann
tz München · 31. Mai 2008
Blaubarts Blut
"Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók bei den Philharmonikern sowie mit Lioba Braun und Rudolf Rosen
(München, 30. Mai 2008) Dieser Moment ließ in der Philharmonie das Blut gerinnen: Wenn in den düsteren, feuchten Gemäuern des rätselhaften Herzog Blaubart auf Betreiben einer Frau, die ihn zu lieben scheint und sein Innerstes erforschen will, sich die fünfte Tür seiner Burg öffnet. Das Gleissen des Orchesters (mit acht Posaunen!) übertönt fast den Entsetzensschrei Judiths (ein hohes C im Fortissimo!).
Es war dies der Kulminationspunkt einer grandiosen Aufführung, angesichts derer man nicht bedauern muss, dass Bartóks "Kékszakállú" lange nicht mehr den Weg auf eine Münchner Bühne gefunden hat. Denn der Einakter ist ein Seelen-Psychodrama und bedarf der Szene eigentlich gar nicht. Die Musik sagt ebenso viel wie sie manches bewusst in der Schwebe lässt; sie kann düster lastend sein oder sich machtvoll steigern, dissonant sich reiben oder zu einer versprengten Volksmelodie ansetzen. Aber es gelingt ihr vor allem eines: die zwei einzigen Menschen, die hier eine Stunde lang in einen Dialog treten, der immer mehr die Entfremdung der beiden zueinander zeigt, musikalisch in ihrer konträren Entwicklung zu schildern. Blaubart taut durch Judiths Beharren immer mehr auf, freut sich fast wie ein Junge daran, dass Helligkeit seine Burg, seinen Panzer und mithin seinen Körper wie seine Seele durchdringt. Judith aber hat zuviel Blut an Blaubarts Reichtümern, seinen Waffen, seinem Schmuck, sogar seinen Blumen und den Wolken über seinem Reich gesehen. Im Moment des strahlendsten, aber kalten und blendenden Lichts beginnt sie zu versteinern, weil sie nicht mehr daran glaubt, dass ihre Liebe ein Rettungsanker für sie und den Mann sein könnte.
Mit Lioba Braun steht in der Philharmonie eine Mezzosopranistin auf der Bühne, die mit ihrer farbenreichen Stimme frauliche Wärme, Reife und eine schillernde Intensität zugleich in den Dienst der Rolle stellt und sie auch ohne Szene mit wenigen Gesten und Blicken wunderbar verkörpert. Rudolf Rosen ist - gegen die übliche Besetzung mit einem gealterten Sänger - ein noch junger Mann, der des Lebens überdrüssig scheint und sich doch zunehmend auf das Abenteuer einlässt, dass eine Frau ihm Fragen stellt und Forderungen; die ihm immer näher kommt und die Schlüssel zu seiner Seele sucht. Auch Rosens kerniger, schöner Bariton ist vielschichtig und facettenreich, kann locken und drohen, fahl leuchten oder aggressiv grimmig klingen.
Doch was wäre ein Bartókscher "Blaubart" ohne ein fulminantes Orchester. Hartmut Haenchen animierte die Philharmoniker zu einer bestechenden Leistung, entlockte ihnen ebenso kammermusikalische Feinheit wie kantige, scharfe Oberflächenstrukturen. Er ließ sich manchmal ebenso viel Zeit wie er kurz darauf Tempo und Klang schärfte.
Nicht minder überzeugend war vor der Pause Joseph Haydns spannende Symphonie Nr. 80 in d-moll musiziert, aber wer mag vor einer tief beeindruckenden Oper des 20. Jahrhunderts unbedingt eine Symphonie aus dem 18. Jahrhundert hören - wie vollendet sie auch immer klingt? Reicht eine Stunde intensivster Musikdramatik nicht für einen Abend?
Klaus Kalchschmid
www.klassikinfo.de · 30. Mai 2008
www.musicweb-international.com, 30.5.2008 (JFL)
Haydn: Symphony No.80
Bartók: Duke Bluebeard's Castle
Haydn should not be given up to period specialists. Symphony orchestras more and more tend toward a niche program of exclusively romantic and post-romantic repertoire: from Beethoven to Sibelius and everything in between, with extra stops at Mahler and Shostakovich and occasional excursions to Philip Glass or John Adams.
But baroque music and increasingly classical period music as well are left to the devices of specialized performance groups – usually those that offer some form of Historically Informed Performance Practice (HIP). The proliferation of original instrument – and modern instrument HIP – groups is a boon to music, generally. Ever since their performance quality has improved from questionable to outstanding, they offer musical joys that delight over and over again, quite regardless of performance ideology. Even so, if their prominence in Monteverdi, Marais, and even Mozart comes at the expense of important composers and periods being part of the repertoire of ‘regular’ symphony orchestras, then alarm bells should ring for two reasons.
The first is that the audience would lose much fine music played by what remains the primary musical body of a city. Mozart and Haydn and Bach sound different when a large symphonic orchestra (even with reduced forces) is at work. But that isn’t bad at all, it’s desirable diversity. HIP is to add to our enjoyment by offering comparison and choice – not by replacing the way we’ve heard this music for so long. As much as can be learned from small groups led by gut-strung violins, be it the Freiburg Baroque Orchestra, the Academy of Ancient Music Berlin, or Musica Antiqua Cologne, we can also learn and take away something from an orchestra that plays Ein Heldenleben in one half of a concert and then Mozart’s Jeunehomme Concerto or a Bach Orchestral Suite or a Haydn Symphony in the other.
The Munich Philharmonic, known for its romantic, “old-Europe” sound that makes it stand out even among European orchestras that are more often said to be in the orchestral elite, is a good example of an orchestra that is – rightly – aware of the danger but also willing to something about it. And so Haydn’s Symphony No.80, nickname-less yet not any bit less lovely than its more famous brethren, showed up on the program the week that Hartmut Haenchen took on the orchestra. Generous and lively, with expressive silences and delicacy amid the inevitable heft, this was nicely done, even if the third movement was perhaps a little heavy footed. It may well have been the ‘warm-up’ for the orchestra, but at least it didn’t sound like one.
Warmed up, it was Béla Bartók’s “Bluebeard’s Castle” that awaited the suspicious audience, the suspicion emphasized by absence and early departures. If any opera works well for concert treatment, it’s this one. Since the little action there is largely goes on in the two protagonists’ head, it can easily be imagined and need not necessarily be shown. I remember William Friedkin suggesting that most operas are be st ‘seen’ that way, in the case of this opera that could well be true. (And almost certainly was true when he staged it for the Washington National Opera two seasons ago.)
The Munich Philharmonic, which has a wonderful Bluebeard on record with James Levine, did well in this, especially when the singers (Lioba Braun as Judith, Rudolf Rosen as Bluebeard) and the orchestra found together some time after the second door, Bluebeard’s arsenal. The spikiness and jarring threats emitting from the torture gear and the plinky glittering glory of the treasure room were wonderfully done. For the blood-supported flower garden, Haenchen and the orchestra offered pure awesomeness.
The orchestra was descriptive, sumptuous, and offered the cinematic quality of this opera well. The soloists – especially Mme. Braun –threw themselves into their roles admirably and amiably. Either voices could have been bigger and clearer, though. Perhaps that was why Imre Kulcsár’s opening monologue of the bard stood out so much? He delivered it in his native Hungarian, of course, which really is the best way to perform Bluebeard’s Castle. The very sound of the introduction is important – and only the original Hungarian can deliver that. Translations can’t do that – and end up sounding silly or embarrassingly ridiculous. Meanwhile supertitles (laudably present in this concert performance) enable us to get the meaning which is too important than to just cut the scene outright.
Jens F. Laurson
www.musicweb-international.com · 30. Mai 2008