CDs / DVDs

www.klassik.com, 06. März 2007
www.klassik.com, 6.3.2007

.... Und doch ging De Nederlandse Opera (DNO) das nicht unbeachtliche finanzielle Risiko ein, ihren Amsterdamer ‚Ring’ aus dem Jahr 2005 auf CD herauszubringen. Vollständig. Als Live-Aufnahme. Mit Hartmut Haenchen am Pult ‚seines’ Nederlands Philharmonisch Orkest, mit dem er in den letzten 20 Jahren etliche Wagner Triumphe an der Amstel gefeiert hat.

Zwei Dinge sind es, die diesen ‚Ring’ vom großen Rest der derzeit erhältlichen Aufnahmen unterscheiden: der ‚Super Audio Surround Sound’ und, dass es die erste Einspielung auf Basis der Neuen Richard-Wagner-Gesamtausgabe ist. In der praktischen Umsetzung heißt das, dass der Orchesterklang auf diesen CDs spektakulär in seiner Durchsichtigkeit und Farbigkeit ist. Mir persönlich ist keine andere ‚Ring’-Aufnahme bekannt, älteren oder neueren Datums, wo das Orchester von den Tonmeistern derart brillant eingefangen wurde, bis zum kleinsten Klarinetten-Triller derart präsent ist, ohne dass dabei die Balance und das große Ganze verloren ginge. Angesichts der Tatsache, dass es sich hier um eine Live-Aufnahme handelt (bei der das Orchester in der Inszenierung von Pierre Audi auf der Bühne platziert war), ist die Aufnahmequalität nicht anders als sensationell zu beschreiben. Und das gilt für alle CDs dieses Amsterdamer ‚Rings’.

....Das liegt auch an der Sängerbesetzung, die hier in einzelnen Rollen außergewöhnlich ist. Grundsätzlich sind alle Sänger von den Mikros in idealer Balance zum Orchester eingefangen und da es sich um eine Live-Aufnahme handelt, auf der riesigen Bühne des Amsterdamer Muziektheaters aufgenommen, hat man auch auf CD ein starkes Gefühl von Bewegung und Raum, wie es im Studio schwer hinzubekommen ist. Und das gibt der Einspielung Leben, Präsenz und Spannung, die man bei anderen Aufnahmen oft schmerzlich vermisst (etwa beim berühmten Solti-‚Ring’.)

Der Trumpf dieses DNO-‚Siegfried’ ist der Zwerg Mime, wie ihn Graham Clark gestaltet. Es war die Abschiedsvorstellung von Clark im Wagnerfach, und er brachte für die Aufführungen fast zwei Jahrzehnte (Bayreuth)Erfahrung als Mime mit. Das hört man in jeder einzelnen Silbe, in jedem giftigen Atmen, in jedem hämischen Lachen. Wie Graham Clark als Mime schnarrt, quietscht, zischt und flucht, das muss man gehört haben, um es zu glauben. Er macht aus dem ersten und zweiten Akt teils eine grandiose One-Man-Show, die alleine schon die Anschaffung der CD rechtfertigt. Was man da erlebt, ist wirkliches Charakterspiel auf höchstem Niveau: ein Sänger, der begriffen hat, dass es beim ‚Ring’ nicht um Schöngesang geht, sondern um scharf umrissene Figuren. Dieser Mime springt den Hörer mit seiner Aggressivität quasi an und ist ein Meilenstein des Wagner-Charaktergesangs!

Götter im diskografischen Wagnerhimmel

Neben Clark überzeugt vor allem Stig Andersen als Siegfried. Abgesehen von einem total verunglückten Auftritts-Lauf zum hohen C ist Andersen ein exemplarisch wortverständlich agierender Wagner-Recke mit baritonal eingefärbter Stimme, der seine Kräfte gut einteilt und bis zum Liebesfinale mit bronzenem Ton singt – in der Tradition eines Ludwig Suthaus.... Gleichfalls überzeugend gerät der schlank und jugendlich klingende (ebenfalls exemplarisch wortverständliche) Wanderer von Albert Dohmen....
... Als Marketing-Trick muss man DNO jedoch zu diesem ‚Ring’ auf CD gratulieren. Er liegt in jedem Geschäft Deutschlands aus und macht mit seinen überaus attraktiven Covers aufs Opernhaus an der Amstel aufmerksam, das nach mehr internationaler Anerkennung heischt. (Zurecht.) In diesem Sinn lohnt das Anhören des neuen ‚Siegfried’ schon. Auch weil einige Details interessant sind, etwa der mit einem Knabensopran besetzte Waldvogel .... Auch die Windmaschinen und Donnerapparate machen Effekt. Und die Drachen-Szene hat wirkliche Klasse.

Auf zum Grünen Hügel

Für Hartmut Haenchen sollten diese CDs zweifellos das überfällige Ticket für Bayreuth sein. Denn auch wenn er kein Überwältigungsmusiker in der Tradition von Thielemann und Barenboim ist (oder Furtwängler und Clemens Krauss), beweist er mit diesen Aufnahmen, dass er ein hervorragender Verwalter von Wagners Klangmassen ist. Der, verglichen mit vielem, was in den letzten Jahren auf dem Grünen Hügel im Graben zu hören war, mehr als befähigt ist, einem Festspielpublikum seine detailverliebten Künste vorzuführen. Auch die Tatsache, dass Haenchen in Amsterdam immer wieder die neusten Ausgaben der Richard-Wagner-Gesamtausgabe zu Gehör brachte (so zuletzt im Februar 2007 den ‚Tannhäuser’ in der Wiener Fassung von 1875), prädestiniert ihn geradezu, als Wagner Pionier auch in Bayreuth zu arbeiten, um dort endlich frischen Wind ins Haus zu blasen.
Dr. Kevin Clarke