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26. April 2001 · Leipzig, Gewandhaus

Martinu: Lidice, Hartmann: Kammerkonzert, Schubert C-Dur

Gewandhausorchester

Pressestimmen

Im zweiten Satz dagegen imponieren vor allem die Holzbläser, vorneweg die wunderbare Oboe, mit fließenden und dennoch wehmütigen Melodien, die hier allerdings nicht marschieren, sondern eher in der abendlichen Sommersonne spazieren gehen. [...]Aber Haenchen führt seine Musiker unbeirrt und unaufhaltsam zum Kulminationspunkt, jenem Aufschrei in dreifachem Forte, dem eine Generalpause folgt, die noch dreimal schreiender ist. Doch ehe das Blut in den Adern erstarrt, taucht die Oboe wieder auf, leise und tröstlich, um uns mit dem Geschehenen zu versöhnen.?(Schubert, Große Sinfonie in C-Dur), Marcus Erb-Szymanski, Leipziger Almanach, 5. Mai 2001
Leipziger Almanach · 26. Mai 2001
Ein Schubert für den Bauch und das Herz

Haenchen im Gewandhaus

Manchmal wanken Weltbilder: sollte das allseits mit missionarischem Eifer betriebene Gezerre ums historisch vermeintlich korrekte Musizieren am Ende nur ein Stellvertreterkrieg sein? Spielfeld derer, die mit Musik wenig zu sagen haben und darum umso ausführlicher über Musik palavern? Hartmut Haenchen jedenfalls hat mit seiner Sicht auf Schuberts "Große" im vor ungeteilter Begeisterung brodelnden Gewandhaus mit virtuosem Furor jedes Gezanke um Darm- oder Stahlsaiten, um mehr oder weniger oder kein Vibrato, um Viertel oder Halbe von der Tagesordnung gefegt. Sein Schubert klingt einfach richtig. Da muss sich keine Phrasierung, kein Akzent, kein Tempo, kein Detail und auch keine Großform erst in die Hirnwindungen des uneitlen Könners zwängen, um mit musikologischer Weisheit angereichter ins Ohr des Hörers entlassen zu werden. Dieser Schubert geht von Bauch zu Bauch, von Herz zu Herz.

Aber Haenchen ist kein Bauchmusiker. Nur wenige andere haben sich so lange und so ausführlich mit aufführungspraktischen Fragen auseinander gesetzt wie er. Aber bei ihm fließt Erkenntnis in ein sinnliches Konzept - und nicht in einen klingenden Analyse-Aufsatz.

Aber dadurch wird es nicht automatisch besser. Zum Wissen müssen Fühlen und Können kommen. Dann entstehen musikalische Glücksmomente. Dann funkelt und glänzt das Gewandhausorchester wie schon lange nicht mehr. Dann ist es nicht weiter schlimm, dass dieses Orchester nach wie vor nie wirklich leise tönt, sobald die Bläser dabei sind. Dann kann es plötzlich alles spielen.

Denn Haenchens Musizierhaltung kennt keine Gattungs- oder Epochengrenzen. Ebenso wie bei Schuberts vielen Tönen zwischen Klassik und Romantik lädt er die zwischen Romantik und Moderne klemmenden Bohuslav Martinus und Karl Amadeus Hartmanns mit Emotion und Bedeutung auf. Des Tschechen bohrende Momentaufnahme der Trauerarbeit nach dem Ende des Nazi-Terrors, des im braunen Sumpf fast versunkenen Deutschen fahle Melancholie, Martinus hilflosen Schrei, Hartmanns hilflose Idylle. Das Gewandhausquartett lädt Hartmanns Kammerkonzert mit Bedeutung auf, die Tutti-Streicher verkeilen die Ungarismen - und über allem strahlt die schwerelose, überirdisch schöne Klarinette Sabine Meyers. Ein Wunder an sprechender Beherrschtheit.

Und schmerzliche Erinnerung an eine vertane Chance: Vor zwie Jahren hätte Leipzig den Ausnahmedirigenten als Opern-Generalmusikdirektor an sich binden können. Hoffentlich kommt er wenigstens als Gast bald wieder.

Peter Korfmacher
Leipziger Volkszeitung · 28. April 2001
Was macht ein Konzert spannend: Dirigent oder Programm, Solist oder Orchester? Oder gar das Publikum?
Für das Große Konzert im Gewandhaus am Donnerstagabend war das schwer zu entscheiden. Schon der Dirigent war nicht irgend jemand, sondern genau jener Hartmut Haenchen, den Zimmermann als Chefdirigenten an die Oper holen wollte - und der dann doch nicht kommen durfte. Er nutzte das Konzert um zu zeigen, zu welchen musikalischen Leistungen er das Orchester führen kann - und die Leipziger wussten es zu schätzen.
Mit Spannung erwartet worden war aber auch die andere Protagonistin des Abends: Die Klarinettistin Sabine Meyer. Ungeachtet des immensen Erwartungsdrucks, den schon ihr Name mittlerweile in der Musikwelt auslöst, schaffte sie in Karl Amadeus Hartmanns Kammerkonzert für Klarinette, Streichquartett und Streichorchester eine traum-hafte musikalische Spannung. Da vorne stand nicht jemand, der gut, weniger gut oder sehr gut Klarinette spielte - da stand jemand, und füllte auf zauberhafte Weise den Saal mit Musik... Und fand dafür im Gewandhaus-Quartett und dem um die Bläser reduzierten Orchester Partner, die eine geeignete musikalische Umgebung schufen. Diese Verzauberung verfehlte auch im Publikum nicht seine Wirkung: Man lauschte so lauschte gespannt, dass sogar das eigentlich unabdingbare Husten in den leisen Passagen vergessen wurde.
Eine Spannung anderer Art vermittelte das zeitlich kurze vorhergehende Stück, das "Mahnmal für Lidice" des Tschechen Bohuslav Martinu. Geschrieben 1943 dem Gedenken der von den Nazis ausgelöschten Dorfbevölkerung von Lidice, ist es eine traurige, zornige Anklage. Und Haenchen verstand es, mit seinem energiegeladenen, spannungsvollen Dirigat die Intensität dieser Musik im Orchester zu entfalten. Und es war gut zu erleben, dass Musik noch aufrütteln kann, dass ihre Wirkung nicht abgestumpft sein muss.
Nach der Pause dann musikalische Größe ganz anderer Art: Schuberts "Große Sinfonie C-Dur", von Schumann entdeckt und postum 1839 unter Mendelssohn Bartholdy im Gewandhaus uraufgeführt. Es tat ihrer Größe keinen Abbruch, dass sich Haenchen der meisten möglichen Wiederholungen enthielt und das Stück eher lebendig als getragen anging. Hier konnte auch das Orchester zeigen, in welcher Musik es sich zuhause fühlt. Die Blechbläser zeigten es mit einer solchen Inbrunst, dass man sich doch mitunter ein wenig mehr Sensibilität gewünscht hätte, aber als Zeichen der Spielfreude sei es gut geheißen. Gut musiziert war's allemal.
Ein spannender Abend also und ein großer Abend zugleich: Diese glückliche Konstellation von Mitwirkenden und Programm ist es, die ein Großes Konzert ausmacht. Applaus.
?Mattias Hirschfeld.
www.mattias.de · 26. April 2001