19. September 1999 · Berlin, Konzerthaus
C.Ph.E.Bach und die Folgen I,
C.Ph.E.Bach: Sinfonie D-Dur Wq 183 Nr.1,
J.Haydn: Violoncellokonzert D-Dur,
W.A.Mozart: Sinfonie Nr. 38 "Prager"
Kammerorchester C.Ph.E. Bach
Jan Vogler
Pressestimmen
Nr. 219, S. BS3
Kein Glück ohne Risiko
Zweimal: Haydns Cellokonzert
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Jan Vogler hat schon zwanzigjährig Anfang der neunziger Jahre in Dresden die Haydn-Probe abgelegt: Er wurde der jüngste Solo-Cellist in der Geschichte der Dresdener Staatskapelle. Doch der junge Berliner Musikus, Schüler von Heinrich Schiff und Mitbegründer des Vogler-Quartetts, wollte mehr. Stetig wächst neuerdings sein Ruhm als Solist, insbesondere seine Interpretation der Beethoven-Sonaten für Klavier und Violoncello erregte Aufsehen. Vorige Saison gab Vogler diese fünf sehr unterschiedlichen Sonaten in Berlin an einem Abend, mit dem fabelhaften Pianisten Andrea Lucchesini am Flügel. Jetzt kam er mit Joseph Haydns D-Dur-Konzert ins Konzerthaus.
Das Werk, in Schillings Enzyklopädie von anno 1837 fälschlich noch dem Cellisten Anton Krafft zugeschrieben, aufgrund eines später in der österreichischen Nationalbibliothek gefundenen Autographs jedoch nachweislich aus der Feder Haydns stammend, ist einer der wenigen Beiträge des Komponisten zur virtuosen Konzertmusik der reifen Wiener Klassik. Es geht hoch hinaus in diesem dreisätzigen Opus. Größtenteils ist die Solo-Stimme im Violinschlüssel notiert, beansprucht wird häufig und weiträumig die A-Saite, berüchtigt sind die spektakulären Oktavsprünge des Rondos. Diese und andere Schwierigkeiten scheinen Vogler nur anzuspornen. Mit enormem Risiko, in waghalsig schnellen Tempi geht er die Ecksätze an, ohne Rücksicht auf Verluste.
Freilich, es gibt diese Verluste. Manch ein Ton rutscht dem Solisten weg. Puristen mögen da gequält aufstöhnen, Anhänger einer schlüssigen, spannungsgeladenen Dramaturgie aber beschleicht Wonnegefühl. Denn das Geschehen drängt ständig nach vorne, mitunter überspielt Vogler sogar die Atmungskante zwischen Vorder- und Nachsatz. Als wolle er partout das Klischee vom "braven Papa Haydn" aus der Welt schaffen. Seine Tongebung ist flexibel: üppig, beethovensch zupackend, in den Doppelgriffpassagen breit grundierend. Selbst im Adagio streicht der Cellist mit vollem Bogen, verliert dabei jedoch nie den Blick für das Melos. Kurzum: ein musikantischer und musikalischer Genuss.
Das Geheimnis liegt auch in der gewählten Orchesterbesetzung. Das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach unter Leitung von Hartmut Haenchen begleitete mit vier ersten und vier zweiten Violinen, vier Bratschen, zwei Violoncelli, einem Kontrabass und einem Fagott (in der Partitur als Bassi-Instrument "ad libitum" angegeben), ferner zwei Oboen und zwei Hörnern - eine Besetzung, die sich an die verhältnismäßig geringe Stärke der Esterházy-Kapelle des Entstehungsjahres 1783 anlehnt. Die Solostimme hat es so leichter, sich konturiert herauszuschälen. Der Klang ist insgesamt transparenter, die Rhetorik luzider als bei einem größer besetzten Orchester. ...
JÜRGEN OTTEN
Frankfurter Allgemeine Zeitung · 21. September 1999